Technologischer und demographischer Wandel verändern die Finanzbranche. Dabei ist diesmal der Kunde der grösste Disruptor. Schweizer Banken stehen an einem Wendepunkt.

Von Jean-François Lagassé, Global Leiter Wealth Management und Patrik Spiller, Wealth Management Industry Leader bei Deloitte Schweiz

Technologischer Fortschritt und demographischer Wandel verändern die Vermögensverwaltungsbranche. Die treibende Kraft hinter dieser Entwicklung sind immer mehr die Kunden selbst. Schweizer Banken, die für ihre Tradition und Innovation bekannt sind, stehen am Scheideweg und müssen sich den sich verändernden Kundenbedürfnissen anpassen.

Sich auf eine neue Ära der Vermögensverwaltung einzustellen, bedeutet: Banken müssen die sich verändernden Kundenerwartungen verstehen und ihre Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen anpassen, um diese Erwartungen zu erfüllen.

Kundschaft am Steuer

Eine solide Strategie für die digitale Transformation sowie eine Strategie für Daten und Künstliche Intelligenz (KI) sind dabei unerlässlich. Vor allem aber müssen Vermögensverwalter die Kundinnen und Kunden in den Mittelpunkt stellen.

Wealth-Management-Kunden sind heute diverser, verfügen über ein höheres Mass an Finanzkompetenz und einen besseren Zugang zu Informationen als je zuvor. Ihre Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen zwingen Vermögensverwaltungsbanken zu Innovationen bei Produkten, Dienstleistungen und dem Kundenerlebnis.

Die neuen Kundengenerationen – viele sind Digital Natives – bilden ein breites Spektrum der Gesellschaft ab, darunter Unternehmerinnen, Anlegende mit unterschiedlicher kultureller Herkunft, Social-Media-Influencer und Krypto-Enthusiasten.

Sie alle bringen ihre eigenen Perspektiven und finanziellen Bedürfnisse mit, treten mit unterschiedlichen Erwartungen und Wünschen an die Banken heran. Auch die Generationen, die in den kommenden Jahren Vermögen erben, werden anspruchsvoller gegenüber den Banken sein.

Strategische Empfehlungen

Zu dieser Erkenntnis kommt die Studie «Building a Future-Ready Investment Firm», die der globale Thinktank ESI ThoughtLab zusammen mit Deloitte und anderen Organisationen durchgeführt hat. Um für die Zukunft gerüstet zu sein, sollten Schweizer Vermögensverwalter proaktiv handeln. Konkret empfehlen wir:

  • Kunden ein nahtloses, hybrides Beratungserlebnis und benutzerfreundliche digitale Self-Service-Kanäle sowie hochwertige Beratungsgespräche anzubieten – entweder persönlich oder per Videoanruf.
  • Sich auf eine neue und jüngere Wealth-Management-Kundschaft unterschiedlicher Herkunft auszurichten.
  • Neue Technologien wie KI einzusetzen, um die Effizienz und Effektivität von Kundenbe-ratenden zu steigern.
  • Geschäftsmodelle durch Partnerschaften oder Akquisition von spezialisierten Anbietern zu verbessern, die differenzierte Produkte und Dienstleistungen wie den Zugang zu Private-Equity-Märkten oder Krypto-Anlagen erbringen.

Bis 2028 sehen Vermögensverwalter ganz anders aus

Unsere Studie zeigt, dass die Kundschaft in allen Segmenten offen für neue Technologien ist: Etwa 60 Prozent der Kundinnen und Kunden der Generationen Y und Z geben an, dass sie bis 2030 für viele Bankgeschäfte keinen persönlichen Berater oder keine persönliche Beraterin mehr benötigen werden.

Wenn es jedoch um signifikante Anlageentscheidungen geht, bevorzugen sie nach wie vor Beratung durch einen Menschen – möglichst ergänzt durch KI. Gleichzeitig könnte es für Vermögensverwaltungsbanken immer schwieriger werden, motivierte und qualifizierte Mitarbeitende zu gewinnen.

Angesichts der zunehmenden Kundenvielfalt werden die Banken ihre Belegschaft diversifizieren müssen, was auch eine Chance ist, neue Talente zu gewinnen.

Zukunft der Beratung gestalten

Um sich an diese veränderten, diversen und digital geprägten Kundenbedürfnisse und Arbeitsmarktbedingungen anzupassen, müssen Wealth-Management-Banken einen attraktiven hybriden Beratungsansatz entwickeln.

Dazu gehören zum Beispiel Anlagemöglichkeiten auf Plattformen (vergleichbar mit Netflix), massgeschneiderte automatisierte Portfolios (so wie Google Maps eine komplexe Route berechnet) oder Chatbots zur Beantwortung beiläufiger Fragen sowie eine Beratung durch einen Menschen, um Anlagevorschläge unmittelbar zu besprechen und so das digitale und physische Kundenerlebnis miteinander zu verbinden.

Freisetzung neuer Wachstumsquellen

Trotz dieser weithin bekannten Megatrends reagieren viele Schweizer Wealth-Management-Banken noch nicht proaktiv. Dabei steht viel auf dem Spiel, und die Banken sollten die kontinuierliche digitale Transformation als Chance begreifen, um durch neue Produkte und Dienstleistungen zusätzliches Wachstum zu generieren und die Effizienz durch mehr Prozessautomation und auto-matisierte Kontrollen zu verbessern.

Unsere strategischen Empfehlungen sollen dazu beitragen, dass die Vermögensverwaltungsbanken in der Schweiz mit ihrer langen und stolzen Tradition auch in diesem neuen Umfeld erfolgreich bleiben. Unser nächstes International Wealth Management Centre Ranking, das im Spätsommer erscheint, wird zeigen, wie die Schweizer Banken diesen Wandel im Vergleich zu ihren internationalen Konkurrenten bewältigen.

Globale Umfrage

Die Ergebnisse der Studie «Building a Future-Ready Investment Firm» basieren auf einer globalen Umfrage unter 2’000 Kunden und 250 Firmen, die Ende 2023 in allen wichtigen Vermögensverwaltungszentren der Welt (Asien-Pazifik, Europa, Naher Osten, Nordamerika) durchgeführt wurde, und zwar über verschiedene Vermögensstufen, Altersgruppen, Lebensstile, Berufe und Geschlechter hinweg.

  • Weitere Informationen über die Entwicklung der Bankenbranche finden Sie auch in unserem umfassenden TrendRadar über die Zukunft des Bankwesens.