Neue Medikamente und moderne Medizintechnik werden in nächster Zukunft eine entscheidende Rolle spielen. Hinzu kommen die tiefen Bewertungen vieler Firmen, wie Healthcare-Experte Cyrill Zimmermann von Bellevue Asset Management in seinem Ausblick feststellt. «Die Wiederentdeckung der Gesundheitsaktien ist bloss noch eine Frage der Zeit», ist er überzeugt.
Von Cyrill Zimmermann, Mitglied der Geschäftsleitung von Bellevue Asset Management
Im Jahr 2023 hat der Gesundheitssektor eine enttäuschende Performance geliefert. Dies lässt sich teilweise darauf zurückführen, dass die Wachstumsraten einiger Unternehmen nach dem Ende der Corona-Pandemie wieder auf ein normales Niveau zurückgekehrt sind. Namhafte Firmen im Diagnostikbereich wie Roche oder Thermo Fisher spürten diese Veränderungen deutlich.
Zusätzlich stellten signifikant gestiegene Zinssätze eine grosse Herausforderung dar. Besonders betroffen davon waren Wachstumsunternehmen, deren zukünftige Cashflow-Prognosen nun mit höheren Abzinsungsraten konfrontiert sind. Dies hatte insbesondere Auswirkungen auf den Biotechsektor und auf Unternehmen, die digitale Geräte und Dienstleistungen im Gesundheitswesen entwickeln. Zudem verzeichneten Firmen, die noch keine Gewinne erzielen, einen Anstieg der Risikoprämien.
Innovationskraft ungebrochen
Doch die Innovationskraft der Branche ist ungebrochen. Diese Einschätzung wird von den jüngsten Zulassungen in der Krebsmedizin, der Gentherapie oder bei der Behandlung von Alzheimer und Stoffwechselerkrankungen eindrucksvoll untermauert. So wurde etwa in Grossbritannien das weltweit erste Medikament zugelassen, das auf Genomeditierung durch die sogenannte «Genschere» basiert.
Fehlerhafte Fragmente im Erbgut werden bei diesem Verfahren herausgeschnitten und durch neue DNA-Bausteine ersetzt, die durch zelleigene Reparatursysteme in den DNA-Strang integriert werden. Bei zwei seltenen, erblich bedingten Bluterkrankungen könnte das Präparat mit dem Namen Casgevy die Transplantation von Stammzellen ersetzen. Entwickelt wurde es von den Firmen Crispr Therapeutics und Vertex Pharmaceuticals.
Potenzial enorm
Diese Erfolgsmeldung blieb aber unter dem Radar der meisten Anleger. Zu den wenigen Themen, die von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden, zählten neue Medikamente gegen Diabetes und Fettleibigkeit. Hier wurden beeindruckende Studiendaten vorgelegt. Die in diesem Bereich führenden Pharmafirmen Eli Lilly und Novo Nordisk haben davon stark profitiert.
Denn das Potenzial für die Behandlung von Diabetes und Fettleibigkeit ist enorm. Weltweit sind rund 40 Prozent der Bevölkerung übergewichtig. Und in den USA entfallen ganze 21 Prozent der Gesundheitskosten auf die Behandlung von Fettleibigkeit. Aus diesem Grund hat Bellevue Asset Management im November den Bellevue Obesity Solutions Fonds aufgelegt, der entlang der gesamten Wertschöpfungskette in die attraktivsten Firmen investiert.
Herausforderungen überwinden
Die positiven Nachrichten zur Behandlung von Fettleibigkeit hatten aber auch eine Kehrseite. An den Märkten herrschte Verunsicherung, welche Auswirkungen für das Geschäft von Medizintechnikfirmen zu erwarten sind. Die Annahme: die hohen Umsätze mit Geräten zur Überwachung von Diabetes oder mit Hüftimplantaten infolge von Übergewicht könnten durch die neuen Medikamente gefährdet werden.
Wir gehen davon aus, dass die Wachstumsperspektiven weiterhin intakt sind. Diabetes ist häufig altersbedingt und nicht nur eine Konsequenz von Fettleibigkeit. Im Falle von fettleibigen Diabetikern, die abnehmen, ist eine Optimierung der Insulindosierung ebenso unerlässlich.
Lieferketten-Probleme laufen aus
Mit Blick auf den Medtechsektor haben sich erste Unternehmen bereits positiv zu 2024 geäussert, was unsere These der weiteren Erholung der Operationsvolumen im Jahr 2024 stützt. Die Zulassung und Markteinführung relevanter neuer Produkte werden für ein anhaltend hohes Umsatzwachstum sorgen.
Beispiele sind TriClip, AVEIR und Libre von Abbott, Farapulse PFA von Boston Scientific und die nächste Generation des Da-Vinci-Operationsroboters von Intuitive Surgical. Die neu erlangte Preissetzungsmacht im niedrigen einstelligen Prozentbereich hält an und die negativen Auswirkungen der Lieferketten-Probleme laufen aus, was zusätzliches Margenverbesserungspotenzial verspricht.
Impulsgeber: Künstliche Intelligenz
Eine besondere Rolle kommt der künstlichen Intelligenz (KI) zu. Besonders das Gesundheitswesen profitiert in hohem Masse von dem technologischen Quantensprung, der durch die Veröffentlichung von ChatGPT ausgelöst wurde. KI könnte zum zentralen Bestandteil der digitalen Medizin werden.
Wir sehen enormes Potenzial in der Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheitswesen und damit verbunden eine Verbesserung der Diagnostik, Behandlungsqualität und Verwaltungseffizienz. Zudem ermöglicht die schnellere Entwicklung und gezieltere Anwendung von Medikamenten neuartige Behandlungsmethoden.
So ist der weltgrösste Biotechnologie-Konzern Amgen davon überzeugt, in der Medikamentenentwicklung dank dem Einsatz von KI rund 20 Prozent der Kosten sparen zu können. Vor allem in der klinischen Phase II lassen sich bestimmte Muster bei den Patientenstudien herausfiltern. Dadurch können die Studiendesigns adaptiert werden, was nebst der Prozessbeschleunigung das Risiko von klinischen Fehlschlägen senkt.
Kommerzielle Durchbrüche
Die Innovationskraft im Gesundheitssektor ist ungebrochen. Das zeigen die jüngsten kommerziellen Durchbrüche in der Behandlung von Fettleibigkeit und Diabetes, die Zulassungen von Arzneien gegen Alzheimer und Krebs sowie die Markteinführung von minimalinvasiven Herzklappen. Gleichzeitig ist der gesamte Gesundheitssektor in den Industrieländern sowie im asiatischen Raum historisch niedrig bewertet.
Dies dürfte auch die M&A-Aktivitäten wieder ins Rollen bringen, im Speziellen im Biotechsektor, in welchem Pharmaunternehmen weiterhin auf externe Innovationen setzen, um ihre Produktportfolios zu stärken und sich mit weiteren Produktzukäufen gegen drohende Patentabläufe zu rüsten.
Bloss eine Frage der Zeit
Rückenwind dürfte der Healthcare-Sektor von US-Leitzinssenkungen, Repositionierungen der Investoren sowie dem guten Umfeld für nichtzyklische Sektoren infolge getrübter Wachstumsaussichten für die Weltwirtschaft erhalten.
So dürfte der nächste Aufschwung nur eine Frage der Zeit sein. Dabei verfügen die besonders abgestraften Mid und Small Caps über das grösste Aufholpotenzial.
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Cyrill Zimmermann ist Head of Healthcare Funds & Mandates und Mitglied der Geschäftsleitung von Bellevue Asset Management. Er gründete Adamant Biomedical Investments 2001 und leitete die Investmentboutique bis zu ihrer Übernahme durch Bellevue im Jahr 2014. Er hat einen Doktortitel der Wirtschaftswissenschaften der Universität Zürich.
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