Der Anteil an Unternehmen in Schwellenländern, die Dividenden zahlen, ist in den vergangenen Jahrzehnten rasant gestiegen. Mittlerweile tun dies rund 90 Prozent. Investorinnen und Investoren eröffne sich damit ein attraktives Jagdrevier für Erträge und Kapitalwachstum, sagt Karsten-Dirk Steffens vom schottischen Asset Manager abrdn im Interview.


Herr Steffens, Income-Investoren suchen nach neuen Anlagemöglichkeiten. Was raten Sie ihnen?

Die Herausforderung für Income-Investoren besteht darin, ein Unternehmen zu finden, das nicht nur eine attraktive Ausschüttung für seine Aktionäre liefert, sondern dies auch langfristig tun kann.

Hier bieten die Schwellenländer (Emerging Marekts, EM) ein fruchtbares Jagdrevier für Erträge und Kapitalwachstum.

«Wie gut ein Unternehmen auch geführt sein mag, es muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein»

Der Anteil der Schwellenländer-Unternehmen, die eine Dividende zahlen, ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich gestiegen. Mittlerweile tun dies rund 90 Prozent, und mehr als ein Drittel dieser Unternehmen erzielt eine Rendite von mehr als 3 Prozent.

Auf welche Erkenntnisse und Daten stützt sich abrdn?

Neben einer Fundamentalanalyse berücksichtigen unsere Expertinnen und Experten auch externe Einflüsse. Wie gut ein Unternehmen auch geführt sein mag, es muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, um zu florieren. Wir haben drei wesentliche sektor- und regionenübergreifende mikroökonomische Entwicklungen identifiziert, anhand derer wir potenzielle Unternehmen identifizieren:

  1. Technologie als Plattform
  2. Grüner Übergang
  3. Eine neue Generation von Konsumenten

Können Sie das genauer ausführen?

Bei der «Technologie als Plattform» geht es um einen Entwicklungsprozess, den wir sehr genau verfolgen. Technologie hat dazu beigetragen, dass sich die Schwellenländer von einer Gruppe von Volkswirtschaften, die von Rohstoffen dominiert wurden, zu einer viel stärker diversifizierten Gruppe entwickelt haben.

«Wir sind in ein neues digitales Zeitalter eingetreten»

Viele Unternehmen haben sich Innovationssprünge zu eigen gemacht, indem sie fortschrittlichere Technologien, wie den digitalen Zahlungsverkehr, eingeführt und so den konventionellen, klassischen Wachstumspfad umgangen haben. Dies hat es ihnen ermöglicht, ihre Konkurrenten in den entwickelten Ländern einzuholen oder sogar zu überholen.

Künstliche Intelligenz gehört auch dazu?

Ja. Wir sind in ein neues digitales Zeitalter eingetreten, das von Künstlicher Intelligenz (KI) angetrieben wird. Was das Wachstum im digitalen Zeitalter zu einem so starken Investitionstrend macht, ist die Tatsache, dass viele Schlüsseltechnologien zur gleichen Zeit zusammenkommen.

So wie ein Eisenbahnnetz grosse Investitionen in seine Gleise erfordert, um Züge von A nach B zu bringen, so benötigt die neue digitale Wirtschaft technologische Hardware, um ihre Anforderungen zu erfüllen. Technologie-Hardware bildet ergo die Bausteine für die neue digitale Wirtschaft. Ein grosser Teil davon wird aus Schwellenländern bezogen.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Die weltweit grösste Halbleiter-Produzent ist das taiwanesische Unternehmen TSMC. Dieses liefert Hochleistungs-Chips an grosse globale Marken, darunter Apple, NVIDIA und Intel. In den asiatischen Schwellenländern sind auch Global Player ansässig, darunter der Speicherchip-Hersteller Samsung Electronics, Mediatek, ein taiwanesisches herstellerunabhängiges Halbleiter-Unternehmen, und der Spezialist für die Prüfung von Telekommunikationsgeräten Sporton International.

Ihr zweiter Punkt war der «grüne Übergang». Was hat es damit auf sich?

In den Schwellenländern sind erneuerbare Energien bereits in grossem Umfang vorhanden und entwickelt. Diese Märkte stehen auch bei der Beschleunigung der Energiewende im Mittelpunkt. Zu den Entwicklungen gehören der Ausbau der nationalen Stromnetze in Indien, die Erforschung neuer Technologien wie Kohlenstoffabscheidung und -speicherung oder die Einführung neuer Brennstoffquellen wie Wasserstoff.

«Die Kaufkraft in den Schwellenländern steigt steil an»

Ein Paradebeispiel ist die Elektrobatterie-Technik, die für viele Aspekte der Energiewende bedeutend ist. Es wird erwartet, dass die weltweite Nachfrage nach Lithium-Ionen-Batterien jährlich um etwa 27 Prozent steigt und bis 2030 rund 4'700 GWh erreicht. Dies ist ein Ansporn für Unternehmen wie dem führenden Batteriehersteller LG Chem aus Südkorea.

Gibt es weitere Beispiele?

Viele der für umweltfreundlichere Technologien benötigten Materialien wie Kupfer und Platin werden in den Schwellenländern, insbesondere in Lateinamerika, abgebaut. Die Nachfrage nach Kupfer, das unter anderem in der Photovoltaik, der Windenergie und der Netzbatteriespeicherung verwendet wird, wird von rund 25'000 Kilotonnen (kt) im Jahr 2022 auf fast 40'000 kt im Jahr 2050 steigen.

Davon werden Bergbauunternehmen wie die Kupferproduzenten Grupo Mexico, die Platinproduzenten Anglo American Platinum und der Lithiumförderer Sociedad Quimica y Minera de Chile profitieren.

Was hat es mit dem dritten Punkt, der neuen Generation von Konsumenten, auf sich?

Die Kaufkraft in den Schwellenländern steigt steil an. Einer Zählung zufolge werden im Jahr 2024 113 Millionen Menschen zur globalen Konsumentenschicht gehören, von denen 57 Prozent in China und Indien leben. Dieses Szenario des Konsumwachstums ist günstig für Dividenden zahlende Unternehmen. Es erstreckt sich über mehrere Branchen, darunter Lebensmittel und Getränke, Sportbekleidung, Elektrogeräte, Kraftfahrzeuge, Flughäfen und Finanzprodukte wie Versicherungen oder Banken.

«Wir suchen Unternehmen, die ihr Kapital effektiv nutzen»

Für uns ist einer der wichtigsten Aspekte, dass die Verbraucher einheimischen Marken den Vorzug vor globalen Namen geben. Dies kommt einigen führenden EM-Unternehmen zugute, die in ihren jeweiligen Branchen bereits einen erheblichen Marktanteil erreicht haben.

In China beispielsweise gibt es trotz der seit langem bestehenden Nachfrage nach importierten Premium-Spirituosen wie Whisky immer noch einen starken Markt für Baijiu, eine chinesische Spirituose. Dies hat einigen der führenden Getränkeherstellern des Landes, wie dem Premium-Spirituosenhersteller Wuliangye Yibin, Auftrieb gegeben.

Welche weiteren Faktoren ziehen die abrdn-Experten bei ihren Analysen in Betracht?

Hier setzen wir auf unsere «Follow-the-Cash-Flow»-Analyse, die sich auf Unternehmen mit soliden Bilanzen und attraktiven Fundamentaldaten konzentriert, um Chancen in Cash-generativen Unternehmen zu erkennen, die in der Lage sind, nachhaltige und wachsende Dividenden auszuschütten.

Wir suchen Unternehmen, die ihr Kapital effektiv nutzen, um einen profitablen andauernden Ertragsfluss zu erzeugen. Das bedeutet, dass sie interne Mittel investieren können, um sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Konkurrenten zu sichern, während ihnen gleichzeitig genügend Barmittel verbleiben, um attraktive Ausschüttungen vorzunehmen. Ausserdem suchen wir Unternehmen, bei denen wir ein Potenzial für künftige Erträge sehen.

Unser ausgewogener Zwei-Säulen-Ansatz, bei dem wir 50 Prozent in dividendenstarke und 50 Prozent in wachstumsstarke Unternehmen investieren, zielt darauf ab, die enormen Ertrags- und Wachstumschancen in den Schwellenländern zu nutzen. Die Kombination aus hohen Erträgen und ausreichenden Kapitaleinlagen dürfte unseres Erachtens zu attraktiven, wachsenden Dividendenrenditen für die Aktionäre führen, da diese Unternehmen im Laufe der Zeit weiter expandieren.


Karsten-Dirk Steffens ist als Länderchef Schweiz seit Oktober 2019 für den schottischen Asset Manager abrdn tätig. Seit rund 20 Jahren ist Steffens in Deutschland, Grossbritannien und in der Schweiz in leitenden Funktionen bei bekannten Unternehmen in der Branche tätig, darunter Threadneedle, Axa Investment Managers und Aviva. In Deutschland geboren und aufgewachsen, hat er seinen Lebensmittelpunkt 2007 in die Schweiz verlegt und ist mittlerweile eingebürgert. Er durchlief eine Ausbildung an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie in Frankfurt am Main sowie Weiterbildungen, unter anderem im Managementbereich.


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