Ein schwieriges Jahr für die Wirtschaft, ein besseres für die Finanzmärkte.
Kapitalmarktstratege Tilmann Galler von J.P. Morgan Asset Management erwartet dieses Jahr ein schwieriges makroökonomisches Umfeld. Er betont aber auch, dass dies nicht gleichbedeutend mit einem schwierigen Jahr an den Kapitalmärkten sein muss und erwartet vor allem bei Anleihen hoher Bonität gute Renditechancen.
Seinen Ausblick für 2023 hat er in zehn Thesen zusammengefasst:
1. Wachstum unter Trend – Rezession in Europa
Das Wachstum schwächt sich sukzessive ab und es wird dieses Jahr – zumindest in Europa – zu einer Rezession kommen. Für die Aktienmärkte wird entscheidend sein, wie tief diese Rezession ausfällt. Noch hat der Markt nur eine leichte Rezession oder sogar eine «weiche Landung» eingepreist.
Aufgrund der Inflation fallen die Reallöhne und das führt zu einer Kaufkraftkrise der Verbraucher. Zwar gibt es dank der ausgeprägten staatlichen Unterstützungsmassnahmen im Rahmen der Pandemie weiterhin einen Puffer, der den Konsum stützt.
Aber in Europa drücken insbesondere die massiv gestiegenen Energie- und Strompreise die Verbraucherstimmung. Verbunden mit der Schwäche der Industrie wird dies der Treiber der erwarteten Rezession sein.
2. Inflation in den USA und Europa geht deutlich zurück
Das Jahr startet in einem stagflationären Umfeld. Es ist aber zu erwarten, dass die Inflation nicht nur zurückgeht, sondern sich signifikant abschwächt. Das wird ein wichtiges Signal für die Zentralbankpolitik sein. Ein Nachlassen des Preisauftriebs an den Gütermärkten wird massgeblich zu einer tieferen Inflation beitragen.
Der Rückgang bei den Angebotsengpässen und fallende Transportkosten auf den weltweiten Container-Routensind klare Indizien für diese Entwicklung. Auch die Energiepreise können dieser Entwicklung helfen. Der Ölpreis hat im vergangenen März mit 123 Dollar sein bisheriges Zyklushoch erreicht.
Falls der Ölpreis aufgrund der schwächeren konjunkturellen Lage im zweistelligen Bereich bleibt, werden die Basiseffekte disinflationär wirken. Auch der Gaspreis hat sich beruhigt und handelt inzwischen gut 75 Prozent unter dem Höchststand im August.
Selbst wenn sich die US-Inflation halbiert, ist diese weiterhin auf einem erhöhten Niveau von drei bis vier Prozent. Das wird die Zentralbanken weiter wachsam halten, insbesondere vor dem Hintergrund eines robusten Arbeitsmarktes und steigenden Lohnkosten.
3. Zentralbanken pausieren – Zinserhöhungszyklus endet
Aufgrund der nachlassenden Inflationsdynamik sollten die Zentralbanken bald am Ende ihres aktuellen Straffungszyklus angekommen sein. Noch ist es zu früh, das Leitzinshoch auszurufen. Denn die realen Zinsen sind weiterhin negativ und noch nie haben die Zentralbanken den Zinszyklus beendet, wenn die realen Leitzinsen noch negativ waren.
Im Verlauf der ersten Jahreshälfte 2023 erwarten wir, dass der Schnittpunkt zwischen Inflationsrate und Leitzins erreicht wird und dass der Zinserhöhungszyklus zumindest pausiert.
4. Anleihenrenditen fallen
Der nachlassende Gegenwind weiter steigender Zinsen sollte dieses Jahr von den Anleihenmärkten honoriert werden und die Invertierung der Zinsstrukturkurve zurückgehen. Wenn die Märkte wieder eine unterstützende Zentralbankpolitik einpreisen, sollte die Invertierung beendet sein.
Kürzere Laufzeiten sind näher an der aktuellen Inflation, während die längeren Laufzeiten auf das Wirtschaftswachstum insgesamt abzielen. Mit wachsenden Konjunktursorgen werden sich auch die Renditen der längeren Laufzeiten nach unten anpassen. So sind aus taktischer Sicht die längere Duration attraktiv.
5. Obligationen hoher Bonität schlagen High Yield
Nach dem grossen Crash an den Obligationsmärkten heisst es nun «Bonds are back». Die Risikoaufschläge im Hochzinsbereich sehen wir aktuell noch nicht auf ihrem Höchststand, sodass, angesichts der Rezessionsgefahr, eher Anleihen hoher Bonität (Investment Grade Bonds) sinnvoll sind.
6. Anleihen hoher Bonität schlagen Aktien
Das aktuelle Renditeniveau verbunden mit der Aussicht auf tiefere Zinsen ist so vielversprechend, dass für Unternehmensanleihen mit langer Laufzeit und hoher Bonität sogar zweistellige Renditen möglich sind. Ausserhalb eines Szenarios einer weichen Landung der Konjunktur werden es Aktien dementsprechend schwer haben Anleihen zu schlagen.
Die Überbewertung von Aktien ist zwar nach den Kursverlusten im Jahr 2022 verschwunden, doch die künftige Ertragslage bleibt das grosse Fragezeichen. Neben Staats- und Unternehmensanleihen lohnt es sich auch, einen Blick auf qualitativ hochwertige staatsnahe Emittenten (Agency Bonds) zu werfen.
Wichtig ist aber sowohl bei Staats- als auch bei Unternehmensanleihen der Fokus auf gute Bonität.
7. Margen und Unternehmensgewinne fallen
Noch haben die Aktienmärkte für 2023 mit 3 Prozent Gewinnwachstum einen gewissen Optimismus eingepreist. Aber es ist eine weitere negative Korrektur der Gewinnprognosen zu erwarten und die negativen Revisionen und Downgrades werden für eine anhaltende Volatilität an den Märkten sorgen.
Wir beobachten zwei Dynamiken. 2022 gingen die Margen zwar leicht nach unten, trotzdem konnten die Unternehmen die Gewinne steigern, da sie einen grossen Teil der Preissteigerungen an die Kunden weitergeben konnten. Das dürfte dieses Jahr schwieriger werden.
Der Kostendruck, vor allem durch die Lohnkosten, bleibt hoch, Währenddessen eine schwächere Nachfrage das Umsatzwachstum bremst. Das wird die Margen der Unternehmen noch stärker als bisher unter Druck setzen und zu fallenden Gewinnen führen.
8. Value und Dividende übertreffen Growth
Wir erwarten, dass die Substanzwerte gegenüber Wachstumstiteln auch 2023 strukturell weiter die Nase vorn haben sollten. Der Value-Trend sollte sich weiter fortsetzen, jedoch weniger spektakulär. Vor allem zu Beginn dieses Jahres sollte sich das Value-Segment hoher Qualität gut entwickeln. Unternehmen mit Pricing-Power und solider Marktposition sind zu bevorzugen.
Im Verlauf dieses Jahres kann man sich aber darauf einstellen, dass sich an den Aktienmärkten das Umfeld für «Growth» verbessert, obald die Zentralbanken pausieren und die Märkte beginnen die kommende Erholung zu antizipieren.
Unter dem Strich sollten aber Value- und Dividendentitel die Nase vorn haben.
9. China beendet strikte Zero-Covid-Politik
Die Zero-Covid-Politik hat in China im 2022 zu erheblichen Wachstumseinbussen geführt. Die Wirtschaft und insbesondere dem Immobilienmarkt droht eine Negativspirale, sollten die anhaltenden Lockdownmassnahmen nicht ein nachhaltiges Ende finden.
Die Entscheidungsträger in Peking haben aufgrund der wirtschaftlichen Notwendigkeiten begonnen, einen Kurswechsel zu vollziehen, wodurch für die chinesische Wirtschaft eine baldige Erholung zu erwarten ist – es gibt viel aufgestaute Nachfrage.
Wir trauen China und der ganzen Region im nächsten Jahr eine bessere Wachstumsdynamik als den Industrieländern zu.
10. Schwellenländeraktien übertreffen Industrieländeraktien
Insgesamt sollten die Schwellenländer in den nächsten Monaten Auftrieb bekommen. Es gab viele negative Nachrichten, vor allem aus China, was sämtliche Emerging Markets mit nach unten gezogen hat. Bis zum Sommer sollte sich die Lage normalisieren und die aufgestaute Konsumnachfrage für eine Belebung an den Märkten sorgen.
Das macht die Region zyklisch interessant, auch sind die Bewertungen viel günstiger als in den Industrieländern. Die Schwellenländer waren lange nicht so gut bewertet und es ist viel Pessimismus eingepreist. Aber die politischen Risiken in China erfordern auch eine höhere Risikoprämie.
Deshalb ist China auch nicht ganz so attraktiv wie es auf den ersten Blick wirkt. Dennoch trauen wir den Aktien der Region zu, im nächsten Jahr die Industrieländer bei der Performance zu übertreffen. Wenn sich die geopolitische Lage entspannt, sollte der Dollar wieder an Stärke verlieren, was für leidgeprüfte Investoren in den Schwellenländern eine gute Nachricht wäre.
- Der Investmentausblick für 2023 finden Sie hier.
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