Ein Abschied auf Raten vom offenen Welthandel

An die Stelle eines Welthandels ohne Handelshemmnisse treten zunehmend regional orientierte Handelsblöcke. Mit ihrem veralteten Regelwerk vermag die WTO die protektionistischen Tendenzen nicht aufzuhalten. Wirtschaft und Handel sind gefordert, ihr Geschäftsmodell an die veränderten Gegebenheiten anzupassen.

Das Zielbild eines offenen Welthandels, wie ihn die 1995 gegründete Welthandelsorganisation WTO fördern will, weisst zunehmend Risse auf. Zwischen westlichen Demokratien und autokratischen Regimen wie Russland und China tun sich Gräben auf, die unüberwindbar erscheinen. Handelsabhängigkeiten werden als Schwäche angesehen, die sich missbrauchen lässt, um politische Ziele durchsetzen.

«Friendshoring» im Aufwind

Die Folge ist eine verstärkte Umstrukturierung von Lieferketten zu befreundeten Staaten. Konsumentinnen und Konsumenten, die vermehrt regionale Produkte nachfragen, fördern den Trend zum sogenannten Friendshoring zusätzlich. Damit geht eine explosionsartige Verbreitung von Freihandelsabkommen einher, die nicht mehr multilateral, sondern zwischen einzelnen Staaten oder zwischen gleichgesinnten Staatengruppen abgeschlossen werden.

Der jüngst von den USA angezettelte Zollkrieg, auf den die betroffenen Staaten mit Gegenzöllen reagieren wollen, heizt protektionistische Tendenzen weiter an und leistet dem Gesetz des Stärkeren Vorschub. Ausländische Unternehmen, die in den USA produzieren und dort verkaufen, können den schädlichen Zolleffekt umgehen. Lediglich für Importe von Produkten, die es in den USA nicht gibt, dürfen Unternehmen noch mit einer gewissen Befreiung von Zöllen rechnen.

Handeln statt zuwarten

Angesichts solcher Rahmenbedingungen ist die Devise «Wait and See» für die Wirtschaft wenig ratsam. Die Transportlogistik wird sich darauf einstellen müssen, die Versorgung zukünftig mehr regional als global gewährleisten zu können.

Produzierende Unternehmen tun gut daran, ihre Fertigungsketten zu überdenken. Kleinere und mittlere Unternehmen, die sich im Gegensatz zu den grossen Konzernen nicht verschiedene Produktionsstandorte leisten können, werden nicht umhinkommen, lokale Partner vor Ort einzubeziehen. Erneuerungsfähigkeit und Innovationskraft sind vor diesem Hintergrund entscheidende Erfolgsfaktoren.

Die Fragmentierung in verschiedene Handelsblöcke unterminiert zusehends das Vertrauen zwischen den WTO-Mitgliedsstaaten, spaltet sie hinsichtlich der Weiterentwicklung der Gesamtorganisation und schwächt insgesamt die Glaubwürdigkeit der WTO. Die Pandemie, der Angriffskrieg in der Ukraine und zahlreiche weitere kriegerische Konflikte haben das ihre dazu getan respektive tun es weiterhin.

Wenig Hoffnung für eine WTO-Reform

Unter diesen Vorzeichen ist es mehr als fraglich, ob die dringend notwendige Reform des WTO-Regelwerks überhaupt noch gelingen kann. Die Regeln sind seit der Gründung der Organisation weitgehend unverändert geblieben, haben also mit den Entwicklungen im Welthandel nicht Schritt halten können und erschweren respektive verunmöglichen es der WTO, protektionistischen Tendenzen entgegenzuwirken.

Es fehlen moderne Regeln in den Bereichen Investitionen, Schutz geistigen Eigentums oder der Wettbewerbspolitik. Ebenso wenig spiegelt das gültige Regelwerk den inzwischen global verbreiteten Onlinehandel oder den Handel mit Energie und Rohstoffen. Auch Nachhaltigkeitsthemen wie Arbeits- und Umweltstandards, wie sie für Handelsbeziehungen unerlässlich geworden sind, haben in den Regeln bislang keinen Niederschlag gefunden.

Standards anstelle von Regeln?

Ob dieser verfahrenen Situation mehren sich die Stimmen, die fordern, die Rolle der WTO grundlegend zu überdenken. So schlägt die EU vor, die WTO-Konferenzen stärker als Plattform für einen themenorientierten Austausch und Diskussionen auf der Grundlage faktenbasierter Studien zu nutzen und auf diesem Weg Reformen und neue Standards auf globaler Ebene anzustossen. Der Dialog zu Handelsthemen auf globaler Ebene bleibt trotz der Fragmentierung des Handels wichtig.

Prominente Lagebeurteilung an der FINANZ’25

Am 2. April 2025 nimmt Lars P. Feld, Professor für Wirtschaftspolitik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg/Deutschland, an der FINANZ’25 im Gespräch mit BILANZ-Chefredaktor Dirk Schütz eine kritische Betrachtung vor, wie sich die aktuelle Geopolitik auf die Weltwirtschaft auswirkt.

Der Fireplace Talk mit dem früheren Wirtschaftsweisen, der zuletzt persönlicher Beauftragter des Bundesministers der Finanzen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung war, ist Teil des Rahmenprogramms der grössten Schweizer Finanzmesse, die am 2. und 3. April 2025 unter dem Motto «Das Morgen gestalten» in der Halle 550 in Zürich Oerlikon stattfindet.