Alles sehe danach aus, dass sich die Negativzins-Thematik noch weiter verschärfe, erklärt der Obligationenspezialist Andrea Benesch im Interview mit finews.ch. Dadurch werde sich der Handlungsbedarf unter den Anlegern noch massiv erhöhen.
Herr Benesch, die UBS hat kürzlich den Zins auf Sparkonten vollkommen gestrichen. Obwohl die Zinsen schon vorher sehr tief waren, hat dieser Entscheid für einiges Aufsehen gesorgt. Glauben Sie, dass die «gewöhnlichen» Sparer je wieder einen Zins sehen werden?
In absehbarer Zeit sieht es definitiv nicht danach aus – im Gegenteil. Ich glaube, die Ankündigung der UBS ist eine unter vielen und lediglich ein weiterer Schritt in Richtung Überwälzung von Negativzinsen an die Kunden.
Nachdem anfänglich alle davon ausgegangen waren, Negativzinsen seien ein temporäres Phänomen, zeichnet sich immer deutlicher ab, dass Anleger in der Eurozone und damit einhergehend in der Schweiz noch länger mit diesem Umstand werden umgehen müssen. Ob dies nachhaltig ist oder nicht, was für langfristige Implikationen dies haben wird, das lasse ich jetzt mal im Raum stehen.
«Die Subventionierung des nicht marktkonformen Nullzinses ist langfristig schlicht nicht tragbar»
Es ist eine Frage der Zeit, bis die Banken die Negativzinsen vermehrt in der Breite an ihre Kunden weitergeben müssen, denn sie sind bekanntlich nicht mit hoher Profitabilität gesegnet.
Wie meinen Sie das?
Die «Subventionierung» des nicht marktkonformen Nullzinses ist langfristig schlicht nicht tragbar. Betrachtet man beispielsweise die Banken in Deutschland, so ist es dort bereits seit längerem Usanz, dass Negativzinsen bereits bei weit tieferen «Tresholds» an die Kunden weitergegeben werden. Ein weiterer Faktor, der diesbezüglichen Druck erzeugt, ist die Tatsache, dass sehr hohe Geldbestände bei den hiesigen Instituten herumliegen.
Wie sieht in Ihrer Prognose der weitere Zinszyklus aus?
Die Geldmarkt-Futures, also die liquide gehandelten Zinserwartungen im Geldmarkt bewiesen auch in jüngster Vergangenheit einmal mehr die weit bessere Prognosequalität als die Konsensprognosen der Ökonomen oder die von den Zentralbanken kommunizierten Projektionen.
«In den USA hat sich das Bild drastisch verändert»
Diese implizieren sowohl für sechs Monate als auch für ein Jahr keine Zinsänderungen in der Eurozone und in der Schweiz. Im Unterschied zu Ende 2018 werden aktuell sogar auf zwei Jahre hinaus unveränderte Geldmarktzinsen erwartet.
Und in den USA?
Da hat sich das Bild drastisch verändert. Hier werden in den nächsten sechs Monaten bereits zwei Zinssenkungen gehandelt. Innerhalb eines Jahres sind es aktuell sogar deren drei. Ein deutlich anderes Bild als noch vor einem Jahr.
Interessant ist auch, dass viele Anleger eine gewisse Verlustaversion haben. Sie sind eher bereit, Risiken einzugehen, anstatt auf Cash-Beständen sichere Verluste einzufahren – sprich Negativzinsen zu zahlen. Können Sie das noch etwas genauer erklären?
Wie oben anhand von zwei verschiedenen Aspekten argumentiert, zeichnet sich eine unabdingbare Entwicklung ab in Richtung Negativzinsen auf Cash für eine grösser werdende Population von Anlegern mit Referenzwährung Franken oder Euro. In diesem Zusammenhang wird Ihre angesprochene Aversion gegenüber sicheren Verlusten relevant.
Dies ist ein psychologisches Phänomen aus der Behavioural Finance, zu welchem Amos Tversky und Daniel Kahnemann geforscht haben. Im Buch «Thinking, fast and slow» ist beschreiben, wie sie sich bei ihren Forschungsarbeiten unter anderem fragten: «How about losses?»
Und?
Ausgehend vom Konzept der Verlustaversion stellten sie einander zwei Probleme gegenüber:
- Problem 1:
Lieber 900 Dollar auf sicher oder eine 90-prozentige Chance, 1'000 Dollar zu erhalten - Problem 2:
Lieber 900 Dollar verlieren oder mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit 1'000 Dollar verlieren
Und wie lautet das Resultat?
Während sich die Mehrheit der Leute beim Problem 1 nach dem «Loss-Aversion»-Prinzip für die ‹sichere› Variante von 900 Dollar entscheidet (bei gleichem Erwartungswert beider Varianten wohlgemerkt), sieht es beim Problem 2 genau gegenteilig aus: Auf einmal wird der «Gamble» – also die unsichere Variante – dem sicheren Verlust vorgezogen, auch wenn hier der Erwartungswert beider Varianten abermals exakt identisch ist.
Was folgern Sie daraus?
Der sichere Verlust von 900 Dollar wird stärker negativ bewertet als die unsichere Variante eines 90-prozentigen Verlusts von 1'000 Dollar (obwohl der statistische Erwartungswert identisch ist). Dieser psychologische «Bias» mag einer der Gründe sein, warum es Investoren vorziehen, ein gewisses Risiko einzugehen, anstatt auf den Cash-Beständen sichere Verluste einzufahren – sprich Negativzinsen zu zahlen.
«Man darf nicht nur dem psychologischen Aspekt Beachtung schenken»
Diese Verluste können beispielsweise bei einem Strafzins von -0.75 Prozent über einen Zyklus von fünf Jahren mit -3,7 Prozent in einem Geldmarkt-Kontext nicht unerheblich sein, zumal der Verlust garantiert ist. Ein mögliches Szenario, das im derzeitigen makroökonomischen Umfeld durchaus realistisch erscheint.
Die Psychologie ist allerdings nur die eine Seite der Medaille. Gibt es nicht auch ökonomisch rationale Argumente, warum es Sinn macht, ein gewisses Risiko einzugehen.
Das ist absolut richtig. Natürlich darf man nicht nur dem psychologischen Aspekt Beachtung schenken. Es gibt durchaus auch rationale Argumente, moderate Risiken einzugehen, um die Negativzinsen respektive den sicheren Verlust zu vermeiden. Wichtig ist es aber, dabei einige Dinge in Bezug auf das einzugehende Risiko nicht zu vernachlässigen.
Nämlich?
Das zentrale Risikomass ist die Volatilität. Volatilitäten unter 2,5 Prozent erachten wir im erwähnten Kontext als konservativ. Dafür kommen beispielweise unsere Bondfonds durchaus in Frage. Konservativ heisst dabei, lediglich moderate Durationsrisiken einzugehen. Gleichzeitig aber bei der Kreditqualität nicht in beliebigem Masse die Ratingleiter hinunter zu steigen, weil dies bei den aktuellen Ausfallwahrscheinlichkeiten attraktiv erscheinen mag.
«Wir konzentrieren uns auf diesen einen Baustein innerhalb der Asset Allocation»
Ein kapitalgewichtetes Durchschnittsrating im A-Bereich erscheint uns dabei angemessen. Was man dabei keinesfalls vergessen darf, ist die Erfordernis eines Zeithorizonts von drei bis fünf Jahren. Man geht zwar ein sehr moderates, aber doch ein gewisses Risiko ein, ist also zwingend gewissen Schwankungen relativ zum Geldmarkt ausgesetzt. Bei diesem Zeithorizont tendiert jedoch das Verlustrisiko unter Beibehaltung der genannten Risikovariablen in Verbindung mit einem dedizierten Risikomanagement gegen Null.
Folglich ist ein weiterer wichtiger Pfeiler einer solchen Lösung ein kontinuierliches und rigoroses Risikomanagement bei einer breiten Diversifikation. Mit diesen Risikovariablen ist es sowohl in den Referenzwährungen Franken als auch im Euro durchaus möglich, positive Renditen nach Kosten zu generieren.
Sind Obligationen im aktuellen Umfeld überhaupt noch eine Option für Investoren?
Das ist eine berechtigte Frage zu der ich mich als reiner Fixed-Income-Spezialist jedoch nicht abschliessend äussern will und kann, denn die strategische Asset Allocation ist nicht unsere Disziplin. Wir konzentrieren uns auf diesen einen Baustein innerhalb der Asset Allocation, weil da unsere Kompetenz liegt und wir unter anderem mit Sigi Böttinger auf langjährige und mehrfach krisenerprobte Erfahrung abstützen können.
«Die Nachfrage an den Obligationenmärkten ist ungebrochen hoch»
Fest steht jedoch, dass Obligationen in einem Portfolio nach wie vor diejenige Assetklasse repräsentieren, mit der die Gesamtrisiken gesteuert werden können und somit im Gesamt-Porfoliokontext unabdingbar sind.
Dies unterstreicht ebenfalls die Tatsache, dass Fixed Income nach wie vor die weltweit grösste Assetklasse ist und bleiben wird. Nicht zuletzt sorgen dafür auch die regulatorischen Rahmenbedingungen im institutionellen Bereich. Ist man in den Bondmärkten tätig, so kann man gerade aktuell an den Neuemissions-Märkten beobachten, dass die Nachfrage ungebrochen hoch ist.
Worauf kommt es zusätzlich an bei Obligationen-Anlagen?
Gerade in der Referenzwährung Franken liegen derzeit bei vielen Anlegern Gelder zum «subventionierten» Nullzins auf Konten, die tendenziell eher strategischen Charakter im Obligationenteil aufweisen, als dass sie aus Gründen der Liquiditätsplanung bewusst als Cash gehalten werden. Wenn sich die Negativzins-Thematik weiter verschärft – und derzeit sieht alles danach aus – dann dürfte sich der Druck bei den Anlegern erhöhen, sich oben dargelegte Überlegungen machen zu müssen.
«Für kleinere Bondportfolios ist es schwierig, eine angemessene Diversifikation abzubilden»
Wie bereits erwähnt ist in dieser Assetklasse, in der die Verlustaversion am höchsten ist, die Risikoüberwachung ein unheimlich wichtiger Pfeiler der Lösungsimplementierung. Eines der wichtigsten Konzepte, die Risiken zu minimieren, ist eine hohe Diversifikation in allen Ausprägungen eines Bondporfolios wie Sektoren, Länder oder Ratings.
Dies ist im heutigen regulatorischen Umfeld für kleinere Bondportfolios mit Minimum-Stückelungen von 100‘000 und mehr in der entsprechenden Referenzwährung gar nicht mehr umsetzbar. Des Weiteren stellt insbesondere der Franken-Obligationenmarkt gar nicht mehr ein Universum zur Verfügung, das man sich wünschte, um die angestrebte Diversifikation nach den genannten Kriterien überhaupt abbilden zu können.
Andrea Benesch ist als Leiter des Portfolio-Management bei der Finanz-Boutique Pilatus Partners in Zürich mitverantwortlich für die Fixed-Income-Investments. Er verfügt über langjährige Erfahrung im Bankgeschäft, insbesondere im Bereich Fixed Income und ist seit anfangs 2014 als Portfoliomanager bei Pilatus Partners tätig. Er studierte Betriebsökonomie an der Fachhochschule in Chur und ist CFA-Charterholder.