Warum man sich vor gewissen Kundenberatern in Acht nehmen sollte, verrät der milliardenschwere Starinvestor Howard Marks im Interview mit finews.ch.


Herr Marks, die Börse zelebriert euphorisch die neue Ära Trump. Was ist geschehen?

In diesem Fall bin ich überzeugt, dass sich die Börsianer vor allem auf Kurzfristigkeiten kaprizieren – etwa auf die Vorstellung, dass die Wirtschaft dereguliert wird, Steuerreformen kommen, der Staat viel für Infrastrukturausgaben ausgibt und die Steuern sinken – das alles macht die Stimmung an den Finanzmärkten so euphorisch.

Was steckt wirklich dahinter?

Ich denke, vieles ist nach wie vor ungewiss. Aber derzeit ist es schwierig, meine eigene politische Überzeugung von der aktuellen Stimmung zu trennen.

Wie meinen Sie das?

War die Wahl von Donald Trump eine gute Nachricht für die Gesellschaft? Ich glaube nicht. War es eine gute News für die Geschäftswelt? Vielleicht, kurzfristig. Der Markt hat abgestimmt. Ob das nun richtig war und alles gut herauskommt, muss sich erst noch weisen.

Sie machen keinen allzu optimistischen Eindruck, auch was die Weltlage anbelangt.

Da gebe ich die Frage gleich an Sie zurück: Was ist heutzutage wirklich gut in unserer Welt? Sind Sie etwa zufrieden mit dem globalen Wirtschaftswachstum? Ich glaube nicht – sicherlich nicht in Europa.

«Ich finde, dass ruft nach einer defensiven Haltung»

Fühlen Sie sich im derzeitigen politischen Umfeld wohl? Ist es zuträglich und stabil für unsere weitere Prosperität? Sind Sie optimistisch in Bezug auf die EU? Was bedeuten Brexit, Trump und Le Pen wirklich? Glauben Sie, dass die Welt in den nächsten paar Jahren friedlicher sein wird? Stimmen Sie die politischen Lösungsansätze im Nahen Osten und in der Flüchtlingsproblematik zuversichtlich?

Nicht wirklich.

Sehen Sie: Die Welt ist instabil geworden, viele Entwicklungen lassen sich immer schwieriger abschätzen. Wenn solche Unwägbarkeiten dominieren und grosse Gefahren am Horizont aufziehen, dann nenne ich das Risiko, und wenn dieses Risiko hoch ist, sollten die Börsenkurse tief sein – weil niemand unter solchen Voraussetzungen investieren will. Doch derzeit ist genau das Gegenteil der Fall.

Wir haben eine grosse Ungewissheit, hochbewertete Wertschriftenpreise, tiefe Renditeerwartungen, und weil letztere so tief sind, engagieren sich viele Anleger in ihrer Suche nach Rendite in immer riskantere Investments. Ich finde, dass ruft nach einer defensiven Haltung.

«Wir befinden uns in einer Zeit, in der man sein Geld nicht unbedingt aggressiv investieren sollte»

Oder auch anders erklärt: Vor acht Jahren betrug das Kurs-/Gewinnverhältnis (KGV) des Standard & Poor's Index 11, heute liegt es bei 19, also fast das Doppelte. Mit anderen Worten: Wir befinden uns in einer Zeit, in der man sein Geld nicht unbedingt aggressiv investieren sollte.

Wie können Investoren vorsichtig vorankommen, wie es Ihre Firma Oaktree bereits seit August 2011 propagiert, ohne dabei auf dem Cash sitzenzubleiben?

Wer vorsichtig sein will, der kauft mehr Obligationen als Aktien und bei Dividendenpapieren eher defensivere Titel oder Value-Aktien. So kriegen Sie ein werthaltiges Portfolio zusammen und setzen möglichst wenig oder gar kein Leverage ein.

Was muss geschehen, damit Sie wieder ins Risiko gehen?

Die heutigen Probleme, die ich eingangs erwähnt habe, sind nicht schnell zu beheben. Die Welt wird in ein bis zwei Jahren nicht vorhersehbarer und prosperierender sein. Was also könnte meine Besorgnis verringern?

Sie geben die Antworten.

Ich meide Aktien, weil das Kurs-/Gewinnverhältnis derzeit 19 beträgt. Damit sich das ändert, müssen sich entweder die Gewinne erhöhen oder die Aktienkurse sinken. Aus heutiger Sicht glaube ich nicht, dass die Ergebniserwartungen in zwei Jahren so viel anders sein werden.

«Von einem Arzt erwarten Sie auch, dass er Ihnen die Wahrheit sagt»

Damit das KGV fällt, müssen die Aktiennotierungen herunterkommen. Für alle, die momentan Aktien halten, ist das natürlich nicht besonders angenehm. Aber es führt kein Weg darum herum.

Viele Anlageberater hierzulande flehen ihre Kunden regelrecht an, ihr Cash in Wertpapiere zu investieren – ein schlechter Zeitpunkt?

Es gibt eine alte Weisheit, die lautet: «Fragen Sie nie einen Frisör, ob Sie einen Haarschnitt benötigen.» Im übertragenen Sinne heisst das, dass sie nie einen Investmentmanager fragen sollten, ob nun der richtige Zeitpunkt gekommen sei, um zu investieren.

Von einem Arzt erwarten Sie auch, dass er Ihnen die Wahrheit sagt, und sich nicht von eigenen pekuniären Überlegungen leiten lässt. Daher sollten wir uns immer kritisch hinterfragen, wessen Interessen unser Kundenberater vertritt.

In den USA läuft derzeit eine hitzige Diskussion rund um die Sorgfaltspflichten in der Finanzbranche. Die neue Regierung unter Donald Trump will offenbar viele Regeln und Bestimmungen aufheben. Sie wehren sich dagegen, warum?

Wenn wir keine Verhaltensregeln mehr haben, läuft dies darauf hinaus, dass wenn ein Anlageberater zwei ähnliche Fonds hat, er zwangsläufig den teureren seinen Kunden anbietet, weil er daran mehr verdient. Das ist schlecht.

«Kennen Sie diesen Test mit Kindern, denen man kurzfristig ein Marshmellow angeboten hat?»

In meiner bald 50-jährigen Karriere habe ich stets versucht, nicht wie ein Frisör zu arbeiten, sondern meine Kunden nach bestem Wissen und Gewissen zu beraten. Blicke ich zurück, bin ich damit sehr gut gefahren. Oaktree geniesst heute eine Reputation, die es uns erlaubt, unseren Kunden manchmal zu sagen: «Im Moment ist es besser, nicht zu investieren.»

Das ist nicht einfach, sofern Ihr Salär vom Verkauf irgendwelcher Finanzprodukte abhängt.

Es gehört sicherlich zu den schwierigsten Dingen im Leben, seine eigene Entlöhnung gelegentlich zurückzustellen, also etwas zu tun, dass kurzfristig nachteilig ist, aber langfristig umso besser herauskommt. Vielleicht kennen Sie diesen Test mit Kindern, denen man entweder kurzfristig ein Marshmellow angeboten hat oder zwei nach einer bestimmten Wartefrist.

«Sie sagen: «Wenn nicht jetzt, wann dann?»

Übertragen auf die Erwachsenenwelt sagten vor fünfzig Jahren die meisten Personen: «Ich warte bis morgen und erhalte dann zwei Marshmellows. So haben die Menschen früher gedacht, arbeitsam ihr Leben lang. So konnten sie mit einer gewissen finanziellen Sicherheit in Rente gehen.

Heute besteht unsere Gesellschaft mehrheitlich aus Menschen, die das Marshmellow auf der Stelle wollen. Sie sagen: «Wenn nicht jetzt, wann dann?»

Was lernen Sie daraus?

Dass man als Anlageberater sein eigenes Potenzial langfristig einsetzt, indem man den Kunden in den Vordergrund stellt und nicht primär die eigenen, kurzfristigen Interessen.


Howard Marks ist Co-Chairmann von Oaktree Capital Management, einer Vermögensverwaltungsfirma, die er 1995 mitgründete, und die heute mehr als 100 Milliarden Dollar verwaltet. Der Amerikaner studierte an der Wharton School of the University of Pennsylvania sowie an der Booth School of Business of the University of Chicago. Mittlerweile blickt er auf einen fast 50-jährigen Leistungsausweis als umsichtiger Investor zurück. Das US-Magazin «Forbes» schätzt das private Vermögen von Howard Marks auf gut zwei Milliarden Dollar.

Er arbeitete zunächst für die Firmen Citicorp und TCW, bevor er sich selbständig machte. Der 70-jährige Finanzexperte ist in den USA einer breiteren Öffentlichkeit für seine direkten, ungeschminkten Anlagekommentare bekannt, die er gerne mit alten Volksweisheiten paart. Er publizierte auch mehrere Bücher, darunter sein erfolgreichstes mit dem Titel «The Most Important Thing: Uncommon Sense for the Thoughtful Investor». Dieses Interview fand am Rande einer Veranstaltung des Cancer Charity Support Fund statt.