André Lagger, CEO LGT Financial Services, über die Aufgabe und spezielle Arbeitsweise der IT in einer mittelgrossen Bank, und warum viele Unternehmen die IT-Auslagerung nun wieder rückgängig machen.
Corona war für die IT der LGT sicher eine wichtige Zäsur: alle Hände voll zu tun und dafür verantwortlich, dass die Infrastruktur weiterläuft?
Keine Zäsur, aber eine Herausforderung, weil wir den Grossteil der Mitarbeitenden in kurzer Zeit und unter aufwändiger Beschaffung zahlreicher Hardware mit Home-Office-Arbeitsplätzen ausrüsten mussten. Wir konnten aber auch flexibel und rasch auf neue Anliegen reagieren, zum Beispiel mit der Einführung von MS Teams. Das geht nur so schnell, wenn man die IT-Expertise im Haus hat.
Der Wandel in der IT hatte sich schon vor Corona abgezeichnet – um was ging und geht es da?
Die IT unterstützt seit jeher die Geschäftsaktivitäten der LGT Gruppe. Ihre Bedeutung hat aber in den letzten Jahren stark zugenommen. Corona hat die Bedeutung der IT nochmals akzentuiert. Die IT ist mehr denn je zentraler Bestandteil, um Wertschöpfung zu generieren. Sie ist ein Wettbewerbsfaktor, denn Banking ist IT, und IT ist elementar für die Zukunftsfähigkeit.
«Banking ist IT»
Aber IT ist nichts wert ohne Einbezug des Business, welches sich heute mit klarem strategischem Fokus einbringt. Gemeinsam sind wir Treiber der digitalen Transformation.
IT und Business – wie sieht das Zusammenspiel aus?
Digitalisierung, Data Analytics, Agilität, höhere Geschwindigkeit, immer breitere Geschäfts- und geographische Abdeckung, Wettbewerber etc. Die IT muss aufgrund solcher Entwicklungen immer schneller und flexibler auf Kundenbedürfnisse reagieren können. Das geht nur, wenn wir eng mit dem Business zusammenarbeiten.
Wir können ja nicht einfach loslegen, ohne die kundenseitigen Anforderungen zu kennen. Die Verzahnung zwischen Business und IT, sprich frühe und enge Einbindung der Benutzer sowie der Sichtweise des Kunden, hat sich stetig verbessert.
Wie verändert das die LGT und insbesondere deren IT?
Wir haben mittlerweile einen längerfristigen Fokus auf unsere Kernprodukte wie Avaloq oder unser Online-Banking. Das Business hat sich entsprechend organisiert, es priorisiert und gibt der IT die inhaltlichen Anforderungen vor. Wir sind weniger kurzfristig getrieben als früher. Heute haben wir eine gemeinsam abgestimmte und regelmässig überprüfte Roadmap über einen längeren Zeithorizont hinweg für die Bewältigung zukünftiger Herausforderungen.
Auch die IT kann die Ownership für Produkte oder Problemlösungen noch verbessern. Ein IT-Service wird im Prinzip wie ein Produkt angeboten. Die Erstellung eines Produktes bei uns ist kompliziert und umfasst eine Kombination involvierter Personen, Prozesse und Technologien – fachübergreifend innerhalb der IT. Am Ende braucht es eine über alle Aspekte hinweg verantwortliche Person.
«Wir haben permanente Neuerungen, um neue Bedürfnisse in den Produkten abzubilden»
Neue Projektmethoden wie Agilität verändern das Zusammenspiel innerhalb der IT und mit den Benutzern zusätzlich. Die Erzielung des bestmöglichen Kundennutzens steht dabei im Fokus. Gemeinsam entwickeln wir in einem iterativen Prozess durch regelmässige Rückmeldungen bei der Lösungsumsetzung ein qualitativ hochwertiges Produkt.
Wenn man vorausplant, dann geht es vermutlich nicht einfach darum, ein Produkt einzuführen und dann das nächste Projekt in Angriff zu nehmen?
Projekte und daraus resultierende Produkte sind fast nie abgeschlossen, auch wenn ein Produkt in den Regelbetrieb übergeht. Wir haben permanente Neuerungen, um neue Bedürfnisse in den Produkten abzubilden.
Vor dem Regelbetrieb steht aber die Produkteinführung mit ihrem grossen Initialaufwand. Am besten sieht man das an Avaloq. Vor etwas mehr als zehn Jahren als grosses Projekt abgeschlossen, haben wir heute quartalsweise Release Windows mit unzähligen Änderungen. Das ist wie ein lebender Organismus.
«Unsere IT-Architekten geben den Bebauungsplan vor»
Neue Produkte, neue Anforderungen, neue Technologien – wie behält man da den Überblick?
Das ist eine Aufgabe für das gesamte IT-Management. Dazu gehört die Marktbeobachtung, eine gute Vernetzung mit Peers, Technologie-Partnern, Konkurrenten und die Pflege von Netzwerken. Dazu sind auch unsere IT-Architekten wichtig. Sie beurteilen zusammen mit unterschiedlichen Stakeholdern Technologien, Trends und anzuwendende Methoden. Sie sind im Prinzip Stadtplaner und beurteilen, wie man Applikationen bestmöglich nutzt und wo Synergien sind.
Denn nicht jedes neue Bedürfnis braucht ein neues Produkt. Manchmal kann Bestehendes genutzt oder angepasst werden. Die IT-Architekten geben damit quasi den Bebauungsplan vor und etablieren Zielvorgaben. Ein gewisses Mass an Heterogenität gibt es aber immer. Die IT-Architekten entwerfen hierfür das Strassennetz, damit wir uns im Technologie-Dschungel nicht verlieren.
Abseits der Komplexität, welchen weiteren Herausforderungen muss sich die IT der LGT stellen?
Um die Potenziale der Digitalisierung zu nutzen, müssen wir noch mehr kollaborativ und bereichsübergreifend mit allen Stakeholdern arbeiten. Damit wird der persönliche Austausch, die Kommunikation, ein gemeinsames Verständnis sowie eine enge Zusammenarbeit noch wichtiger.
Die zunehmende Auslagerung stimmt so nicht mehr
Die organisatorischen Grenzen treten in den Hintergrund. Unabhängig davon wird die Informationstechnologie zur zentralen Drehscheibe für umwälzende Veränderungen. Sie kann aber nur Mehrwert generieren, wenn die Kunden- und Nutzerperspektive einfliesst.
Das klingt nach mehr interner IT bei der LGT, während viele Wettbewerber die IT zunehmend auslagern?
Das mit der zunehmenden Auslagerung stimmt so nicht mehr. Viele holen die IT wieder zurück in ihre Organisation. Wer die digitale Zukunft eines Unternehmens mitgestalten möchte, muss grosse Teile seiner IT besitzen und das notwendige Fachwissen im Haus haben oder dort aufbauen.
Das heisst nicht, dass wir alles selber machen; zum Beispiel bei wenig differenzierenden Services oder beim Betrieb von Standardlösungen kann Cloud eine Alternative sein. Aber auch bei Cloud Services brauchen wir interne Experten, um diese Anwendungen zu nutzen.
Welche Rolle spielen dabei die Mitarbeitenden?
Jeder bei uns ist regelmässig mit Änderungen in seinem Aufgabengebiet konfrontiert. Ein Zeichen, dass wir alle vom Wandel betroffen sind. Viele Mitarbeiter gestalten und wirken aktiv bei diesen Veränderungsprozessen mit. Es ist elementar, unsere Mitarbeiter weiter auf dieser Reise mitzunehmen und die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.
«Wir wollen eine attraktive Adresse für Talente bleiben»
Veränderungen als Chance und nicht als Gefahr begreifen, kontinuierliche Investition in Ausbildung und Weiterentwicklung, an die Talente unserer Mitarbeiter glauben, sie befähigen, neue Themen anzupacken sowie notwendiger Fachexpertise in gewissen Bereichen zuziehen, um zu lernen. In Summe wollen wir eine attraktive Adresse für Talente bleiben und unsere Mitarbeiter weiterhin mit spannenden Aufgaben begeistern.
André Lagger ist seit 2001 CEO von LGT Financial Services in Vaduz und seit 2006 CEO des Geschäftsbereichs Operations & Technology. Er studierte Betriebs- und Volkswirtschaft an der Universität Bern, wo er auch promovierte.