Alle wollen nachhaltig investieren, wissen aber nicht, wie. Martin Enz berät Stiftungen, die nach ESG- oder SRI-Kriterien anlegen, und entwickelt mit ihnen individuelle Anlagestrategien und -richtlinien.
Interview mit Martin Enz, Senior Partner und Teilhaber, FINAD
Herr Enz, was sind die grössten Herausforderungen für Stiftungen, die nachhaltig anlegen wollen?
Die Herausforderungen beginnen bei der Wertedefinition und damit bei der Anlagestrategie. Wenn das Korsett zu eng geschnürt ist, schränkt das die Titelauswahl und Renditechancen ein. Stiftungen können in drei Stufen nachhaltig anlegen.
Das negative Screening schliesst unerwünschte Industrien, Firmen mit kontroversen Geschäftspraktiken oder gewisse Produktionsmethoden aus, zum Beispiel Pharmafirmen, die auf Tierversuche setzen. Das positive Screening schliesst Unternehmen ein, die sich den 17 nachhaltigen Entwicklungszielen der Uno verschrieben haben.
Impact setzt auf Unternehmen, die messbar etwas bewirken, beispielsweise mit erneuerbaren Energien. Wir prüfen alle Firmen und Anlagefonds mit den ESG-Datenbanken von ISS, MSCI und Screen17. Stiftungen mit soliden Richtlinien schliessen mit dem negativen Screening etwa die Hälfte aller Unternehmen aus, bei anderen sehr strengen Ansätzen werden bis 90 Prozent ausgeschlossen.
Da bleiben manchmal kaum genügend Anlagen übrig, um das Vermögen einer Stiftung ausreichend zu diversifizieren.
Wo sehen Sie den grössten Mehrwert unabhängiger Berater für Stiftungen?
Ein anbieter- und produktunabhängiger Berater trennt die Spreu vom Weizen. Mit ESG-Datenbanken können mehr als 50'000 Anlagefonds analysiert werden. Wer sich nicht täglich damit auseinandersetzt, ist verloren. Vor kurzem habe ich für eine Stiftung mit einem positiven Screening einen Immobilienfonds gesucht.
Dafür habe ich alle in Frage kommenden Fonds mit ESG-Datenbanken und Fondsdokumentationen geprüft und mit den Anbietern gesprochen. Natürlich verfügten alle Fondsmanager über einen integrierten ESG-Ansatz. Als ich nachgehakt habe und wissen wollte, wie die Prozesse und Kriterien konkret aussehen, wurden die Aussagen teilweise sehr vage.
In letzter Zeit tragen immer mehr Anlageprodukte ein Nachhaltigkeitslabel. Wie behalten Sie den Überblick?
Labels sagen manchmal wenig aus. Wichtiger sind Ratings und noch wichtiger die Prüfung nach relevanten Einzelkriterien, von denen es mehr als 8000 gibt. Wir suchen Anlagen nicht nach Label aus, sondern nach den Ratings, und analysieren die Datenbank nach den für den Kunden relevanten Kriterien, die sehr unterschiedlich sein können.
Bei der letzten Strategie, die ich mitentwickelt habe, haben wir die Fonds in drei Klassen unterteilt. Zuerst liquide Fonds, die 20 Kriterien erfüllen und zu den Top-10-Prozent-Fonds gemäss ISS und MSCI gehören. Dann geschlossene Fonds, die nicht gehandelt werden, mit vertieften Analysen und Berichten, die auch positive Beiträge zu den Zielen bewerten.
Bevor wir sie empfehlen, machen wir eine Due Diligence: Interviews mit den Verantwortlichen, Studium der einschlägigen Berichte und Prüfung des Leistungsausweises. Zuletzt Restricted Investment Universe Funds, die per Definition keine Negativkriterien verletzen, beispielsweise Immobilien.
Sollten Stiftungen in der Lage sein, ihre Vermögen selbst nachhaltig anzulegen und zu verwalten?
Ja, wenn das Know-how und die Ressourcen vorhanden sind. Die meisten Stiftungsräte engagieren sich ehrenamtlich, vielen fehlt das notwendige Anlagewissen, das Nachhaltigkeits-Know-how und vor allem die Zeit. In diesem Fall sollte sich eine Stiftung überlegen, wie sie ihre finanziellen Ziele effizient erreichen und ihren Stiftungszweck erfüllen kann.
Sie kann die Arbeit delegieren, aber nicht die Verantwortung. Es empfiehlt sich ausserdem, die organisatorische Struktur für die Vermögensanlagen generell zu überdenken, um Effizienz und Professionalität zu verbessern. Dazu gehört ein Investment Committee, das den Stiftungsrat entlastet und von einem unabhängigen Berater unterstützt wird.
Ist es aufwendig, nachhaltige Anlagestrategien zu entwickeln, umzusetzen und zu überwachen?
Nicht zwingend. Das hängt von der Grösse der Stiftung und Expertise des Beraters ab. Wenn ein Berater andere Stiftungen betreut, muss er das Rad nicht neu erfinden und kann dieselben Werkzeuge nutzen. Am meisten zu tun geben die Wertedefinition und Anlagestrategie.
Wir haben unsere Prozesse weitgehend optimiert und darum mehr Zeit für die Beratung. Ausserdem teilen wir unser Wissen mit dem Stiftungsrat und schulen, falls gewünscht, die Mitarbeitenden.
Wie stellen Sie sicher, dass die Vermögen der Stiftungen ESG- oder SRI-konform investiert werden?
Zum einen hinterfragen wir die Werte. Wenn ein Stiftungsrat beispielsweise Unternehmen ausschliessen will, die Menschenrechte verletzen, fragen wir, was er unter Menschenrechtsverletzungen versteht. Das komplette Portfolio prüfen wir alle drei Monate und suchen Abweichungen von den Werten.
Wenn beispielsweise ein Automobilhersteller wie Volkswagen wegen des Dieselskandals massiv an Glaubwürdigkeit verliert, passen wir das Portfolio sofort an. Greenwashing kann bei Anlagefonds ein Problem sein, weil manche intransparent sind. Deswegen sind Interviews und eine sorgfältige Due Diligence so wichtig.
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