Wie in anderen Sektoren der Finanzbranche herrscht auch in der internationalen Vermögensverwaltung ein intensiver Wettbewerb. Dabei sind auch Veränderungen im Gange, die eine Disruption auslösen können.
Von Patrik Spiller, Wealth Management Industry Lead Schweiz, Deloitte
Das Deloitte International Wealth Management Centre Ranking 2021 zeigt, dass die Schweiz in Sachen Wettbewerbsfähigkeit weiterhin weltweit die Nummer eins ist und ihre führende Position aus dem letzten Bericht von 2018 beibehalten konnte – jedoch sind Singapur und Hongkong ihr dicht auf den Fersen.
Der Vorsprung der Schweiz als führendes Wealth-Management-Zentrum könnte sich verkleinern: Die Deloitte-Studie ergab, dass gemessen am Wachstum der verwalteten internationalen Vermögen die Schweiz im Jahr 2020 nur noch an sechster Stelle rangiert – ein enttäuschendes und vielleicht auch überraschendes Ergebnis.
Politische und finanzielle Stabilität
Der grösste Teil des künftigen Wachstums in diesem Sektor findet in Asien (nicht zuletzt in China) statt. Der Wettbewerb um asiatische vermögende Kunden ist bereits intensiv. Trotz des Gegenwinds konnte die Schweiz in den letzten zehn Jahren ihre beeindruckende Stellung als Nummer eins unter den Offshore-Zentren verteidigen: Die aktuelle Herausforderung besteht darin, diese auch weiterhin zu halten.
Internationale Investoren schätzen die politische und finanzielle Stabilität, eine traditionelle Stärke der Schweiz im Vergleich zu anderen Zentren; aber obwohl die konkurrierenden Wealth-Management-Zentren Hongkong und Grossbritannien eine gewisse politische Unsicherheit erleben, muss die Schweiz innovativ sein, um an der Spitze zu bleiben.
Reaktion auf den Margendruck
Die Margen sind unter Druck. Die Vermögensverwalter sehen sich mit höheren Kosten konfrontiert, zum Beispiel bei der Aufnahme neuer internationaler Kunden und aufgrund der wachsenden regulatorischen Anforderungen in Bereichen wie dem Schutz von Finanzdaten. Auch bei den Gebühren ist verstärkt eine Erosion zu verzeichnen.
Mit dem zunehmenden Wettbewerb in der Branche ist mit einer gewissen Konsolidierung zu rechnen, da die Unternehmen versuchen, ihre finanzielle Leistung durch Fusionen und Übernahmen zu steigern und in grösserem Massstab zu operieren.
Die Richtung des Wandels
Klar scheint zu sein, dass Vermögensverwalter auf die Veränderungen im Markt reagieren und eine klare Strategie für die Zukunft entwickeln müssen. Sie müssen die sich wandelnden Bedürfnisse und Verhaltensweisen der internationalen Kunden erkennen und sich ihnen anpassen: Da die Kunden zunehmend digital versiert sind, müssen die Unternehmen ein Kundenerlebnis entwickeln, das sowohl Online-Dienste umfasst aber auch wertvolle persönliche Interaktionen bietet.
Über digitale Plattformen können Dienstleistungen und Produkte, die keine intensive menschliche Interaktion und Fachkenntnisse erfordern, angeboten werden. Dabei könnten individuelle, «High touch»-Beratungsangebote mit einem leichteren beratungsorientierten Modell gemischt werden, und sogar ein volldigitales Beratungsmodell könnte angemessen sein.
Widerstandsfähige Geschäftsstrukturen
Der Schwerpunkt sollte auf profitablen Offshore-Segmenten liegen. Die Unternehmen müssen versuchen, vermögende Privatkunden aus wachstumsstarken Regionen anzusprechen und eine breite, innovative Produkt- und Dienstleistungspalette anbieten.
Die Unternehmen müssen auch sicherstellen, dass ihre Geschäftsstruktur so widerstandsfähig ist, dass sie Störungen wie die extreme Preisvolatilität aufgrund der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 überstehen können. Die operative Belastbarkeit ihrer Handels-, Abrechnungs- und Clearingverfahren und der damit verbundenen Systeme muss gewährleistet sein.
Ausserdem sollten sie wichtige Fähigkeiten ihres Geschäfts wie Kunden- und Vertriebsanalysen mithilfe von CRM- und Datenmanagement-Tools verbessern und so die Effizienz ihres Vertriebs steigern.
Umfassend in die Digitalisierung investieren
Die Vermögensverwalter müssen umfassend in die Digitalisierung investieren, um mit Big-Tech- und Fintech-Unternehmen mitzuhalten oder mit ihnen zusammenarbeiten, damit sie ihren Kunden einen erstklassigen Service und flexible technologische Plattformen bieten können. Digitales Marketing wird bei der Anwerbung von Neukunden zum Einsatz kommen.
Die Produktangebote müssen differenziert werden, nicht zuletzt, weil das Interesse der Anleger an ESG-Investitionen, Private Equity, Kryptowährungen und digitalisierten Token-Assets wächst. Der Wettbewerb um Top-Talente, den sich Wealth Management-Zentren und -Anbieter liefern, wird ebenfalls intensiv bleiben: Eine starke und integrative Kultur kann ein entscheidendes Unterscheidungsmerkmal sein, um Talente anzuziehen und zu halten, und engagierte Mitarbeiter sollten durch Schulungen und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten gefördert werden.
Enttäuschung im Jahr 2020: Ein Weckruf
Die Schweiz schneidet als Zentrum für die Verwaltung von internationalen Vermögen weiterhin gut ab. Die Tatsache, dass das Volumen der verwalteten internationalen Vermögen in der Schweiz im Jahr 2020 ein langsameres Wachstum verzeichnet hat, mag in gewisser Weise auf die durch Covid-19 verursachte Störung zurückzuführen sein, sollte aber dennoch als Weckruf dienen, um die strategische Ausrichtung zu überprüfen und auf Veränderungen am Markt zu reagieren.
Es wird sehr interessant sein zu beobachten, welche Massnahmen die Unternehmen und die Schweizer Regierung ergreifen, um die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt aufrechtzuerhalten, und welche Auswirkungen sie auf die Marktposition haben. Bis zur Veröffentlichung des nächsten Deloitte International Wealth Management Centre Rankings kann sich der globale Markt erheblich verändern.
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