Weltweit wird die Finanzmarktregulierung laufend verschärft. Dennoch drohen neue Finanzkrisen. Ein berufsbegleitender Post-Graduate-Lehrgang hilft, den Überblick zu behalten.
Herr Zulauf, hat die Regulierung die Banken zehn Jahre nach der Finanzkrise sicherer gemacht?
Ja. Auch wenn sie sicher nicht perfekt sind: Die höheren globalen Kapitalanforderungen, die neuen Liquiditätsvorschriften sowie die Regeln zur Krisenvorbereitung und Abwicklung von Banken haben die Sicherheit erhöht.
Aber absolute Sicherheit gibt es bekanntlich nicht. Dauernde höchste Aufmerksamkeit seitens der Bankmanager, der Aufsichtsbehörden und Notenbanken bleibt erforderlich.
Dann teilen Sie die Meinung der US-Notenbankchefin Janet Yellen nicht, die im Juni 2017 an einer Konferenz in London sagte, sie glaube nicht an eine neue Finanzkrise zu «unseren Lebzeiten»?
Nein. Janet Yellen ist zweifellos eine äusserst kompetente Ökonomin. Diese Aussage am Ende eines Interviews war aber wohl etwas unvorsichtig. Wir haben in nur 20 Jahren vier grosse Finanzkrisen mit mehr oder weniger grossen globalen Auswirkungen erlebt.
Die Ursachen dieser Krisen waren sicher unterschiedlich. Aber Finanzmärkte waren fundamental immer instabil und werden es auch bleiben. Einer der Gründe ist: Die Finanzmarktakteure übernehmen immer Risiken, was auch ihre wichtige Aufgabe ist.
Wir müssen deshalb von weiteren Finanzkrisen ausgehen. Die getroffenen Massnahmen und das gesteigerte Krisenbewusstsein erleichtern aber dem Finanzsystem und seinen Akteuren, mit einer Krise umzugehen und Kollateralschäden zu begrenzen.
Wie sehen Sie den Stand der Finanzmarktregulierung in der Schweiz?
Sie hat in der Schweiz einen reifen Stand erreicht. Sie erfüllt weitgehend internationale Standards. Die Kapitalanforderungen für Banken und Versicherungen gehen sogar noch darüber hinaus. Im Falle der Banken war dies angesichts des im internationalen Vergleich ungleich höheren Systemrisikos der beiden Grossbanken gewollt.
«Es bleiben grössere regulatorische Baustellen»
Daneben gibt es aber keinen wesentlichen «Swiss Finish», besonders auch nicht im FIDLEG, das kurz vor der Verabschiedung steht.
Dann können die betroffenen Finanzfirmen auf eine Regulierungspause hoffen?
Nicht wirklich: Auch wenn sie etwas weniger bedeutend sein mögen: Es verbleiben mehrere grössere regulatorische Baustellen. Auf Gesetzesstufe sind es neben dem erwähnten FIDLEG Anpassungen des Einlegerschutzes und des Bankinsolvenzrechts.
Bereits kündigt sich nach der Evaluation durch die FATF eine weitere Revision des Geldwäschereirechts an. Wichtig werden auch das gegenwärtig vorbereitete Sanierungsrecht für Versicherungen und die seit Jahren diskutierte Revision des Versicherungsvertragsrechts sein.
«Die Regulierung geht weiter, nur etwas langsamer»
Auf Verordnungsstufe gilt es, das FIDLEG umzusetzen. Die Anforderungen an die Banken sind in Abstimmung mit den Basler Standards festzulegen, vor allem in Bezug auf Untergrenzen für die internen Risikomodelle, die Leverage Ratio, Zins- und Marktrisiken und Liquidität.
Die Betroffenen sind regulierungsmüde («regulatory fatigue»). Werden die Regulierer ihrerseits nie müde?
Da wäre ich skeptisch. Die Regulierung wird sich zwar verlangsamen. Aber spätestens in und nach der nächsten Finanzkrise wird der Ruf nach neuer strengerer Regulierung kommen, sogar dann wenn die bestehende nicht erfolgreich war.
«Der Lehrgang hat eine ökonomische und juristische Ausrichtung»
Der Frage liegt aber die Annahme zu Grunde, neue Regulierung erschwere immer die Geschäftstätigkeit. Das trifft nicht zu: So hat die in diesem Jahr sehr rasch erlassene Fintech-Regulierung neue Geschäftsfelder mit erleichterten Anforderungen eröffnet oder wird dies tun, wenn das Parlament zustimmt.
Sie leiten einen berufsbegleitenden Lehrgang der Universitäten Bern und Genf zur Finanzmarktregulierung. Werden Themen wie Überregulierung und «Swiss Finish» dort auch behandelt?
Absolut. Der Kurs hat eine ökonomische und juristische Ausrichtung und will hinter die Regulierung sehen. Die Absolventen sollen erfahren, was die Regulierung und die Regulierer antreibt und wie die Regulierungsprozesse in der Praxis ablaufen.
Geht es nur um eine Schweizer Nabelschau oder hat der Kurs eine globale Sicht?
Die Schweizer Finanzmarktregulierung und -prozesse werden vor dem Hintergrund der globalen Entwicklung dargestellt. Das ist unerlässlich, da ein grosser Teil der Schweizer Regulierung von internationalen Standards getrieben wird.
Dabei ist es oft im Interesse des Schweizer Finanzplatzes und seiner Akteure, dass die Schweiz die Standards übernimmt.
Dieser Lehrgang wird auf Englisch durchgeführt. Warum?
Wir sprechen Berufsleute aus der Deutschschweiz und der Romandie an. Man mag es bedauern: Aber ihre gemeinsame Sprache ist heute Englisch. Das haben die beiden ersten Kurse klar bestätigt.
Zudem sind viele Grundlagentexte zur Finanzmarktregulierung nur auf Englisch verfasst. Schliesslich haben wir viele Gastreferenten aus dem angelsächsischen Raum.
Sie haben viele teilweise sehr prominente Gastreferenten: Was erwarten Sie von ihnen?
Sie machen nicht theoretische Ausführungen, sondern teilen ihre praktischen Erfahrungen zu Fragen wie: Was tut die Schweizerische Nationalbank zum Erreichen der Finanzstabilität? Wie bereitetet sich die Finma konkret auf eine Krise einer Grossbank vor?
«Der Lehrgang gibt einen Blick hinter die Finanzmarktregulierung»
Was sind meine grössten Herausforderungen als oberster Riskmanager einer Grossbank? Wann führe ich als Bundesanwalt oder Chef des Finma-Enforcement ein Verfahren gegen eine Bank oder gehe gegen ihre Manager vor? Wie decken Finma und Bundesanwaltschaft Insiderdelikte auf?
Warum soll ich als Mitarbeiter einer Bank trotz Alltagsstress noch diese Ausbildung absolvieren?
Der Kurs gibt den Teilnehmern einen Blick über und hinter die Finanzmarktregulierung und die Regulierungsprozesse und auch das Enforcement. Es hilft ihnen auch, sich im hochregulierten Umfeld der Finanzmärkte beruflich weiterzuentwickeln.
Er zeigt nicht die Details etwa der Geldwäschereiregeln, dazu gibt es Compliancekurse, aber zeigt, wie sich diese Regeln in den letzten zwanzig Jahren entwickelt haben und wohin die Regulierung geht.
Der 2018 zum dritten Mal durchgeführte Post-Graduate-Lehrgang «CAS Financial Regulation» der Universitäten Bern und Genf ist ökonomisch und juristisch ausgerichtet. Das sind die Themen der Module und ihre Verantwortlichen:
1. Rolle der Finanzplätze, der Schweizer Finanzplatz: Aymo Brunetti
2. Ökonomische Grundlagen der Finanzmarktregulierung:
Cyril Monnet
3. Rechtliche Grundlagen der Finanzmarktregulierung:
Luc Thévenoz
4. Schutz der Finanzstabilität: Hugo Bänziger
5. Schutz der Versicherten: Monica Mächler
6. Schutz der Anleger und Märkte: Rashid Bahar
7. Schutz weiterer öffentlicher Interessen: Christian Bovet,
Ursula Cassani, Xavier Oberson
8. Enforcement der Finanzmarktregulierung: Urs Zulauf
Der Unterricht findet zwischen April und November 2018 in 8 Blöcken von 2 Tagen statt, sechsmal in Bern und zweimal in Genf. Unterrichtssprache ist ausschliesslich Englisch. Mehr als dreissig, teilweise sehr prominente Gastreferenten und Panelisten geben Einsicht in ihre Erfahrungen und Herausforderungen.