Frauen sind der wahrscheinlich grösste Wachstumsmarkt der Welt. Warum sich «gender lens investing» für Anleger auszahlt.
Von Antonia Strachwitz, LGT Venture Philanthropy
Möchte man mit seinem Investment positive Wirkung für die Gesellschaft erzielen, sollte man Statistiken zufolge auf Frauen setzen: Von jedem US-Dollar, den Frauen in Schwellenländern verdienen, verwenden sie statistisch gesehen 90 Prozent für die Gesundheit, Ernährung oder Bildung der Familie. Ein Mann gibt gerade mal 30 Prozent seines Lohns für diese Zwecke aus. Doch nicht nur aus sozialen Gesichtspunkten zahlt es sich aus, vermehrt auf Frauen zu setzen.
Frauen als Unternehmerinnen und wirtschaftliche Akteure sind mit allerhand gesellschaftlichen Barrieren konfrontiert, insbesondere in Entwicklungsländern: Sie haben oftmals weniger Zugang zu Bildung, Technologien, Finanzmitteln und rechtlichem Schutz.
Aufholbedarf von Frauen
Das World Economic Forum (WEF) gibt seit 2006 jährlich seinen «Global Gender Gap Report» heraus und misst darin den Aufholbedarf von Frauen in Bereichen wie wirtschaftlicher Teilhabe, Bildungsabschluss, Gesundheit, Überleben und politischer Beteiligung.
Im Jahr 2017 verschlechterten sich die Zahlen zum ersten Mal, 2020 verzeichnete der Bericht wieder Verbesserungen. 49,5 Prozent der Weltbevölkerung sind zu Beginn dieses Jahres weiblich, potenziell von Diskriminierung betroffen und wirtschaftlich schlechter gestellt als Männer im selben Umfeld. Der Bedarf an Förderung von und an Investitionen in Frauen ist also – ebenso wie das Potenzial für positive Wirkung – enorm. Ein amerikanisches Magazin erklärte Frauen sogar zum grössten Wachstumsmarkt in der Weltgeschichte.
Frauen machen Investments attraktiv
In den letzten Jahren hat sogenanntes «gender lens investing» vor diesem Hintergrund immer mehr Aufmerksamkeit erregt. Dabei werden vor einer Investmententscheidung unter anderem folgende Faktoren in Erwägung gezogen: Wie ist der Frauenanteil in der Firma? Kommen das Produkt, die Dienstleistung und die Aktivitäten Frauen zugute? Sind die Gründer weiblich? Sind andere Investoren weiblich? Ist die Mission der Firma im Interesse der Geschlechtergleichstellung oder fördert diese direkt?
Wenn solche «Gender»-Faktoren berücksichtigt werden, zahlt sich das für Investoren aus: Eine Studie stellte 2016 fest, dass die Kapitalrendite von Unternehmen mit mindestens einer Frau in der Führungsequipe in der Dekade davor um 3,3 Prozent pro Jahr höher lag als bei einem Konzern ohne Frauen im oberen Management. Ein 15-prozentiger Frauenanteil wiederum bringt statistisch betrachtet 50 Prozent mehr Profitabilität als einer von weniger als 10 Prozent.
Befürworter Warren Buffett
Unter den Fortune 500 Firmensind jene mit den höchsten Frauenanteilen in ihren Vorständen signifikant erfolgreicher als der Rest. Harvard Business Review berichtete 2018, dass von Frauen geführte Unternehmen innerhalb von nur fünf Jahren im Schnitt um 10 Prozent höhere Gewinne erwirtschaften, jedoch weibliche Gründerinnen im Schnitt weniger als halb so hohe Investitionsbeträge erhalten.
Auch in der Gruppe der Selfmade-Milliardäre legen Frauen enorm zu. Im Jahr 2020 zählte die Liste 100 Frauen. Nicht ohne Grund spricht sich Investment Legende Warren Buffett bereits seit Jahren dafür aus, dass die Gesellschaft aufhören müsse, «nur 50 Prozent des verfügbaren Humankapitals» voll zu nutzen und dass Frauen die treibende Kraft der Zukunft seien.
Frauen investieren anders
Frauen führen nicht nur anders, sie investieren auch anders. 2019 lag der Frauenanteil in Führungspositionen in der Finanzindustrie bei etwa 22 Prozent, im Private Equity Bereich 2018 bei nicht einmal zehn Prozent. Dass die Finanzbranche als Männerdomäne gilt, scheint jedoch nicht am mangelnden Talent der Frauen zu liegen.
Ganz im Gegenteil: «Wie ein Mädchen» zu investieren bedeutet mitunter, mehr Erfolg dabei zu haben. Im Schnitt neigen Frauen dazu, gründlicher zu recherchieren, sie gehen weniger Risiken ein und arbeiten erfolgreicher in Teams. Zudem sind sie meist nicht so sprunghaft wie ihre männlichen Kollegen, geduldiger, nicht so anfällig für Gruppendruck und setzen mehr auf Nachhaltigkeit.
Hartnäckig in vielen Köpfen
Fidelity Investments sorgte 2017 mit den Ergebnissen einer Analyse von mehr als 8 Millionen individuellen Investment Accounts für Erstaunen: nicht nur würden weibliche Anleger mehr sparen, ihre Investitionen würden jährlich auch mehr erwirtschaften.
Und trotzdem scheint das Stereotyp der finanziell minder begabten Frau hartnäckig in vielen Köpfen verankert zu sein. In einer ebenfalls von Fidelity durchgeführten Umfrage gaben 91 Prozent der Befragten an, dass sie Männer für die kompetenteren Investoren hielten.
Dass Frauen ihr Vermögen nicht nur kompetent, sondern auch anders als Männer anlegen, könnte in den nächsten Jahren von steigender Bedeutung sein. Schätzungen zufolge wird in den kommenden vier Dekaden weltweit ein Vermögenstransfer in der Höhe von etwa 41 Billionen Dollar an die nächste Generation stattfinden. Stolze 70 Prozent davon werden an Frauen vererbt.
Frauen kontrollieren künftig mehr Reichtum
Wer vorausdenkt, der sollte also einen Blick auf weibliche Vorlieben werfen: So wechseln beispielsweise 70 Prozent der Frauen heute ihre Finanzberater innerhalb des ersten Jahres nachdem sie Witwe geworden sind. Wohlhabende Damen sind mit dem bisherigen Angebot der Finanzindustrie unzufrieden.
Dies liegt zum Teil daran, dass sie nicht ausschliesslich an der Gewinnmaximierung interessiert sind. 76 Prozent aller Frauen interessieren sich für nachhaltige Anlagen. Diese Präferenz äussert sich auch darin, dass Frauen vermehrtes Interesse an «gender lens investing» zeigen.
Dürfen weibliche Unternehmerinnen also auf eine Zukunft hoffen, in der sie nicht mehr zu drastischen Massnahmen greifen und etwa unter dem Pseudonym eines fiktiven männlichen Mitgründers kommunizieren müssen, um ernst genommen zu werden? In der zwei X-Chromosomen vielleicht sogar als positives Merkmal wahrgenommen werden? Vorsichtiger Optimismus scheint angebracht.
Antonia Strachwitz ist Investment Managerin bei LGT Venture Philanthropy und leitet die Kommunikation. Nach Studien in Ostasien-Wissenschaften und Wirtschaft arbeitete sie mehrere Jahre für die liechtensteinische Delegation der Uno in New York. Bei der LGT möchte sie ihren Beitrag dazu leisten, die Lebensqualität benachteiligter Menschen auf unternehmerische Art zu verbessern. Sie bloggt zu Trends und Themen rund um Impact Investing, Philanthropy und nachhaltige Anlagen.