Trotz Fortschritte bestehen im Schweizer Hochwasser-Schutz weiterhin Lücken. Eine Studie der Zurich Versicherung empfiehlt, die Gefahrenkarten um Angaben zu Sturzfluten und Oberflächenwasser zu ergänzen.

Die aktuell besten Informationen über Hochwasser-Gefährdungen der Liegenschaften in der Schweiz bietet der Zurich Naturgefahren-Radar.

Wie die Überschwemmungen der vergangenen Tage zeigen, sind die Risiken von Hochwasser in der Schweiz nicht gebannt. Der Klimawandel führt zunehmend zu extremen Wettersituationen, gleichzeitig wächst jedes Jahr die Siedlungsfläche.

In den letzten Jahren kam es trotz teurer neuer Schutzbauten entlang von Flüssen und Bächen jährlich zu Schäden in der Höhe von 320 Millionen Franken. Ähnlich wie in anderen mitteleuropäischen Staaten verwüsteten vermehrt Sturzfluten ganze Teile von Dörfern und fordern immer wieder Menschenleben.

Lücke im Hochwasser-Schutz

Wie eine aktuelle Studie der Zurich Versicherung zeigt, besteht im Hochwasser-Schutz eine Lücke bei den Gefahrenkarten des Bunds und der Kantone. «Es braucht dringend Angaben darüber, wo sich Sturzfluten oder Überschwemmungen durch Oberflächenwasser bilden können», sagt Albrecht Bereuter, Leiter Strategie bei Zurich Schweiz.

Überschwemmungen durch Oberflächenwasser treten einerseits mitten in Siedlungen auf, weil die Kanalisation zu wenig Wasser fasst oder weil Rohre und Abflüsse durch mitgeschwemmte Materialien verstopft sind. Sturzfluten können sich andererseits aber auch an trockenen Hängen bilden, auf denen bei normaler Witterung kein Wasser fliesst.

Daten zu Sturzfluten gehören in Gefahrenkarten

«Die Gefährdung durch Sturzflutereignisse ist nicht rein zufällig verteilt, son-dern dank neuen Technologien und Erkenntnissen räumlich darstellbar», hält die Zurich-Studie «Sturzflut – die unterschätzte Gefahr» fest. Sie regt an, die Gefahrenkarten um die  entsprechenden Informationen zu ergänzen.

In der Studie untersuchte die Zurich eine Unwetter-Katastrophe im Sommer 2016, bei der in Baden-Württemberg und Bayern mehrere Menschen ums Leben kamen und Schäden in Milliardenhöhe entstanden. Die Resultate sind übertragbar auf das Schweizer Mittelland, da die topographischen und klimatischen Voraussetzungen vergleichbar sind und sich die Dichte und die Art der Siedlungsflächen ähneln.

Konzept der Jährlichkeit

In der Schweiz hat der Kanton Luzern bereits eine Karte über das Abfliessen von Oberflächenwasser publiziert, nachdem in Dierikon im Jahr 2015 zwei Menschen wegen einer Überschwemmung durch Oberflächenwasser ihr Leben verloren hatten.

Neben einer genaueren Erfassung der Gefährdung empfiehlt die Zurich-Studie eine neue Art, wie Ingenieure und Forscher diese Gefahr darstellen. In der Baubranche hat sich das Konzept der so genannten Jährlichkeit durchgesetzt. Analysen geben im Regelfall an, wie viele Jahre es dauert, bis ein gewisser Ereignis statistisch gesehen auftritt.

Wahrscheinlichkeit eines Vorfalls

«Ist dann beispielsweise von einem 100-jährlichen Ereignis die Rede, haben die Menschen das Gefühl, während des eigenen Lebens wird ein solches kaum auftreten. Massnahmen scheinen überflüssig», erklärt Bereuter.

Anders sähe es aus, gäben Forscher und Ingenieure konsequent die Wahrscheinlichkeit eines Vorfalls während der geplanten Nutzungsdauer einer Infrastruktur an. «Soll ein Gebäude während 100 Jahren bestehen, heisst das zum Beispiel, dass die Wahrscheinlichkeit bei rund 66 Prozent liegt, dass ein 100-jährliches Extremereignis in dieser Zeitspanne auftritt», sagt Bereuter. «So dargestellt, drängen sich Massnahmen auf und die Menschen sind auch bereit, dafür zu bezahlen.»

Gefährdung für jede Liegenschaft

Über den Naturgefahren-Radar der Zurich Versicherung können Hausbesitzer und Mieter gratis sehen, welche Naturgefahren an ihrer Adresse drohen. Besteht eine Gefährdung, erstellt das Online-Tool einen detaillierten Bericht, mit welchen Massnahmen die Bewohner die Gefahr von Schäden stark reduzieren können.

Das Tool umfasst Tausende Daten aus Gefahrenkarten von Bund und Kantonen und wird laufend aktualisiert. Früher waren diese Daten für Laien weder leicht zu finden noch einfach zu interpretieren. Das Tool macht sie nun allgemeinver-ständlich zugänglich. Neben Angaben zur Hochwassergefahr informiert der Zurich Naturgefahren-Radar auch über drohende Rutschungen, Lawinen, Stürze, Murgängen und Hangmure.

Kleine Massnahmen – grosse Wirkung

Bauliche Massnahmen gegen Überschwemmungen sind oft günstiger als vermutet. Bei Neubauprojekten machen sie meist weniger als 1 Prozent der gesamten Baukosten aus. Auch bei bestehenden Gebäuden lässt sind mit kleinen Massnahmen eine grosse Schutzwirkung erzielen.