Vor einem Jahr gewann ein junger Präsident mit einer umfangreichen Reformagenda die Wahlen in Frankreich. Doch finden seither auch Veränderungen statt? Oliver Collin sagt, wie er die Lage einschätzt.

Von Oliver Collin, European Equities Fund Manager, Invesco

Ich bin nach Frankreich gereist, um mir im Land selbst ein Bild von der Lage zu machen, mit Entscheidungsträgern zu sprechen, und um einschätzen zu können, wie die Aussichten für das Land im Vergleich zu den direkt nach den Wahlen gehegten Erwartungen sind.

Bei diesem Besuch habe ich mit Regierungsberatern aus dem Wirtschafts- und Finanzministerium und dem Arbeitsministerium sowie mit Beratern von Emmanuel Macron, mit Mitgliedern seiner Partei La République en Marche (LREM) und mit Vertretern einer unabhängigen Denkfabrik gesprochen.

Ich habe dabei viele Erkenntnisse gewonnen, und die Ergebnisse waren vielversprechend. Vor allem Macrons enge Mitarbeiter haben mich sehr beeindruckt. Sie alle haben klargemacht, dass in Frankreich wirklich eine Wende angestrebt wird. Französische Politiker haben immer wieder von einem «Wandel» gesprochen. Doch diesmal könnte es wirklich klappen, und zwar aus folgenden fünf Gründen.

1. Eine neue Mannschaft

Macron und sein Team haben Frankreichs politische Landschaft in Rekordzeit umgekrempelt. Noch vor zwei Jahren gab es die LREM nicht einmal. Jetzt verfügt sie über eine absolute Mehrheit von 60 Prozent in der Nationalversammlung (Assemblée Nationale).

Von den 310 Abgeordneten der LREM sitzen 281 zum ersten Mal im Parlament. Sie kommen hauptsächlich aus dem privaten Sektor und verfügen über sehr unterschiedliche Hintergründe. Die meisten von ihnen wurden von Macrons Liberalismus in wirtschaftlichen und kulturellen Fragen angezogen, glauben an seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen und scheinen sich in der Politik zu engagieren, weil sie wirklich etwas bewirken und nicht, weil sie Karriere machen wollen.

Die LREM konzentriert sich auf eine Reformagenda, die ihrerseits aus vier zentralen Punkten besteht: a) Verbesserung des Umfelds für Unternehmen in Frankreich (durch Arbeitsmarkt- und Steuerreformen), b) Steigerung der Produktivität (durch Technologie und bessere Ausbildung), c) soziale Gerechtigkeit (inklusive Wachstum, Erneuerung des Gesellschaftsmodells) und d) Sanierung der öffentlichen Finanzen.

Der Begriff «Reformen» dient der LREM nicht nur als Wahlkampf-Slogan, sondern ist Bestandteil des Selbstverständnisses der Partei. Die Partei hat den französischen Wählern ein detailliertes und klares Reformprogramm vorgelegt und möchte, dass Macrons Präsidentschaft an diesem Massstab gemessen wird.

2. Fokus auf Umsetzung

Aus meinen Gesprächen nahm ich den Eindruck mit, dass das Land zum ersten Mal seit langer Zeit von Politikern regiert wird, die etwas von Wirtschaft verstehen. Im Parlament sitzen viele neue und begeisterungsfähige Abgeordnete. Ihnen ist klar, dass der öffentliche Sektor in Frankreich mehr Lösungen und Initiativen aus dem privaten Sektor benötigt, um Kosten zu sparen und die Effizienz zu erhöhen.

Ausserdem liegt der Fokus klar auf den Inhalten. Lokalen Experten zufolge sind die neuen Gesetze sinnvoll. Es gibt keine Tabus, und alle Themen kommen auf den Tisch. Der Regierung ist klar, dass Frankreichs wirtschaftliches und politisches Comeback notwendig und aus strategischen Gründen für die Zukunft wichtig ist. Ausserdem wurde in den Gesprächen deutlich, dass Wert auf Vereinfachung gelegt wird: Einer Anekdote zufolge sollen für jedes neu verabschiedete Gesetz zwei andere Gesetze zurückgenommen werden. Dies ist zugegebenermassen nicht leicht, aber immerhin ist die Absicht vorhanden. Dies sagt viel über die Mentalität der französischen Regierung aus.

3. Günstiges Umfeld

In Frankreich sowie in Europa insgesamt findet derzeit eine sehr robuste und breit basierte Konjunkturerholung statt. Die Konjunkturbeschleunigung wird vor allem von einem Anstieg der Binnennachfrage getragen, nachdem der Konsum und die Investitionen nach zwei ernsthaften Finanzkrisen über Jahre hinweg gedämpft blieben.

Die Arbeitslosenzahlen sinken, die Banken vergeben wieder Kredite, und das Vertrauen ist bei Verbrauchern und Unternehmen hoch. Dieses makroökonomische Umfeld ist sicherlich günstig für die Umsetzung von Macrons Strukturreformen, da die notwendigen Korrekturen vorgenommen werden können, ohne dass es zu ernsthaften Rückschlägen kommt – womit gegebenenfalls zu rechnen wäre, wenn solche Massnahmen in einem Abschwung ergriffen würden.

a. BIP-Wachstum in Frankreich
(gg. Vorjahr)

b. Arbeitslosenquote in Frankreich
(in Prozent)

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Quelle: Bloomberg; Stand: 28. Februar 2018.

4. Freie Hand

In früheren Jahrzehnten verfügten manche Regierungen zwar über die notwendigen Mehrheiten, waren aber nicht reformbereit. Andere dagegen wollten zwar Reformen umsetzen, hatten aber nicht die erforderliche Mehrheit. Macron und seine Mannschaft treffen dagegen auf wenig Widerstand in den Medien, können neu beginnen (und müssen keine Altthemen aufarbeiten) und haben umfangreiche Unterstützung in der Bevölkerung gewonnen. Sie haben also sowohl den Willen als auch die notwendigen Mehrheiten für einen Wandel.

Das Kabinett ist nicht durch weltanschauliche Zwänge oder Absprachen mit anderen Parteien gebunden. Frühere Regierungen waren mit lautstarkem Widerspruch konfrontiert (manchmal auch aus den eigenen Reihen), wenn sie Reformen einleiten wollten, und mussten zuweilen Rückzieher machen. Heute jedoch herrscht in Frankreich die Auffassung vor, dass Macron niemandem etwas schuldet – er ist nur dem Wahlprogramm verpflichtet, das er den Franzosen vorgelegt hat.

Macrons starke Stellung in Exekutive und Legislative wird allerdings auch mit dem Argument kritisiert, dass die dominante Position des Präsidenten seine Rechenschaftspflicht unterwandere. Aus Sicht der Regierung haben die Franzosen jedoch dem neuen Präsidenten ein starkes Mandat und freie Hand für die Umsetzung der dringend erforderlichen Reformagenda gegeben.

5. Günstiger Zeitpunkt

Vor einigen Jahren war es für den französischen Präsidenten recht schwierig, sich auf der internationalen Bühne neben dem charismatischen Präsidenten Barack Obama, der damals unantastbaren Bundeskanzlerin Angela Merkel und einem allgegenwärtigen Grossbritannien, das noch Teil des europäischen Projekts war, zu behaupten. Heute sind im Weissen Haus neue Zeiten angebrochen, Merkel ist geschwächt, und in Grossbritannien ist der Brexit das zentrale Thema.

Der Zeitpunkt ist also günstig für den jungen Präsidenten Macron, sich als unverbrauchte Stimme zu präsentieren und auf globaler Ebene Veränderungen anzustossen. Dies kann ihm innenpolitisch weitere Unterstützung verschaffen und ihn beflügeln.


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