Wenn sich die Negativzins-Thematik weiter verschärft, steigt der Druck bei den Anlegern, vermehrt in Obligationen zu investieren: Das sagt Anleihen-Exerpte Sigi Böttinger von Pilatus Partners im Interview mit finews.ch.
Herr Böttinger, sind Obligationen im aktuellen Tief- und Negativzinsumfeld noch eine Option für Investoren?
Anleihen steuern in einem Portfolio nach wie vor die Gesamtrisiken. Insofern sind sie im Gesamtkontext unabdingbar. Als Faustregel gilt auch: je grösser der Anteil an Obligationen, desto geringer wirken sich Kursverluste von Aktien auf das gesamte Portfolio aus.
Dazu sind und bleiben die internationalen Anleihensegmente in ihrer Breite und Tiefe weiterhin die mit Abstand grössten Kapitalmärkte zur Geldbeschaffung. Die Bedeutung wird noch zunehmen, was vor allem an der stetig wachsenden Kapitalmarkt-Durchdringung in den aufstrebenden Volkswirtschaften liegt.
Was macht Sie so sicher?
Die regulatorischen Rahmenbedingungen im institutionellen Bereich tragen dazu bei, dass Anlagegelder im festverzinslichen Bereich platziert werden müssen und einen regelrechten Nachfrageboom induzieren.
«Es fand eine Flucht in Staatspapiere höchster Bonität statt, in deren Folge die Renditen sanken»
Ist man in der Analyse an den Bondmärkten tätig, lässt sich dies im Geschäft der Neuemissionen eindrücklich beobachten, wo einzelne Emissionen zum Teil um das Zehn- bis Zwanzigfache überzeichnet sind.
Im März vor einem Jahr haben die Aktienmärkte stark korrigiert, um sich dann rasant zu erholen. Können Sie in diesem Zusammenhang den Mechanismus der Obligationen genauer erklären?
In Zeiten zunehmender Unsicherheiten wie im März 2020 kollabierten die Aktienmärkte, und es fand eine Flucht in Staatspapiere höchster Bonität statt, in deren Folge die Renditen sanken, respektive deren Kurse stark anstiegen. Bei stark ansteigenden Volatilitäten erhöhen sich aber auch die Risikoprämien an den Kreditmärkten, wobei die Kursnotizen zurück gehen.
«Wer damals keine Obligationen in seinem Depot besass, hat deutlich mehr Geld verloren»
Die Ertragsrückgänge waren hierbei im Vergleich zu den Einbrüchen an den Aktienmärkten jedoch bescheiden. Genau diese Stossdämpfer-Funktion übernehmen die Bonds während Turbulenzen an den Börsen. Wer damals keine Obligationen in seinem Depot besass, hat deutlich mehr Geld verloren.
Worauf gilt es bei Obligationen besonders zu achten?
Die Bonitätseinstufung respektive die Kreditwürdigkeit von Unternehmen und Staaten sind dabei sehr wichtige Einflussfaktoren. Verschlechtert sich die Bilanz eines Unternehmens aufgrund enttäuschender Geschäftsentwicklung oder die Refinanzierungsbedingungen eines Staates aufgrund zunehmender Verschuldung, vergeben die Rating-Agenturen schlechtere Bonitätsnoten.
Das wirkt sich dann negativ auf den Kurs der entsprechenden Obligation aus. Im schlimmsten Fall droht ein Ausfall.
Ein bedeutender Kurstreiber bei Anleihen sind Leitzinsänderungen. Was geschieht dann?
Wenn zum Beispiel durch eine Zinssenkung das allgemeine Zinsniveau sinkt, steigt der Kurs der bereits emittierten Obligationen. Der Grund: Die Investoren profitieren bei sinkenden Zinsen von Preissteigerungen auf den bereits gehaltenen Obligationen.
«Anleihen sind eine höchst komplexe aber auch interessante Anlageklasse»
Denn hier gilt: Der Coupon der bestehenden Anleihe verändert sich nicht, während der Coupon einer neu auszugebenden Obligation im Zuge des tieferen Zinsniveaus geringer ausfällt.
Früher galten Obligationen als langweilige Anlageklasse. Jetzt nicht mehr?
Anleihen sind eine höchst komplexe und interessante Anlageklasse und haben primär die Funktion, ein Portfolio zu stabilisieren, um definierte Risikoprofile einhalten zu können.
Entsprechend empfiehlt es sich, den Obligationen-Anteil in einem Portfolio über Branchen, Bonitäten und Regionen stärker zu diversifizieren. Dies aber setzt profunde Analysekenntnisse und eine strenge Überwachung der gesamten Strategie voraus.
Das Tiefzinsumfeld wird uns noch eine Weile beschäftigen. Was hat das für langfristige Folgen auf Anleihen?
Im Franken halten derzeit viele Investorinnen und Investoren Kapital zum «subventionierten» Nullzins auf ihren Konten, ohne dass sie dies in vielen Fällen bewusst als Cash im Sinne einer Liquiditätsplanung tun.
«Dies steht im Gegensatz zu den Erwartungen, die bis Mitte 2022 zwei Zinserhöhungen antizipieren»
Wenn sich die Negativzins-Thematik weiter verschärft – und alles deutet darauf hin – dürfte sich der Druck bei den Anlegern erhöhen, vermehrt Obligationen-Engagements in Erwägung zu ziehen.
Welche Rolle spielt die amerikanische Notenbank in diesem Kontext?
Die Federal Reserve (Fed) hat an ihrer jüngsten Sitzung von vergangener Woche die Leitzinsen unverändert belassen. Sie sieht offensichtlich – trotz starken konjunkturellen Signalen und anziehenden Preisen – keinen Grund, auf absehbare Zeit etwas daran zu ändern. Der Median der «FOMC Dot-Projektionen» stellt bis Ende 2023 keine Änderung an der aktuellen Geldpolitik in Aussicht.
Dies steht im krassen Gegensatz zu den Markterwartungen, die bis Mitte 2022 zwei Zinserhöhungen antizipieren. Eine solch markante Diskrepanz zwischen FOMC-Projektionen und Zinserwartungen, die aus den Fed-Fund-Futures abgeleitet werden, gab es zuletzt 2013; aber die Fed bekam damals Recht.
Vergangene Woche hat auch US-Präsident Joe Biden erstmals vor dem US-Kongress gesprochen. Inwiefern hat seine Politik einen Einfluss auf den Anleihen-Markt?
Mit der Abwahl Donald Trumps haben die Märkte recht schnell wahrgenommen, in welche Richtung die Reise geht. Die Renditen für 10-jährige Treasuries sind seither von 0,9 Prozent auf 1,65 Prozent gestiegen. Was aber interessanter ist, war die Versteilung der Zinskurve.
«Das für mich ein klares Signal»
Das kurze Ende der Renditekurve scheint durch die Fed-Politik verankert zu sein, während im langfristigen Bereich die Marktkräfte dominieren. So ist die Zinsdifferenz zwischen 2- und 10-jährigen Staatspapieren im gleichen Zeitraum von 70 Bps auf 150 Bps gestiegen.
In der Vergangenheit hatte dieser sogenannte Term-Spread seine zyklischen Höchststände zwischen 250 Bps bis 270 Bps. Im Moment sind wir bezüglich den Zinsrisiken vorsichtig investiert. Sollte sich allerdings die Zinskurve im historischen Ausmass bewegen, wäre das für mich ein klares Signal die Laufzeiten-Strukturen bei Dollar-Papieren zu verlängern, um so die Duration zu erhöhen.
Siegbert «Sigi» Böttinger ist Mitgründer der in Zürich ansässigen Firma Pilatus Partners und als Chief Investment Officer für die Fixed-Income-Strategie und deren Umsetzung verantwortlich. Er studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Konstanz. Im Bereich Makro- und Bondresearch bringt er 30 Jahre Erfahrung mit und besitzt einen über 20-jährigen Leistungsausweis als Manager von Obligationenfonds.