Die Corona-Krise und das Führen eines Teams via digitale Kanäle haben dem Arbeitsleben von Führungspersonen eine neue Stresskomponente hinzugefügt. Um diese auszuhalten, muss man zunächst sich selber besser verstehen lernen.
Wäre der Mensch ein Computer, wäre das alles kein Problem. Aber die Herausforderungen der Corona-Pandemie, das Arbeiten aus dem Homeoffice, die Führung von Mitarbeitern über Zoom-Konferenzen und andere digitale Kommunikationskanäle bedeuten, dass sowohl Arbeitnehmer als auch Führungspersonen ihre Kapazitäten und ihre Stressresistenz ausbauen müssen.
Wenn ein Computer an Kapazitätsgrenzen stösst, installiert man ein neues System. Aber was können Menschen zur Ausweitung ihrer Kapazitätsgrenzen tun, um ihre Funktionen weiterhin ausüben zu können?
Selbstverständnis und professionelles Know-how
In einem Artikel der «Harvard Business Review» heisst es dazu: Das eigene Verständnis, was in solchen Situationen mit dem Körper, dem Geist und mit den Emotionen geschieht, sei mindestens so wichtig, um ein Leistungsniveau zu halten, wie das professionelle Know-how.
Was die Autoren in dem Artikel beschreiben, ist in der Geschäftswelt im vergangenen Jahr tausendfach geschehen. Die Unsicherheiten durch die Corona-Pandemie, die notwendig gewordene, abrupte Umstellung der Arbeitsweisen, der Kommunikation, der Abläufe und Prozesse hat Managerinnen und Manager vor riesige Herausforderungen gestellt.
Gefühl des Kontrollverlustes
Die Corona-Pandemie hat den beruflichen mit dem privaten Stress verknüpft. Pandemie-bedingte Unsicherheiten und unternehmerischen Rückschlägen müssen aus dem Homeoffice gemanagt werden wie auch die schulpflichtigen Kinder enger begleitet, Verwandte betreut oder gepflegt werden.
Hinzu kam möglicherweise das Gefühl des Kontrollverlustes: Arbeitet das Team noch zusammen? Ist es noch effizient? Entfremdet sich der Mitarbeiter? Stimmt die Leistung noch?
Die drei «Ichs»
Die Komplexität und die Intensität solcher Herausforderungen übersteige, so heisst es im dem Artikel, die Komplexität des eigenen Denkens und Handels wie auch die emotionale Widerstandskraft. Besonders schwierig wird es bei der Erkenntnis, dass es sich nicht um einen vorübergehenden Zustand handelt, sondern es angesichts der anhaltenden Corona-Unsicherheiten derzeit keine andere Perspektive gibt.
Die Autoren des Artikel haben darum genauer erforscht, wie Menschen in unterschiedlichen Stress- und Lebenssituationen reagieren. Sie fanden heraus, dass der Mensch in solchen Situationen nicht als ein singuläres, stabiles «Ich» handelt und reagiert, sondern sich unbewusst zwischen drei verschiedenen «Ichs» hin und her bewegt: Dabei handelt es sich um das kindliche «Ich», um den Verteidiger und um das erwachsene «Ich».
Fähig zur Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle
Dabei ist das kindliche «Ich» das verwundbarste und hilfloseste, aber auch das neugierigste und experimentierfreudigste. Um den Bedrohungen des kindlichen «Ichs» zu begegnen, hat der Mensch den Verteidiger in sich entwickelt. Der Verteidiger ist gleichzeitig das dominante «Ich»: Er beschützt und wacht über die eigene Sicherheit und hält den Menschen auf seinen sicheren Pfaden, lässt ihn seine Gewohnheiten pflegen und gibt – wenn keine Bedrohungen oder kein Stress am Horizont zu sehen sind – auch Anstösse zu Veränderungen.
Das fähigste «Ich» ist das erwachsene. Es ist auch in Gefahr- und Stressituationen fähig zur Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle, es verleitet den Menschen zu kontrollierten Reaktionen und Handlungen, den Situationen oder auch den Bedürfnissen von anderen Menschen angepasst. Nur das erwachsene «Ich» ist fähig, sich selber – und auch andere Personen – in schwierigen Lagen wieder zu erkennen und in seiner emotionalen Komplexität auch zu akzeptieren.
Vier Übungen
Natürlich ist es gerade in Stresssituationen am schwierigsten, das erwachsene «Ich» abzurufen sowie zwischen den drei verschiedenen «Ichs» zu differenzieren. Allein schon, sich dessen bewusst zu sein, ist ein hilfreicher Schritt, wie es in dem Artikel heisst.
Vier Schritte helfen dabei, dieses Bewusstsein zu schärfen.
1. In sich hinein hören
Was geschieht mit einem unter Stress? Starke Emotionen – etwa Angst oder Frustration – zeigen an, dass das kindliche «Ich» sich beispielsweise bedroht fühlt und der Verteidiger in Aktion tritt.
2. Die Gefühle beim Namen nennen
Sobald man realisiert hat, das die beiden «Ichs» gerade aktiv sind, sollte man einen Gang runter schalten und durchatmen. Indem man die Gefühle direkt beim Namen nennt und ausspricht, löst man sich davon und rückt einen objektiveren Beobachtersitz.
3. Akzeptieren, was ist
Selbstkritik bringt in solchen Situationen nichts. Vielmehr sollte man negative Gefühle akzeptieren und als natürliche Reaktion annehmen. Je höher die Selbstakzeptanz ist, desto mehr schwindet das Bedürfnis, sich verteidigen zu müssen. Dies weckt das erwachsene «Ich», ermöglicht Selbstreflexion und schafft neuen Handlungsspielraum.
4. Im Unbehagen Komfort finden
Unbehagen könnte positive Reaktionen auslösen, beispielsweise den Willen zur Veränderung. Doch in der Regel wird Unbehagen als Gefahr wahrgenommen. Es wird zum Anlass genommen, Dinge zu verdrängen und andere für die eigenen Unzulänglichkeiten verantwortlich zu machen. Unbehagen sollte im positiven Fall aber dazu führen, sich selbst zu hinterfragen, den eigenen Ängsten ins Auge zu sehen und die Verantwortung für im Stress begangenes Fehlverhalten zu übernehmen.