Keine andere Branche ist so massiven Veränderungen ausgesetzt wie die Finanzindustrie. Die Digitalisierung der letzten Meile ist nur eine der vielen Herausforderungen.

Von Michael Rogenmoser, Avaloq

Das Bankerlebnis der Zukunft verbindet digitale und persönliche Begegnungen auf der «letzten Meile» zwischen Kunden und Beratern. Die Herausforderung liegt darin, von der Eröffnung eines Kontos über die Hypothek bis hin zum Trading möglichst viel zu automatisieren, am besten ohne Medienbruch und mit konsistenten Daten.

Man schätzt, dass in spätestens zehn Jahren zwei Drittel der arbeitenden Bevölkerung Digital Natives sein werden. Dabei dürfte den Banken angesichts der Vielzahl an neuen Technologien geradezu schwindlig werden. Denn täglich vermelden Finanzinstitute, Fintech-Startups oder – in zunehmendem Masse – die Technologie-Giganten aus dem Silicon Valley von Facebook bis Google Banking-Innovationen, welche die letzte Meile komfortabler, günstiger, schneller und kundenzentrierter machen sollen.

Differenzierung stärken, alles andere auslagern

Auch wenn den Banken neue Wettbewerber erwachsen, bedeutet dies nicht, dass sie in diesem Wettbewerb auf sich allein gestellt sind. Es stellt sich vielmehr die Frage, inwieweit ihre Digitalstrategie in ihre generelle Unternehmensstrategie eingebettet ist, und wo ihre Kernkompetenz liegt – wo der Mehrwert für Bankkunden entsteht.

Ein von Avaloq kürzlich vorgestelltes Whitepaper zu erfolgreichem digitalen Banking zeigt, dass noch lange nicht jede Bank diesen Zusammenhang erkannt hat. Die meisten Finanzinstitute neigen dazu, entlang ihrer Wertschöpfungskette jeden einzelnen Schritt selbst durchzuführen.

Der Vergleich mit anderen Branchen zeigt, dass dies nicht zukunftsfähig ist. Automobilhersteller etwa lagern den grössten Teil ihrer Wertschöpfung aus und widmen sich vor allem ihren Differenzierungsmerkmalen. Auch in der Finanzindustrie gilt: Alles, was nicht zur Kernkompetenz einer Bank gehört, liesse sich auslagern.

Zwei grosse Vorteile

Mit zwei Vorteilen: Spezialisierte Partner, die verstehen wie eine Bank funktioniert, können diese Aufgaben aufgrund von Skaleneffekten günstiger erbringen, Kosten variabilisieren, und sie ermöglichen eine Fokussierung auf das Kerngeschäft – zum Beispiel die Kundenberatung.

Immerhin, das Bewusstsein bei den Banken ist da: Gemäss einer Studie der Beratungsgesellschaft Deloitte erachteten 88 Prozent der Berfagten Industrialisierung als geeigneten Weg, um Kosten zu senken und die Skalierbarkeit zu erhöhen.

Ökosysteme ausnutzen

Angesichts der enormen Innovationsgeschwindigkeit in der Finanzindustrie ist es für Banken unmöglich, den Überblick zu behalten. Um up-to-date zu bleiben, empfiehlt sich in einer neuen Finanzmarkt-Architektur das Andocken an ein Ökosystem.

Einst geschlossene Finanzsysteme öffnen sich in dieser neuen digitalen Welt für Partnerschaften, um agiler zu werden und um Innovation mehr Raum zu geben – letztlich im Sinne des Konsumenten. Neben dem Zugang zu Technologie und auch zu neuen Finanzprodukten ist ein weiterer Vorteil die sichere Integration in bestehende Banking-Systeme.

Mehr Convenience und Intuition für mehr Kundenbindung

Impulse können sich die Finanzinstitute auch aus der Konsumgüter-Industrie holen. Konsumenten schätzen Komfort, Schnelligkeit und intuitives Eingehen auf ihre Bedürfnisse. Daher liegt es nahe, dass Banken ihre Kunden in die Wertschöpfung einbinden.

Self-Services an der Kundenschnittstelle nehmen an Beliebtheit ständig zu. Tools wie diese sind allerdings nur erfolgreich, wenn der Nutzer nicht an erster Stelle das Gefühl hat, er würde der Bank Arbeit abnehmen, sondern wenn Mehrwert entsteht – durch Convenience, Aussagekraft, Transparenz und Einfachheit.

Motivationstreiber und Anreizsysteme

Das Smartphone mit Touchscreen und Apps ermöglichen diese zeitgemässe Art der sogenannten User-Experience. So besteht auch die Möglichkeit, den Spieltrieb der Kunden anzusprechen, worauf viele Konsumgüterhersteller als Motivationstreiber und Anreizsystem setzen. Sie binden ihre Kunden mit Augmented-Reality-Tools, Chat-Bots oder per Robo Advisor an sich.

Banking kann und muss ebenso «convenient» werden wie es beispielsweise die Ikea-App vorlebt, bei der Kunden ihr gewünschtes Möbel virtuell in ihre Wohnräume platzieren können. Auf die Bank adaptiert, könnten die Kredit- oder Hypothekenvergabe durch angereicherte digitale Informationen zum Traumobjekt erleichtert oder Finanzierungsprozesse durch Virtual Reality emotionaler erlebbar werden.

Der Weg in die Zukunft

Laut der Beratungsgesellschaft EY erwarten bereits 50 Prozent der Private-Banking-Kunden mehr digitale Kanäle und Self-Service-Funktionalitäten von ihrer Bank. Der Weg der Banken in die Zukunft ist gepflastert mit Offenheit, Austausch und Transparenz und führt somit zu digital organisierten Finanz-Ökosystemen, die auf dem Kundenhandy nur als App erscheinen, im Hintergrund aber die für den Kundenwunsch nötigen Angebote von Finanzdienstleistern und branchenfremden Firmen bündeln.


Michael Rogenmoser ist seit August 2014 bei Avaloq tätig. Als General Manager Schweiz/Liechtenstein ist er Mitglied der Geschäftsleitung und verantwortet die Bereiche Sales, Key Account Management und Consulting/Delivery. Er besitzt eine breite Erfahrung in der internationalen Finanzbranche.

Bevor Rogenmoser zu Avaloq stiess, arbeitete er zwölf Jahre als Unternehmensberater und Investmentbanker mit Schwerpunkt auf strategischer Beratung für Finanzinstitute sowie auf Mergers & Acquisitions (M&A), unter anderem bei McKinsey, der UBS und MilleniumAssociates. Er besitzt einen MBA der Universität Bern, wo er Corporate Finance und Information Management studierte. Er ist Chartered Financial Analyst (CFA) und Mitglied der CFA Society Switzerland.