Die jüngste Zinssenkung in den USA lässt sich durchaus mit den Massnahmen der amerikanischen Zentralbanken im Jahr 1998 vergleichen. Doch die wahre Geschichte ist, was als nächstes geschieht.

Von Vincent Reinhart, ehemaliges Mitglied der US-Notenbank und heute Chefökonom bei Mellon und weiteren BNY-Mellon-Experten

Die amerikanische Notenbank (Federal Reserve, Fed) hat die Zinsen nicht gesenkt, weil sich ihre Prognose für die Wirtschaft erheblich verschlechtert hat, sondern weil die Abwärtsrisiken steigen und die Inflation niedrig bleibt.

In diesem Sinne lässt sich dieser Schritt als «Abschluss einer Versicherung» bezeichnen. Aus diesem Grund halten wir es auch für unwahrscheinlich, dass damit ein wichtiger Lockerungszyklus eingeleitet wird – es sei denn, eine dieser Abwärtsrisiken tritt in den kommenden Monaten ein.

Wenn nicht jetzt, wann dann?

In den Wochen vor der Entscheidung vom 31. Juli 2019 hatte der Markt zwei Kürzungen für 2019 und zwei für 2020 veranschlagt. Einige Auguren dachten auch, dass die Kürzung im Juli um 50 Basispunkte erfolgen würde. «Die vorhandenen Daten deuteten auf diesen Schritt hin, da angesichts der guten Beschäftigungszuwächse und den über den Erwartungen liegenden Verbraucherpreisen der vergangenen Monate es für die Fed schwer gewesen wäre, eine Kürzung um mehr als diese 25 Basispunkte zu rechtfertigen.

Einige Mitglieder des Federal Open Market Committee (FOMC) tendierten jedoch zu 50 Basispunkten. Dies wirft die Frage auf, wenn nicht jetzt, wann dann?» sagt Vincent Reinhard. Das Risiko ist, dass dies das Biest nährt, indem es die Erwartungen kaum erfüllt und solche für zukünftige Zinssenkungen schürt. Medienberichte über «Wann wird die Fed mehr tun?» sollten besorgniserregend sein.

Paul Brain, Leiter Fixed Income bei Newton, kommentiert: «Die richtige Story kommt erst noch: Die Rentenmärkte (und Aktien ebenfalls) haben eine Herabsetzung der Obergrenze des Zielbandes für die Fed Funds Rate von 2,5 auf 2,25 bereits vollständig eingepreist. Doch bei zweijährigen Renditen von 1,80 Prozent wird mit weiteren Zinssenkungen gerechnet.

Vergeichbar mit 1998

Nun wird sich die Aufmerksamkeit darauf richten, wie zurückhaltend die Fed klingt und wonach sie möglicherweise sucht, um zu bestätigen, dass weitere Zinssenkungen erforderlich sind. Bisher liegt das Augenmerk auf der Schwäche der Weltwirtschaft und der fehlenden Inflation (unter 2 Prozent). Wenn sich die Geschichte zu einer inländischen Angelegenheit entwickelt, werden alle Augen auf den Dollar gerichtet sein – und wie er reagiert.

Diese jüngste Senkung ist eher mit den Massnahmen der Fed von 1998 zu vergleichen, als sie die Zinsen innerhalb von drei Monaten um 75 Basispunkte reduzierte, um die Risiken zu verringern, die mit den damaligen globalen Faktoren verbunden waren.

Demografie als Treiber

Die Experten von BNY Mellon Investment Management glauben nicht, dass der jüngste Schritt der Fed auf einen grossen Lockerungszyklus hindeutet, der zu einem Nullzins- oder zumindest einem sehr niedrigen Zinsumfeld führt.

Gautam Khanna, Senior Leader für Fixed Income bei Insight Investment, erklärt: «In den USA sehe ich nicht den gleichen Grad an demografischen Problemen wie in Japan und Westeuropa. Wenn man sich andere Teile der Welt anschaut, etwa Japan mit mehr als 20 Jahren an Rekordtiefs, war der grösste Treiber die Demografie – und die USA haben dieses Problem nicht in diesem Umfang.»

Weiterer Abwärtsdruck

Khanna warnt jedoch vor einem weiteren Faktor, der weiteren Abwärtsdruck ausüben könnte: die anhaltende Differenz zwischen den Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen, die zuletzt über 2 Prozent lagen, und den entsprechenden Staatsanleihen in anderen Industrieländern wie den deutschen zehnjährigen Bundesanleiherenditen, die seit Anfang Juni zwischen -0,20 und -0,40 Prozent lagen. Zwei weitere Senkungen bis Ende 2019 sieht er jedoch kaum: «Ich denke, dass drei Senkungen 2019 angesichts der Stärke des Verbrauchers und der aktuellen Arbeitslosenquote ein wenig aggressiv wären.»