Michael Krinner, Leiter Advisory Europe bei der LGT, über den Zielkonflikt zwischen individueller Beratung und Kosteneffizienz sowie über Beratungsmodelle, die problematisch sind.
Herr Krinner, das Regelwerk Mifid II hatte tiefgreifende Auswirkungen auf das Beratungsgeschäft im Private Banking. Wo steht die Branche heute, fast zwei Jahre nach der Einführung?
Viele Banken stecken immer noch in einer Zwickmühle: Einerseits haben die neuen Regularien die Anforderungen an eine individuelle Beratung massiv erhöht. Kundenberater müssen heute zahlreiche zusätzliche Kriterien beachten, beispielsweise die Eignung eines Anlageproduktes (Suitability) oder die sogenannte Zielmarktkonformität.
Gleichzeitig zwingt der Margendruck die Banken, sich auch in der Beratung – die eigentlich kaum skalierbar ist – auf die interne Kosten-Effizienz zu fokussieren und zumindest ein Minimum an Skaleneffekten zu generieren.
«Am wichtigsten ist es, interne Zielkonflikte zu vermeiden, die aus dem Profit-Center-Denken resultieren»
Viele Banken haben deshalb Prozesse und Systeme digitalisiert, standardisiert und in vielen Fällen auch zentralisiert. Die Herausforderung liegt darin, Effizienz und individuelle Beratung unter einen Hut zu bringen.
Was können Banken tun, damit ihre internen Effizienzprogramme nicht in Konkurrenz zu den Individualitätsbedürfnissen der Kunden stehen?
Am wichtigsten ist es, interne Zielkonflikte zu vermeiden, die aus dem traditionellen Profit-Center-Denken resultieren. Wenn nämlich mehrere Geschäftsbereiche in Konkurrenz um die Einnahmen der gleichen Kunden stehen und jeder Bereich seine eigenen Profitziele maximieren will, dann leidet darunter die Beratungsqualität und sowohl Kunde als auch Bank sind unzufrieden. Damit dies nicht passiert, muss im Anreizsystem ein Umdenken stattfinden.
Was heisst das konkret?
Man muss die Relationship Manager, Advisors und Portfolio Manager an gemeinsamen Zielen messen, statt ihnen getrennte Ziele vorzugeben. Wenn das klappt, dann bestehen durchaus Spielräume für Effizienzgewinne, beispielsweise indem man Funktionen wie die Risikoüberwachung oder die Generierung von Anlageideen zentralisiert sowie Beratungsprozesse harmonisiert und teilweise standardisiert.
Worauf muss man dabei achten?
Die Standardisierung darf nicht dazu führen, dass der Kunde sich nicht mehr individuell beraten fühlt. Extreme Standardisierungen wie beispielweise Advisory Modellportfolios, von denen der Berater kaum abweichen darf oder sehr eng gefasste Anlageuniversen, schränken die Beratung markant ein und reduzieren das Beratungserlebnis für den Kunden.
«Dadurch wird eine Vielzahl eigentlich interessanter Produkte von vorneherein ausgeschlossen»
Letztlich sind dann Kunden und Berater unzufrieden. Problematisch finde ich auch die produktbasierten Suitabilitymodelle, bei denen exakt nur solche Produkte empfohlen werden, die zum vordefinierten Risikoprofil des Kunden passen. Dadurch wird eine Vielzahl eigentlich interessanter Produkte von vorneherein ausgeschlossen.
Was ist die Alternative?
Bei der LGT arbeiten wir mit portfoliobasierten Suitabilitymodellen, das heisst, wir schauen das Risiko eines Produkts nicht isoliert, sondern im Kontext des individuellen Kundenportfolios an. Da kann es dann durchaus sein, dass ein Produkt – gemessen am Kundenprofil – zu «risikoreich» ist, im Gesamtzusammenhang des Portfolios, aber das Risiko nicht erhöht oder sogar die Diversifikation verbessert und gleichzeitig interessante Ertragsperspektiven bietet.
«ESG bleibt oftmals noch unbeachtet»
Dieser Ansatz bietet deshalb eine grosse Flexibilität in der Kundenberatung. In Kombination mit einem umfassenden und nachvollziehbaren Risikomass, ergeben sich für den Relationship Manager völlig neue Möglichkeiten im Risikomanagement für Beratungskunden.
Wie sehen Sie die Zukunft im Beratungsgeschäft?
Die Banken müssen das traditionelle Beratungsgeschäft weiterentwickeln und den sich ändernden Kundenbedürfnissen anpassen. Spezialdienstleistungen in der Beratung, wie Private Equity und Private Debt, müssen für geeignete Kunden ebenso selbstverständlich werden, wie die Integration von Nachhaltigkeit, also von ESG-Kriterien. Insbesondere ESG bleibt oftmals noch unbeachtet, bietet jedoch eine Fülle an Individualisierungsmöglichkeiten, die kundenseitig als echter Mehrwert wahrgenommen werden.
An Individualisierungsmöglichkeiten wird es den Banken künftig nicht mangeln. Die Herausforderung wird sein, diese zuzulassen und mit den internen Prozessen in Einklang zu bringen. Auch künftig werden diejenigen Banken erfolgreich sein, welche den Kunden ein individuelles Beratungserlebnis bieten und nicht diejenigen, die ihre interne Effizienz maximiert haben.
Michael Krinner ist seit 2016 als Head Portfolio Advisory Europe bei der LGT tätig. Davor war er in verschiedenen leitenden Funktionen bei der Credit Suisse Asset Management beschäftigt.