Uwe Bürgin, SAS Schweiz, zu den Lücken in der Kundeninteraktion bei Schweizer Versicherungen.


Herr Bürgin, Sie sagen, Versicherungen müssten ihren Dialog mit den Kunden verändern. Warum?

Weil sich die Kundinnen und Kunden in ihrem Verhalten radikal verändert haben – und das wird sich fortsetzen. Sie erwarten heute generell, dass Dienstleistungen schnell, unkompliziert und ohne Medienbrüche ablaufen. Davon sind wir bei den meisten Versicherungsservices und -produkten noch weit entfernt.

Ist diese Veränderung nur eine Annahme, oder gibt es dafür Belege?

Es ist eine Tatsache, dass sich Konsumentinnen und Konsumenten insbesondere in Pandemiezeiten an eine bessere Customer Experience gewöhnt haben und sie jetzt auch bei jedem Anbieter voraussetzen.

Laut einer Studie wechseln 41 Prozent der Kundinnen und Kunden bereits nach ein oder zwei schlechten Erfahrungen den Anbieter. Und mal ehrlich: Inzwischen empfinde ich den Servicestandard von Amazon und Co. als ganz normal und möchte nicht weniger haben.

Aber eine Versicherung schliesst man doch nicht ab, wie man ein Paar Socken kauft?

Klar, eine Haftpflichtversicherung ist kein Lustkauf. Aber genau deshalb wollen Kundinnen und Kunden einen solchen Abschluss möglichst einfach und schnell abwickeln. Ein paar Klicks müssen reichen, das Kundenerlebnis muss frustfrei sein – und darf keine Brüche zwischen den einzelnen Touchpoints aufweisen.

Kein persönlicher Dialog, keine Beratung? Also auch kein Upselling?

Doch – aber die Interaktion mit den Kundeninnen und Kunden muss durchgängig, stringent und schlüssig sein. Wer Kundinnen und Kunden zum Beispiel mit unnötigen Abfragen nervt oder irrelevante Angebote macht, wird ihnen kaum zusätzliche Produkte verkaufen können.

Und warum funktioniert das oft noch nicht gut genug?

Weil die meisten Versicherungen ihre Kundinnen und Kunden noch nicht gut genug kennen. Das klingt eigentlich widersinnig, weil Versicherungen ja per Definition viel über ihre Kundinnen und Kunden wissen müssen und umfangreiche Daten sammeln – sogar mehr als die meisten anderen Branchen. Tatsächlich aber haben die wenigsten ein wirklich einheitliches und vollständiges Bild von den Versicherten.

Erschwerend kommt dazu, dass es eine Vielzahl von Touchpoints gibt – von der Agentur bis zur App – und diese werden auch noch über unterschiedliche operative CRM-Systeme abgebildet (Stichwort: Datensilos). Hier Konsistenz reinzubringen und damit das richtige Angebot in der richtigen Lebenssituation über den richtigen Kanal auszuspielen, das ist eine Aufgabe, an der die meisten Versicherungen noch arbeiten müssen. Und das ist für Versicherungen mit ihrer Spartenaufstellung, die keine Bündelung von Leistungen erlaubt, noch mal eine besondere Herausforderung.

Ansätze, das Kundenerlebnis zu verbessern, gibt es ja zahlreiche, und das seit vielen Jahren.

Das stimmt – aber es ist auch Teil des Problems: Inzwischen hat sich auch in Versicherungen eine schier unüberschaubare Palette an Marketingtechnologien angesammelt. In der Folge wächst die Datenmenge aus Kanälen, Geräten und internen Anwendungen beinahe exponentiell an. Dazu kommt noch die traditionelle Spartenaufstellung von Versicherungen, die diese Silobildung begünstigt.

Und wie löst man diesen Gordischen Knoten?

Ein Wundermittel gibt es dafür natürlich nicht. Aber einen konsequenten Ansatz, der sich in anderen Branchen bereits etabliert hat: die Customer Data Platform.

Also noch ein Tool?

Nein, eine strategische Plattform, die Kundendaten aus den verschiedenen Quellen, Systemen und Spartenanwendungen zu einem Gesamtbild integriert. Ein CDP ist keine weitere Parallelwelt, sondern eine neue Sicht. Die Plattform macht es möglich, sämtliche im Unternehmen vorhandenen Informationen zu Kundinnen und Kunden zu sammeln und daraus wirklich relevante Interaktionen abzuleiten.

Dies wird noch wichtiger, wenn die über die CDP gesammelten Daten zur Customer Experience über das Marketing hinaus genutzt werden sollen – zum Beispiel in den Bereichen Vertrieb, Service, Betrugserkennung und Risikomanagement bis hin zu neuen Geschäftsmodellen – Stichwort: Journey Management.

Diesen Anspruch gibt es schon länger…

… aber die Lösung in dieser Konsequenz eben nicht. Eine CDP liefert die dafür notwendige Intelligenz. Sie gibt Einblicke in vergangene Transaktionen sowie in den aktuellen Situationskontext. Und das Ganze in Echtzeit, wo notwendig. Wer eine Reiseversicherung per App abschliessen will, hat keine Geduld! Unterm Strich bedeutet das: mehr Kundenprofitabilität, schlankere Prozesse und bessere Kundenbindung.

Wie weit sind die Versicherungen in der Schweiz auf diesem Weg?

Alle wissen, dass sie mit dem veränderten Kundenverhalten mitgehen müssen – das ist alternativlos. Deshalb gibt es bei jeder Versicherung strategische Projekte zum Thema Customer Experience. Jetzt kommt es darauf an, ganz pragmatisch den ersten Schritt in Richtung CDP zu gehen.

Lohnt sich da ein Blick ins Ausland?

Vor allem lohnt sich ein Blick auf andere Branchen. Gerade von Händlern oder Telcos lässt sich hier sehr viel lernen.


Uwe Bürgin ist Account Executive Insurance bei SAS Schweiz und zuständig für alle Versicherungskunden von SAS in der Schweiz (inklusive Zurich, Swiss Life, Swiss Re, AXA, Allianz, Generali, Baloise, Helvetia, Mobiliar, SUVA, Helsana und Visana). SAS hilft Unternehmen, mehr geschäftlichen Nutzen aus Daten zu ziehen und ist das grösste private Softwareunternehmen der Welt mit mehr als 12'000 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 3 Milliarden Dollar. Über 1'400 Versicherungsunternehmen in 55 Ländern setzen bei ihrer digitalen Transformation auf SAS.