Mit ihrer restriktiveren Geldpolitik könnten die grossen Zentralbanken bei einer weiteren Zuspitzung des Handelsstreits kalt erwischt werden, warnt Kristina Hooper von Invesco.

Von Kristina Hooper, Chief Global Market Strategist, Invesco

Als erstes traf sich die US-Notenbank (Federal Reserve, Fed) zu ihrer Juni-Sitzung und sendete gleich mehrere restriktivere Signale aus. Die vermutlich wichtigste Änderung betrifft den Wegfall der Aussage, dass die «Federal Funds Rate1 vermutlich noch einige Zeit unter dem langfristig erwarteten Niveau liegen» werde. Ausserdem sprach die Fed auch nicht mehr davon, dass das Wachstumstempo lediglich für «allmähliche» Zinserhöhungen spräche.

Die neue Stimmungslage wurde auch im angepassten «Dot Plot» deutlich, mit dem die Fed ihren Ausblick für den Verlauf der Zinssätze signalisiert. Dieses zeigte, dass die Geldhüter den Durchschnittsschätzungen zufolge für 2018 jetzt mit vier Zinserhöhungen rechnen, gefolgt von drei weiteren Zinsschritten 2019.

Meine wichtigsten Schlüsse aus der Juni-Sitzung des Fed-Offenmarktausschusses (FOMC)2:

  • Auf der anschliessenden Pressekonferenz beschrieb der Fed-Vorsitzende Jerome Powell die Inflationsdaten als «ermutigend», fügte aber hinzu, dass es noch zu früh sei, «den Sieg auszurufen». Angesichts der aktuell niedrigen Arbeitslosigkeit und sehr restriktiven Einwanderungspolitik der USA sehe ich allerdings nicht, wie ein Lohnwachstum hier ausbleiben könnte. Ausserdem dürften steigende Inputkosten als Folge höherer Einfuhrzölle die Inflation anheizen. Daher rechne ich künftig auch mit einem Anziehen der Inflationsdaten. Da die Fed aber klargestellt hat, dass sie ein temporäres Überschiessen ihres Inflationsziels zulassen würde, glaube ich bis auf weiteres nicht, dass sie ihre Geldpolitik noch stärker straffen wird.
  • Die Fed macht sich aktuell noch keine Sorgen über einen Handelskrieg. Wie Powell sagte, gibt es zunehmend Sorgen bei den Unternehmen, dass der Handelsstreit die Wirtschaft belasten könnte. In den Konjunkturdaten sei davon allerdings bislang nichts zu bemerken. Ich glaube, dass eine Verschärfung des Handelskonfliktes mit entsprechendem Abwärtsdruck auf die Wirtschaft die Fed auf dem falschen Fuss erwischen könnte. Eine vierte Zinserhöhung in diesem Jahr würde den Druck auf die Wirtschaft nochmals erhöhen. Daher könnte die Fed doch noch zurückrudern und es 2018 bei drei anstelle von vier Zinsschritten belassen.
  • Erwähnenswert ist auch, dass die Fed ab 2019 bei jedem Zinsentscheid eine Pressekonferenz abhalten will. Das dürfte dem FOMC mehr Flexibilität geben, was den Zeitpunkt der Ankündigung von Zinsschritten angeht.

Schrittweises Ende der quantitativen Lockerung

  • Bei ihrer jüngsten Sitzung hat auch die Europäische Zentralbank (EZB) trotz der Wachstumsverlangsamung im ersten Quartal 2018 und der instabilen Lage in Italien restriktivere Töne angeschlagen und ihre Pläne für die Straffung der Geldpolitik in den kommenden zwölf Monaten vorgelegt: Bis einschliesslich September will die EZB jetzt weiter jeden Monat Anleihen im Wert von 30 Milliarden Euro kaufen.
  • Von Oktober bis Dezember soll das monatliche Ankaufvolumen nur noch 15 Milliarden Euro betragen. Wie die EZB ankündigte, wird sie ihr ultraexpansives QE-Programm3 Ende 2018 beenden, die Zinsen aber bis mindestens Sommer 2019 auf dem aktuellen Niveau halten.

Das Problem besteht darin, dass die Wirtschaft der Eurozone – anders als die der USA – seit der Abschwächung im ersten Quartal 2018 nicht an Schwung gewonnen zu haben scheint. Aus der EZB-Sitzung nehme ich vor allem Folgendes mit:

  • Die EZB-Entscheidung wurde von vielen als akkommodierend gewertet, da die Bank zugesichert hat, die Zinsen frühestens im Sommer 2019 anzuheben. Ich aber halte das QE-Programm weiter für das deutlich machtvollere geldpolitische Instrument. Im aktuellen makroökonomischen und geopolitischen Umfeld werte ich die Festlegung auf ein Enddatum der Anleihenkäufe als restriktives Signal. Dass sich die EZB das Recht vorbehalten hat, das Programm jederzeit wieder aufzunehmen, ist beruhigend. Allerdings würde sie einen solchen Schritt vermutlich nur unter sehr aussergewöhnlichen Umständen in Betracht ziehen.
  • Positiv werte ich die Andeutungen von EZB-Präsident Mario Draghi, dass die Bilanznormalisierung nicht kurzfristig abgeschlossen sein wird, da die EZB auslaufende Anleihen noch für «längere Zeit» nach dem Ende des Programms «und in jedem Fall so lange wie erforderlich» durch den Erwerb neuer Anleihen ersetzen will. Das ist wichtig, um die längerfristigen Zinsen niedrig zu halten und dem potenziell höheren systemischen Druck durch ein Erstarken der Anti-Euro-Bewegungen innerhalb der EU entgegenzuwirken.
  • Sorgen mache ich mir vor allem über mögliche geldpolitische Fehlentscheide. Schliesslich hat selbst Draghi zugegeben, dass «die Unsicherheiten ganz klar zugenommen» haben. Momentan halte ich das Fehlerpotenzial noch für relativ gering. Mit dem näher rückenden Ende von Draghis Amtszeit im Oktober 2019 dürfte es aber zunehmen.

Ultraexpansive Geldpolitik in Japan

Schliesslich fand in der der Woche vom 11. Juni auch noch eine Sitzung der japanischen Notenbank (Bank of Japan, BOJ) zusammen. Anders als die Fed und die EZB zeigte sich diese eher akkommodierend. Die BOJ hielt an ihrer ultraexpansiven Geldpolitik fest und senkte ihre Inflationsprognose. Im ersten Quartal 2018 hat die Wachstumsdynamik in Japan wie in den USA und der Eurozone nachgelassen.

Während die Daten aus den USA aber, wie erwähnt, auf eine deutliche Wachstumserholung im zweiten Quartal 2018 hindeuten, ist von einem derartigen Aufschwung in Europa und Teilen Asiens wenig zu erkennen. Meiner Einschätzung nach befindet sich China in einem sehr moderaten Abschwung, der Auswirkungen auf andere asiatische Länder und Schwellenmärkte haben wird. Dessen ungeachtet gehe ich davon aus, dass sich die japanische Wirtschaft im zweiten Quartal 2018 besser entwickelt haben wird als im sehr enttäuschenden ersten Quartal des laufenden Jahres.

Aus dem BOJ-Entscheid schliesse ich vor allem, dass die japanische Notenbank die ultraexpansive Geldpolitik, ein Erbe der Finanzkrise, wesentlich langsamer zurücknehmen wird als die Fed oder die EZB.

Aufkeimende Sorgen

Meine Hauptsorge besteht darin, dass die Zentralbanken, die einen restriktiveren geldpolitischen Kurs eingeschlagen haben, von einer weiteren Zuspitzung des Handelsstreits kalt erwischt werden könnten. Erst in der vergangenen Woche warnte der Internationale Währungsfonds (IWF) in einem Bericht, dass sich die Welt durch die aktuellen Zollandrohungen «… weiter von einem offenen, fairen und regelbasierten Handelssystem wegbewegen» werde, «mit negativen Folgen sowohl für die US-amerikanische Wirtschaft als auch für ihre Handelspartner.»

Christine Lagarde, Direktorin des IWF, führte weiter aus: «Die Wolken am Horizont werden von Tag zu Tag dunkler. Die grösste und dunkelste Wolke, die wir sehen, ist die Verschlechterung, was das Vertrauen angeht, eine abnehmende Zuversicht gerade angesichts der Versuche, den Handel zu beeinflussen…».

Die Einschätzung, die der Präsident der Federal Reserve Bank of New York, William Dudley, an seinem letzten Tag im Amt abgab, geht in die gleiche Richtung und drückt aus, was viele Ökonomen und Strategen besorgt: «Ich habe Bedenken, dass die aktuellen handelspolitischen Entwicklungen zu höheren Handelsschranken und die Einwanderungspolitik zu deutlich geringeren Einwandererzahlen in den USA und damit einem Rückgang der Produktionskapazität der Wirtschaft führen könnten.»

Grössere Kursschwankungen erwartet

Meiner Ansicht nach zeigt der Trend an den globalen Aktienmärkten zwar weiter nach oben. Ich glaube aber, dass diese Aufwärtstendenz schwächer wird. Für die kommenden Monate sollten sich Anleger auf grössere Kursschwankungen und eine höhere Wahrscheinlichkeit von Kurseinbrüchen an den Aktienmärkten einstellen. Sie sollten wachsam bleiben und ihre Anlagen breit streuen.

1 Der US-amerikanische Leitzins
2 Im FOMC werden die wichtigen finanzpolitischen Offenmarktentscheidungen und die Devisenmarktpolitik festgelegt.
3 QE steht für «Quantitative Easing», eine extreme Form expansiver Geldpolitik, bei der Zentralbanken direkt Wertpapiere ankaufen, um unmittelbar Geld in die Finanzmärkte zu leiten.


Hinweis: Der Wert von Anteilen kann schwanken. Dies kann teilweise auf Wechselkursänderungen zurückzuführen sein. Es ist möglich, dass Anleger bei der Rückgabe ihrer Anteile weniger als den ursprünglich angelegten Betrag zurückerhalten. Stand der Daten: 18. Juni 2018, sofern nicht anders angegeben. Die in diesem Material dargestellten Prognosen und Marktaussichten sind subjektive Einschätzungen und Annahmen des Fondsmanagements oder deren Vertreter. Diese können sich jederzeit und ohne vorherige Ankündigung ändern. Diese Publikation ist nicht Bestandteil eines Verkaufsprospektes. Sie enthält lediglich allgemeine Informationen und berücksichtigt keine individuellen Erwartungen, steuerliche oder finanzielle Interessen.  EMEA4897/2018