Die Nachfrage sehr vermögender Familien nach umfassenden und integrierten Family-Office-Dienstleistungen wächst rasant. Dies bietet auch Privatbanken Chancen – sofern sie die richtigen Voraussetzungen mitbringen.

Von Benjamin Vetterli Senior Family Advisor UHNWI bei LGT Bank Schweiz

Gemäss einer Studie von Deloitte setzen sehr vermögende Familien vermehrt auf die umfassenden Dienstleistungen von Family Offices, um ihr Vermögen verwalten zu lassen. Das Beratungsunternehmen erwartet deshalb ein weiterhin überdurchschnittliches Wachstum in diesem Segment.

So soll weltweit die Anzahl Family Offices bis 2030 um rund 75 Prozent auf knapp 11'000 zunehmen und die von ihnen verwalteten Vermögen um 73 Prozent auf etwa 5.4 Billionen US-Dollar ansteigen. Diese Entwicklung kann Banken nicht kalt lassen: Family Offices übernehmen nämlich nicht nur Teile ihrer Wertschöpfungskette, sondern gelten auch als besonders preissensible Bankkunden.

«Zum Gamechanger könnte der Trend zum Virtual Family Office werden»

Auf finews.ch war in diesem Zusammenhang kürzlich von einem «deutlichen Warnzeichen für Privatbanken und Vermögensverwalter» die Rede. Obwohl die Befürchtungen auf Bankenseite berechtigt sind, müssen sie diese Entwicklung aber nicht tatenlos hinnehmen.

Zum Gamechanger für gut aufgestellte Privatbanken und auch für vermögende Familien könnte nämlich der Trend zum «Virtual Family Office» (VFO) werden. Dieses stützt sich nicht auf eigene Angestellte, Infrastruktur und Büros, sondern auf ein durch die Familie definiertes virtuelles Netzwerk von externen Spezialisten und Dienstleistungen.

Verschiedene FO-Modelle im Vergleich

Um das Revolutionäre am VFO besser zu verstehen, lohnt sich ein kurzer Blick auf die aktuell dominierenden Family-Office-Formen, nämlich das Single Family Office (SFO), das Multi Family Office (MFO) und das Embedded Family Office (EFO), die jeweils ihre eigenen Stärken und Schwächen haben.

  • Ein Single Family Office ist eine eigenständige rechtliche Einheit, die von einer wohlhabenden Familie für die Verwaltung ihrer finanziellen und persönlichen Angelegenheiten gegründet wird. Je nach Ausgestaltung und Bedürfnissen bietet ein eigens angestelltes Team der Familie umfassende Dienstleistungen an, darunter Vermögensverwaltung, Administration, Steuer-, Rechts- und Buchhaltungsdienste, Koordinierung des philanthropischen Engagements und manchmal sogar Concierge-Dienste. Der Hauptvorteil eines SFO besteht darin, dass es einen sehr persönlichen und massgeschneiderten Service bieten kann. Nachteilig sind jedoch die sehr hohen Kosten, die in der Regel ein beträchtliches Vermögen (in der Regel weit über 100 Millionen Franken) erfordern, um die Kosten für den Betrieb eines eigenen Teams zu rechtfertigen.
  •  Ein Multi-Family Office bietet auf Vertragsbasis gleichzeitig mehreren wohlhabenden Familien eine Reihe von Dienstleistungen an, die denen eines SFO ähneln, allerdings auf einer geteilten Basis. Durch die Bündelung von Ressourcen können MFOs anspruchsvolle Vermögensverwaltungs- und Family-Office-Dienstleistungen zu niedrigeren Kosten für einzelne Familien anbieten. Diese profitieren somit von Skaleneffekten und dem Zugang zu einem breiteren Spektrum an Fachwissen. Naturgemäss kann ein MFO aber nicht den gleichen individualisierten Service bieten wie ein SFO, und es ist für Familien schwierig, aus der Vielzahl von Anbietern den für ihre Bedürfnisse passenden zu finden.
  • Ein Embedded Family Office arbeitet innerhalb einer bestehenden Unternehmensstruktur, meist des Familienunternehmens. Es nutzt dessen Ressourcen, Personal und Infrastruktur, um Family-Office-Dienstleistungen zu erbringen. Die Familie beauftragt beispielsweise den CFO, sich auch um die private Vermögensverwaltung zu kümmern. Dieses Modell kann kosteneffektiv und effizient sein, da es die vorhandenen Beziehungen und Fachkenntnisse des Unternehmens nutzt. Da das Hauptaugenmerk jedoch weiterhin auf dem Unternehmen und nicht auf den umfassenderen Vermögensverwaltungsbedürfnissen der Familie liegt, kann teilweise das Know-how fehlen, und es kann auch zu Interessenkonflikten kommen.

Vor diesem Hintergrund bietet sich vermögenden Familien, für die ein SFO zu teuer ist, mit dem VFO-Modell ein neuer und innovativer Ansatz für die ganzheitliche Verwaltung und Betreuung ihres Vermögens. Insbesondere können sie von folgenden Vorteilen profitieren:

  1. Zugang zu Fachwissen
    Durch das «Anmieten» beispielsweise eines Chief Investment Officer und anderer Spezialisten kann die Familie von einem breiten Spektrum an Fachwissen profitieren, das auf ihre spezifischen Anforderungen zugeschnitten ist. Im Vergleich zum MFO ist eine individuellere Betreuung möglich und gleichzeitig sichergestellt, dass die Familie auf qualitativ hochwertige Beratung und strategisches Know-how zählen kann, ohne den Overhead eines internen Teams tragen und sich langfristig verpflichten zu müssen.
  2. Flexibilität und Skalierbarkeit
    Das VFO-Modell ermöglicht es der Familie, den Dienstleistungsumfang flexibel zu erweitern oder zu reduzieren. Ganz gleich, ob sie Dienstleistungen beispielsweise im Asset Management, in der Steuerplanung oder in der Nachlassplanung benötigen, kann sie nach Bedarf die entsprechenden Expertinnen und Experten hinzuziehen.
  3. Kosteneffizienz
    Anders als bei einem SFO muss die Familie bei einem VFO nicht die vollen Kosten für ein eigenes Büro und Personal tragen. Durch die Nutzung eines Netzwerks von externen Beratern und den Einsatz von Technologie bietet ein VFO Zugang zu klassischen Family-Office-Dienstleistungen zu einem Bruchteil der Kosten.

Aufbau, Integration und Koordination

Damit ein solches virtuelles Netzwerk im Sinn der Familie funktioniert, müssen sämtliche Aspekte ihrer finanziellen Angelegenheiten nahtlos integriert werden. Dies umfasst beispielsweise ein konsolidiertes Vermögensreporting, welches den Familien einen umfassenden Überblick ihrer Vermögenswerte, deren Performance und Kosten über eine beliebige Anzahl von Depotbanken und Ländern hinweg bietet.

Auf dieser Basis kann die Familie ihre Investitionen überwachen. Je nach konkretem Bedarf kann sie sich bei der strategischen Asset Allocation, Portfoliomanagement, Administration, Steuer- und Nachlassplanung, Philanthropie oder Family-Governance-Aspekten von einem virtuellen Netzwerk externer Spezialistinnen und Spezialisten beraten und unterstützen lassen.

«Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist eine Privatbank ausgezeichnet positioniert»

Und genau hier bieten sich einer breit aufgestellten Privatbank grosse Chancen: Eine solche Privatbank ist im Idealfall nicht nur eng vertraut mit den Bedürfnissen sehr vermögender Familien, sondern verfügt in der Regel auch über das notwendige Inhouse-Know-how in den verschiedenen Disziplinen, über ein gutes Netzwerk externer Spezialistinnen und Spezialisten sowie über eine geeignete Technologieplattform.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist sie ausgezeichnet positioniert, um gemeinsam mit einer Familie ein VFO aufzubauen und ihr zentrale Dienstleistungen und Plattformen in-house oder im Netzwerk zur Verfügung zu stellen.

Wie die LGT hierbei vorgeht, möchte ich am konkreten Beispiel einer im Immobiliengeschäft tätigen Familie erläutern, für die wir kürzlich ein VFO aufgebaut haben: Zunächst erstellten wir eine sehr gründliche Analyse ihrer aktuellen finanziellen Situation.

Dies umfasste die Überprüfung der bestehenden Investments, das Verständnis der Renditeerwartungen, der Risikotoleranz sowie die Ermittlung der langfristigen finanziellen Ziele. Das Ergebnis dieser Analyse bildete die Grundlage zur Formulierung massgeschneiderter Anlagerichtlinien, das Aufsetzen eines Familien-Investment-Komitees und die Definition von Prozessen zur systematischen Überwachung und Steuerung der Investments.

«Darüber hinaus zogen wir Steuerspezialisten, Nachlassplaner und andere Experten hinzu»

Als Nächstes halfen wir der Familie, ein auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes Netzwerk von Beratern zu finden und zu engagieren. Hierzu gehört ein von der LGT «gemieteter» CIO, der die Familie in den vierteljährlichen Sitzungen des Anlageausschusses zu ihrer Anlagestrategie und langfristigen Trends berät sowie einen Ausblick auf die Finanzmärkte gibt.

Darüber hinaus zogen wir Steuerspezialisten, Nachlassplaner und andere Experten hinzu, um eine umfassende und integrierte Vermögensverwaltung zu gewährleisten. Dank unseres konsolidierten Vermögensreportings konnten wir der Familie ein zentrales System zur Verfolgung und Berichterstattung über alle finanziellen Aktivitäten zur Verfügung stellen.

Dies ermöglicht ihr einen umfassenden Überblick über sämtliche Investitionen und das finanzielle Gesamtbild inklusive des Vergleichs von Performance, Kosten sowie Risiken und erleichtert ihr die fundierte Entscheidungsfindung.

Konklusion

Das Virtual Family Office hat sich in diesem Fall für die Familie als ideale Lösung erwiesen. Durch die Nutzung eines Netzwerks externer Berater und fortschrittlicher Technologie hat sie den Zugang zum gleich hohen Niveau an Fachwissen und Dienstleistungen, das typischerweise mit einem traditionellen Family Office verbunden ist.

Die damit verbundenen laufenden Kosten fallen jedoch deutlich tiefer aus. Es ist davon auszugehen, dass immer mehr Familien nach effizienten und flexiblen Möglichkeiten zur Verwaltung ihres Vermögens suchen werden und das Modell des Virtual Family Office zunehmend beliebter werden wird.

Diejenigen Privatbanken, die über eine breite Palette an Know-how im UHNWI-Bereich sowie die entsprechende Technologie verfügen und den Zugang zu den richtigen Netzwerken aufweisen, haben deshalb im Wettbewerb um das wachsende Segment der Superreichen sehr gute Karten in der Hand.


Benjamin Vetterli ist seit vier Jahren bei der LGT Bank Schweiz als Senior Family Advisor UHNWI tätig. Er berät seit über 25 Jahren Unternehmen, sowie Unternehmerinnen und Unternehmer in steuerlichen, Governance- und rechtlichen Fragestellungen. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich, bestandener Anwaltsprüfung und Abschluss der Ausbildung zum eidgenössisch diplomierten Steuerexperten führte sein Weg über PwC im Bereich Tax zu einer Schweizer Grossbank, wo er in verschiedenen leitenden Rollen verantwortlich für die Steuer-, Finanz- und Nachfolgeberatung von Kunden in der Schweiz war.