IT-Systeme und intelligente Algorithmen nehmen den Bankleuten immer häufiger Entscheidungen ab. Das schaffe grosse Gefahren, warnt Karsten Junius, Chefökonom der Bank J. Safra Sarasin.
Der Computer ist nicht nur seit mehr als drei Jahrzehnten das wichtigste Arbeitsinstrument in der Finanzbranche. Er hat dank der Entwicklung intelligenter Algorithmen und smarter Software auch immer mehr Arbeitsschritte des Bankangestellten übernommen.
Die Allmacht der Computer geht insbesondere im Investmentbereich mittlerweile soweit, dass ihre Systeme ohne jegliches menschliches Dazutun selbständig Entscheidungen fällen: effizient, schnell und unumstösslich.
Nur noch Gleichgesinnte
Und dies gereiche Anlegern nicht nur zum Vorteil, warnt Karsten Junius, Chefökonom der brasilianisch-schweizerischen Privatbank J. Safra Sarasin.
Die Schattenseiten des Siegeszugs der Algorithmen lägen darin, dass der Computer vermeintlich uninteressante Inhalte und Informationen herausfiltere, was zur Folge habe, dass sich die Menschen nur noch mit Gleichgesinnten umgäben, wie er gegenüber der Finanzwebseite «Institutional Money» erklärte.
Herdenverhalten und Fehlinvestitionen
«Je mehr sich die Gesellschaft in Gruppen segregiert, die nicht mehr miteinander kommunizieren, desto höher ist das Risiko von Herdenverhalten und Fehlinvestitionen», sagt er.
Der Herdentrieb ist das wohl grösste Fehlverhalten an den Finanzmärkten. Er führt zu unreflektierten Entscheidungen, Übertreibungen und Preisblasen.
Wenn Investoren nur von ähnlich denkenden Kollegen umgeben seien oder nur noch vorgefiltert wahrnähmen, was ohnehin zu ihrer Meinung passe, fördere dies das Herdenverhalten, so Junius, der vor gut drei Jahren zu J. Safra Sarasin stiess.
Brexit und Trump-Wahl kollektiv unterschätzt
«Ein Beispiel dafür ist, dass die meisten Finanzmarktteilnehmer die Wahrscheinlichkeit von Brexit und Trump kollektiv unterschätzt haben», sagt der Ökonom.
«Viele haben auch später nicht geglaubt, dass die britische Regierung wirklich Artikel 50 auslöst, und dass Trump die Politik verfolgt, die er im Wahlkampf versprochen hat.» Ein besseres Verständnis für alternative Szenarien hätte hohe Gewinne ermöglicht, ist sich Junius sicher.
Der Deutsche arbeitete vor seinem Engagement bei J. Safra Sarasin als Länderanalyst beim Internationalen Währungsfonds in Washington D.C.
Vielfalt führt zu mehr Anregungen
Er rät darum zur Vielfalt. Investoren und Investmentgesellschaften sollten sich so aufstellen, dass Anregungen und Kritik auf verlässlicher Basis entstehen und aufgenommen werden könnten. So liessen sich an den Finanzmärkten deutliche Vorteile gegenüber jenen erzielen, die sich nur in homogenen Gruppen bewegten.
«Es lohnt sich daher bei fortschreitender Digitalisierung, Teams in Bezug auf Alter, Geschlecht, kulturellem Hintergrund, politischer Überzeugung und persönliche Erfahrungen möglichst unterschiedlich zusammenzusetzen», gibt der Ökonom als Ratschlag mit auf den Weg.