Die Exporte der führenden Spirituosenhersteller nach China sind rückläufig. Dahinter verbergen sich Schwachstellen der chinesischen Volkswirtschaft, die Spannungen mit der EU und die Kampagne gegen «westliche Extravaganzen».
Selbst wer die Finanzszene schon lange kennt, nimmt mitunter verblüfft zur Kenntnis, mit welchen Themen sich Bankanalysten befassen. Um dann nicht weniger erstaunt zu lernen, wie das Kleine mit dem Grossen zusammenhängt.
Ein Beispiel dafür ist der am 22. Juli 2024 publizierte «China Cognac/Scotch Tracker» (wobei unter der Kategorie Cognac auch Brandys erfasst werden), den das «Global Research and Evidence Lab» der UBS auf Basis der monatlichen chinesischen Importstatistik erstellt hat.
China: langfristige Wachstumshoffnung
Zwar könnten die Monatsdaten volatil sein, schreiben die Analysten (die ihre Ausführungen mit vielen Tabellen und Grafiken illustrieren), aber sie korrelierten gut mit den viertel- respektive halbjährlichen Verschiffungszahlen des Branchenprimus Pernod (wobei dessen Brand Martell der «Renner» ist). Von Pernod stammen etwa 40 Prozent aller in China verkauften ausländischen Spirituosen, was immerhin 10 Prozent seines Gesamtumsatzes entspricht.
China stelle für die Branche langfristig einen Wachstumsmarkt dar, ist die UBS überzeugt und nennt auch die Konzerne Diageo (unter anderem mit dem Brand Johnnie Walker) und Rémy Cointreau (zu dem auch die Marke Metaxa gehört), die in China wertmässig 5 Prozent respektive 20 bis 25 Prozent ihrer Produktion absetzen.
Ziemlich widerwärtiger Cocktail
Kurzfristig sieht es aber nach allem anderen als nach Wachstum aus. Die Importe nach China sind nämlich volumenmässig im Juni gegenüber Vorjahr rückläufig, und dies mit 42 Prozent ziemlich heftig.
Besonders gross die Einbusse beim Cognac (–60 Prozent), etwas weniger drastisch beim Scotch Whisky (–35 Prozent). Wertmässig belaufen sich die Rückgänge sogar auf 67 und 43 Prozent, wobei der Einbruch gemäss UBS von einem Sondereffekt überzeichnet wird.
Für das zweite Quartal beträgt das Minus wertmässig aber immer noch 9 respektive 31 Prozent.
Imponiergehabe der Geldpolitik
Mit Blick auf die Abschlüsse der Produzenten für das zweite Quartal ist die Grossbank zurückhaltend: Die Erwartungen der chinesischen Konsumenten in Bezug auf ihre Einkommen tendierten nach unten, und die Immobilienpreise seien ebenfalls rückläufig.
Sogar von der Geopolitik droht den Spirituosenhändlern Ungemach. Es bestehe ein erhöhtes Risiko, dass China als Vergeltung für die von der EU verhängten Einfuhrzölle auf chinesische Elektroautos bald Zölle auf europäischem Cognac erhebe.
Offiziell verpönte «westliche Extravaganzen»
Auch die Signale der grossen Cognac-Hersteller Pernod, Remy und LVMH (mit der Marke Hennessy) stimmen die UBS vorsichtig. «Wir bemerken auch vermehrt Kommentare zum Downtrading, weg von XO hin zu Zwischenprodukten (Martell Noblige, Rémy Martin Club) oder VSOP, und Gegenwind durch Parallelimporte.» Chinesen, die nicht ganz auf westliche Tranksame verzichten wollen, greifen also zu günstigeren Brands.
Belastend wirkt gemäss UBS zudem die in den Antikorruptionsfeldzug der Kommunistischen Partei eingebettete «Anti-Extravaganzen»-Kampagne, welche die zuvor in China beliebten Statusgüter (vornehmlich westlicher Provenienz) generell in ein eher schummriges Licht rückt. Dazu gehören Spirituosen, aber auch edle Uhren, wie etwa der Schweizer Hersteller Swatch Group im ersten Halbjahr schmerzhaft erfahren musste.
Vom ganz Kleinen zum ganz Grossen
Eine schöne Tour d'horizon, die wir dank der UBS machen durften: Sie führte von einer Statistik über hochprozentige westliche Genussmittel hin zu den Schwachstellen der riesigen chinesischen Volkswirtschaft, dann sogar zur globalen Geopolitik (die sich in einem auch Kleinkindern bestens bekannten «Wie du mir, so ich Dir» bemerkbar macht), um schliesslich bei der Uhrenindustrie zu landen.
Leider kann uns weder die Schweizer Grossbank noch finews.ch als Belohnung für die Lektüre einen Drink offerieren. Nüchtern betrachtet müssen sich Spirituosen- und Zeitmesserproduzenten, wie viele andere Luxushersteller auch, auf absehbare Zeit auf ein widriges Umfeld im Absatzmarkt China einstellen, auch wenn dieser langfristig immer noch als Wachstumshoffnung gilt.