Carmine De Franco, Head of Research bei Ossiam, zum Potenzial von Fleischersatzprodukten als Voraussetzung für eine nachhaltige Zukunft – und als interessante Anlagechance.


Herr De Franco, können Sie den Zusammenhang zwischen Fleischverzehr und Umweltschäden erklären?

Keine Frage: Kein Fleisch mehr zu essen, ist die wirkungsvollste Massnahme, die ein Mensch ergreifen kann, um etwas für die Umwelt zu tun. Die zweiteffektivste Massnahme ist, seinen Fleischkonsum drastisch zu reduzieren.

Wir müssen uns die Dimensionen der globalen Lebensmittelindustrie begreiflich machen – und auch, welche Herausforderungen sie für die Umwelt darstellt. Die Lebensmittelproduktion macht etwa ein Zehntel des ungefähren globalen BIP von 88 Billionen Dollar aus1 – und einer Studie zufolge müssten wir 138 Prozent der bewohnbaren Gebiete des Planeten ausschliesslich landwirtschaftlich nutzen, wenn jeder Mensch auf der Welt so viel Fleisch konsumieren würde wie der durchschnittliche amerikanische Verbraucher2. Das ist physisch schlicht unmöglich.

Derzeit ist die Fleischproduktion für 35 bis 40 Prozent der globalen Methanemissionen verantwortlich3 und für 13 bis 18 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen weltweit4. Ausserdem dürfte Wasser in diesem Jahrhundert eine immer knappere Ressource werden – und um ein Kilogramm Rindfleisch zu erzeugen, werden mehr als 15'000 Liter Süsswasser benötigt5.

«Das eröffnet Anlegern erhebliche Chancen»

Das ist längst nicht alles, doch um es auf den Punkt zu bringen: Die globale Agrarindustrie hat de facto ein gewaltiges geotechnisches Experiment angestossen, dessen negative Folgen immer klarer zutage treten. Immer mehr Verbraucher werden sich dessen bewusst und reagieren darauf, indem sie ihr Verhalten ändern. Das eröffnet Anlegern erhebliche Chancen.

Diese lassen sich grob in zwei Kategorien untergliedern: die wachsende Industrie, die pflanzliche Fleischalternativen anbietet und – auf längere Sicht – In-vitro- oder «Kultur»-Fleisch.

Werfen wir einen Blick auf pflanzliche Proteine – wo steht der Markt?

Klären wir vorweg, wovon wir überhaupt sprechen: nicht von eindeutig vegetarischen Produkten, sondern von Burgern, Würstchen und dergleichen aus Soja oder anderen pflanzlichen Proteinen, die anschliessend so behandelt werden, dass sie ähnlich schmecken wie Fleisch und auch ähnlich beschaffen sind. Wir können das nicht exakt in Daten ausdrücken, doch es steht fest, dass die Qualität solcher Nahrungsmittel in den letzten Jahren stark gestiegen ist.

«Der Markt spiegelt diese explodierende Nachfrage wider»

Das Wachstum des Marktes lässt sich aber in Daten fassen: In den USA schossen die Umsätze im Jahresvergleich für eine bestimmte Woche im April letzten Jahres um 200 Prozent in die Höhe. Damals bevorrateten sich viele Verbraucher aufgrund der pandemiebedingten Unsicherheit6. Doch die Zunahme war von Dauer: Für das gesamte Jahr 2020 verdoppelte sich der Umsatz jeden Monat7.

Der Markt spiegelt diese explodierende Nachfrage wider: Impossible Foods ist inzwischen über 4 Milliarden Dollar wert8, der Konkurrent Beyond Meat hat seinen Wert im letzten Jahr mehr als vervierfacht: auf über 8 Milliarden Dollar9. Diese Bewertungen sind durchaus nachvollziehbar, wenn man das für die Branche projizierte jährliche Wachstum von 15,8 Prozent von heute bis 2027 berücksichtigt10. Es ist kaum anzunehmen, dass sich diese Entwicklung langfristig abschwächt.

Was im Labor erzeugtes Kulturfleisch angeht, so steckt diese Branche noch in den Kinderschuhen.

Wir dürfen Fleischersatzprodukte nicht mit In-vitro-Fleisch verwechseln. Um Protein aus Pflanzen zu gewinnen, müssen wir keine neue Methode erfinden. Das machen die Menschen schon seit Jahrtausenden. Doch das sogenannte Fleisch aus dem Reagenzglas ist etwas ganz Neues.

«Klingt gewaltig»

Das zeigt sich auch im Kostenprofil. Der erste Burger aus dem Labor wurde 2013 vom Vorläufer des Startups Mosa Meat entwickelt. Seine Produktion schlug mit über 300'000 Dollar zu Buche11. Inzwischen sind die Kosten auf etwa 10 Dollar gesunken12 – eine beachtliche Leistung, aber immer noch ein stolzer Preis.

Im vergangenen Dezember bekam ein Unternehmen namens Eat Just in Singapur die Zulassung einer Aufsichtsbehörde zum Vertrieb von im Labor gezüchtetem Hühnerfleisch für den menschlichen Verzehr13. Noch ist es teuer, liefert aber einen brauchbaren Konzeptnachweis dafür, dass sich Kulturfleisch zumindest als Premiumprodukt vermarkten lässt. Wir rechnen damit, dass die Aufsichtsbehörden in Amerika und Europa nachziehen.

Wie sind die Aussichten solcher Unternehmen, die «klassische» Fleischindustrie grundsätzlich infrage zu stellen?

Realistisch ist nicht davon auszugehen, dass echte Disruption stattfindet – etwa in dem Sinn, wie Internetunternehmen Printmedien das gesamte Kleinanzeigengeschäft abjagen. Manche Analysen deuten darauf hin, dass spätestens 2040 rund 60 Prozent aller Fleischesser entweder pflanzliche Ersatzprodukte oder Kulturfleisch konsumieren14.

Klingt gewaltig. Die Sache hat aber einen Haken: Im Jahr 2040 wird die Bevölkerung natürlich grösser sein als heute, und es werden mehr Menschen weltweit so leben, wie wir es heute als «westlichen» Lebensstil bezeichnen würden. Auch dürften «Mischprodukte» höchstwahrscheinlich mehr Anklang finden, die Kulturfleisch und pflanzlichen Ersatz kreativ kombinieren.

«Vielleicht kommt nie der Tag, an dem keiner mehr in einem Restaurant ein Steak bestellt»

Unter dem Strich ist die wichtigste Erkenntnis aber, dass es bessere Möglichkeiten gibt, unserem Körper die nötigen Proteine zuzuführen. Angesichts der nachweislichen Umwelteffekte dieser unglaublich ineffizienten Produktionsmethode ist der Anreiz für Veränderungen gross.

Vielleicht kommt nie der Tag, an dem keiner mehr in einem Restaurant ein Steak bestellt, doch man kann sicherlich sagen, dass sich die globale Nahrungsmittelindustrie in den kommenden Jahren stark verändern wird.

1https://www.plunkettresearch.com/industries/food-beverage-grocery-market-research/
2https://www.omnicalculator.com/ecology/meat-footprint
3https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6518108/
4https://skepticalscience.com/animal-agriculture-meat-global-warming.htm
5https://waterfootprint.org/en/water-footprint/product-water-footprint/water-footprint-crop-and-animal-products/
6https://www.ft.com/content/0127984a-6def-4040-9bca-002b6ffd4e0a
7https://gfi.org/blog/plant-based-sales-covid-19/
8https://www.cnbc.com/video/2020/08/31/impossible-foods-turned-plant-based-burger-into-a-billion-dollar-brand.html
9https://finance.yahoo.com/quote/BYND/key-statistics/
10https://www.polarismarketresearch.com/industry-analysis/plant-based-meat-market
11https://www.bbc.com/news/science-environment-23576143
12https://sifted.eu/articles/mosa-meat-raises-55m/
13https://www.nytimes.com/2020/12/02/business/singapore-lab-meat.html
14https://www.kearney.com/documents/20152/2795757/How+Will+Cultured+Meat+and+Meat+Alternatives+Disrupt+the+Agricultural+and+Food+Industry.pdf/06ec385b-63a1-71d2-c081-51c07ab88ad1


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