Vor dem Hintergrund einer zunehmend von Spannungen geprägten Welt, rückt der geopolitische Faktor bei der Suche nach Investitionsmöglichkeiten stärker in den Mittelpunkt.
Von Matthieu Lavillunière, Head of Equity Research bei SILEX
In der rationalen Analyse von Aktienanlagen sind politische und geopolitische Faktoren in der Regel zweitrangig. Beim Risikomanagement nach ESG- oder rein finanziellen Gesichtspunkten dienen sie eher als Ausschlussfaktoren. Bestimmte Unternehmen, Branchen oder Länder gelten als risikoreich und daher als «nicht für Investitionen geeignet».
Ausgehend von der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im Jahr 2016, zeigt sich jedoch, dass sich die geopolitische Situation in den letzten Jahren allmählich verschlechtert hat. Mit der russischen Invasion in die Ukraine im Februar 2022 ist ein hochintensiver militärischer Konflikt zwischen den Grossmächten – mit der von der Nato unterstützen Ukraine auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite – zurückgekehrt, der diesen Wandel besonders deutlich macht.
Spottpreise in Russland
Der Konflikt hat erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen und führte zu einer Energiekrise in Europa und einer sehr starken, wenn auch vorübergehenden Rohstoffinflation. Die meisten westlichen Konzerne, die in Russland tätig waren, mussten ihre lokalen Tochtergesellschaften zu einem Spottpreis veräussern, wobei es zu teilweise spektakulären Abschreibungen von Vermögenswerten kam.
Die Dynamik zunehmender Spannungen hält an und wird sich wahrscheinlich auch 2024 fortsetzen, da eine tektonische Bewegung im Gange zu sein scheint: Da die USA grosse Anstrengungen unternehmen, um die Ukraine zu unterstützen und zugleich gezwungen sind, eine ständige Präsenz im Chinesischen Meer aufrechtzuerhalten, nimmt die Fähigkeit der Supermacht USA ab, in «kleinere» Konflikte einzugreifen.
Beispiel Venezuela
Dies ermutigt insbesondere Länder mit territorialen Ansprüchen, militärische Initiativen zu ergreifen, ohne dass sie ein Eingreifen der USA befürchten müssen. Das Beispiel Venezuelas, das die ölreiche Region Essequibo (Guyana) annektieren will, scheint symptomatisch für dieses Phänomen zu sein.
Diese Dynamik verstärkt sich tendenziell von selbst, da jeder neue Konflikt die Fähigkeiten und wahrscheinlich auch die Bereitschaft der USA, anderswo einzugreifen, weiter verringert. Eine Folge dieser Entwicklung ist, dass globalisierte Lieferketten in Verbindung mit der Just-in-Time-Logik sehr anfällig geworden sind, wie die Covid-bedingten Engpässe bereits gezeigt haben.
Russische Erdgas-Erpressung
Die Aktivitäten der Huthi-Rebellen im Roten Meer demonstrieren einmal mehr, dass man Druck auf die Grossmächte ausüben kann, indem man ihre Lieferketten unterbricht. Auch in diesem Zusammenhang werden zunehmend Handelssanktionen und Strafzölle eingesetzt, da sie umso effektiver erscheinen; als Beispiel mag Russlands Erdgas-Erpressung gegenüber Europa im Jahr 2022 dienen.
Die US-Regierung hat die Anfälligkeit des Landes in Bezug auf seine strategische Versorgung gut erkannt. Als Reaktion darauf führte sie mehrere Pläne für massive Subventionen und Steuervergünstigungen ein, unter anderem den Inflation Reduction Act und den CHIPS Act, die darauf abzielen, die Produktionsstätten bestimmter Branchen zurück auf amerikanischen Boden zu verlagern.
So sind Halbleiter, die zu mehr als 60 Prozent in Taiwan produziert werden, obwohl die Vereinigten Staaten nach wie vor führend in der Chipentwicklung sind, ein markantes Beispiel für einen Sektor mit besonderer Priorität. Diese Massnahmen beginnen ihre Wirkung zu entfalten, da sich die Bauausgaben im Produktionssektor zwischen Mitte 2021 und Ende 2023 verdreifacht haben, wie die Daten des U.S. Census Bureau zeigen (siehe nachstehende Grafik).
Wert der Bauinvestitionen im Privatsektor
(saisonbereinigter Jahressatz; Quelle: Silex, zum Vergrössern anklicken)
Die globalisierte Welt, in der Unternehmen praktisch überall nach den wettbewerbsfähigsten Ressourcen und Arbeitskräften suchen und ohne grosses Risiko komplexe internationale Just-in-Time-Lieferketten aufbauen konnten, scheint vorbei zu sein.
Mit anderen Worten: Die Welt bricht auseinander, und Anleger müssen sich an dieses Umfeld anpassen und ihre Kenntnisse in Geopolitik auf den neuesten Stand bringen. Aktienanlagen müssen gute wirtschaftliche und geopolitische Chancen darstellen. Bei Silex verfolgen wir diesen Ansatz mit einem Themenzertifikat (AMC), in dessen Mittelpunkt unser Analyseraster steht, das auf den Aktienmarkt angewandt wird.
Matthieu Lavillunière ist 2024 als Leiter für Aktienforschung zu SILEX gestossen. Nachdem er sieben Jahre lang europäische Technologiewerte als Analyst auf der Verkaufsseite verfolgt hatte, entwickelt er seit mehr als zwei Jahren Investmentthemen im Aktienformat AMC. Er hat einen Abschluss in Ingenieurwissenschaften von der Ecole Centrale de Nantes, einen Abschluss in Finanzen von Audencia Nantes und ist im Besitz der CFA-Zertifizierung.