Inflation beherrscht noch immer die Schlagzeilen. Investoren sollten die Auswirkungen verschiedener Inflationsszenarien auf inflationsgebundene Obligationen (Linker) abschätzen – und Wertpapiere aller Laufzeiten in Betracht ziehen.
Von Jonathan Baltora, Head of Sovereign, Inflation and FX, Fixed Income, AXA Investment Managers
Der Sommer 2022 war voll Gegensätze: In Europa sorgten die Energiekrise und Rezessionsängste für Schlagzeilen, in den USA nährten die Kursrallye und das gute Konsumklima die Hoffnung auf eine weiche Landung. Ein gemeinsames Thema wird bis zum Jahresende aber intensiv diskutiert werden: wann die Inflation ihren Höhepunkt erreicht.
Investoren sollten sich überlegen, wie sie ihre Inflationsstrategien an ein neues Marktumfeld anpassen können. Bis zum Jahresende und Anfang 2023 ist zweierlei denkbar: schwächeres Wachstum mit steigender Inflation (Stagflation) oder schwächeres Wachstum mit einer zwar immer noch hohen, aber doch fallenden Inflation (Disinflation).
Lässt das Wachstum nach?
Der US-Einzelhandelsriese Walmart berichtete im August zwar über einen besseren Geschäftsgang und höhere Ausgaben der Haushalte1 , doch nicht alle Bereiche spiegeln diesen Optimismus. Im Juli lag die Kerninflation in den USA noch immer deutlich über dem zwei Prozent-Ziel der US-Notenbank (Federal Reserve, Fed); der US-Einkaufsmanagerindex (PMI) für den Dienstleistungssektor sank unter die Expansionsschwelle von 50.
Im Euroraum war vor allem das verarbeitende Gewerbe schwach, und die chinesische Wirtschaft ist erst dabei, sich von den Lockdowns zu erholen. Ausserdem stieg die Inflation im Euroraum im August auf den Rekordwert von 9,1 Prozent, und in Grossbritannien betrug sie 9,9 Prozent, nach 10,1 Prozent im Juli.
Etwas Grund zur Hoffnung liefern hingegen die USA. Nachdem die Inflation im Juni mit 9,1 Prozent den höchsten Stand seit November 1981 erreicht hatte, ist sie im Juli leicht auf 8,5 Prozent und im August auf 8,3 Porzent zurückgegangen – es ist aber nicht klar, wie schnell sie weiter fallen wird.
Ein Stagflationsszenario
Stagflation bedeutet, dass eine dauerhaft hohe Inflation mit hoher Arbeitslosigkeit und schwachem Konsum einhergeht. Viele Ökonomen rechnen zurzeit mit diesem Szenario. Die hohe und hartnäckige Teuerung schwächt Kaufkraft und Konsumklima.
Lebensmittel- und Energiepreise könnten hingegen weiter steigen, sodass sie die Inflation trotz geringer Konsumausgaben weiter anheizen. Die Notenbanken könnten sich dann mit Zinserhöhungen zurückhalten, da sie die Auswirkungen auf die Haushalte fürchten.
Doch wie die überraschende Zinserhöhung der EZB um 50 Basispunkte vom 21. Juli 2022 zeigt – am 8. September 2022 folgte dann ein weiterer Zinsschritt von 75 Basispunkten –, dürfte die Geldpolitik unvorhersehbar bleiben. Es gibt deshalb noch immer gute Gründe für Kurzläuferstrategien, deren Kurse eher von der Inflation abhängen als von der Höhe der Zinsen.
Wer gezielt auf eine steigende Break-even-Inflation setzt, was zu Jahresbeginn sehr erfolgreich war, verdient in Zukunft vielleicht weniger. Die Inflation mag zwar weiter steigen, aber wohl nicht mehr so stark wie Anfang 2022. Da die Break-even-Inflation meist den Inflationserwartungen folgt, könnte eine solche Strategie im Stagflationsszenario weniger gut abschneiden als andere Ansätze.
Und wenn die Inflation zu fallen beginnt?
Trotz einiger Anzeichen für eine weiche Landung in den USA spricht wenig für einen raschen Inflationsrückgang. Gegen die lange so beliebte These von der «vorübergehenden Inflation» sprechen ihre Hartnäckigkeit und ihre preistreibenden Faktoren.
Bei einer zwar sinkenden, aber noch immer hohen Inflation stünden die Notenbanken vor der Herausforderung, die Notwendigkeit von Zinserhöhungen gegen das damit verbundene Rezessionsrisiko abzuwägen. All das spricht dafür, dass inflationsgebundene Obligationen mit kurzer Laufzeit interessant bleiben könnten, weil weiterhin mit einer grosszügigen Inflationsindexierung zu rechnen ist und das weitere Verhalten der Notenbanken unklar ist.
Sollten die Notenbanken aber – wie manche vermuten – eine Rezession herbeiführen, um die Inflation unter Kontrolle zu bringen, könnten langlaufende Linker interessant sein. Selbst wenn die Inflation im Vorjahresvergleich irgendwann fällt, könnte sie im Vormonatsvergleich – vor allem im Euroraum und in Grossbritannien – noch länger hoch bleiben.
Mit einer in Euro abgesicherten, laufzeitübergreifenden Anlage in inflationsgebundene Obligationen kann man im nächsten Jahr vielleicht mehr als 5 Prozent verdienen, weil die Renditen mit knapp 4,5 Prozent zurzeit recht hoch sind.2 Für Anleger, die bereit sind, eine etwas höhere Volatilität in Kauf zu nehmen, können inflationsgebundene Anleihen mit allen Laufzeiten eine interessante Option sein.
Die weltweite Perspektive
Neben der grundsätzlichen Wahl der Strategie sollten Investoren auch überlegen, in welchen Regionen sie investieren. Die Inflation ist nicht überall gleich, und sie kann sich unterschiedlich entwickeln: In den USA sorgt vor allem die heiss gelaufene Binnenkonjunktur für eine hohe Teuerung, während es in Deutschland die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise sind.
Auch scheinen Zinserhöhungen in Grossbritannien sehr viel wahrscheinlicher als in Japan. Weil Lieferketten aber noch immer global sind, können wirtschaftliche Entwicklungen in manchen Binnenländern weltweite Folgen haben. Deshalb ist es so wichtig, bei Inflationsstrategien international zu denken.
Viel spricht dafür, dass uns ein Abschwung bevorsteht. Ob wir aber eine Disinflation oder eine Stagflation erleben, bleibt abzuwarten und kann von Land zu Land verschieden sein. Die Realrenditen scheinen zurzeit für Käufe von Linker zu sprechen, und für die Realrenditen inflationsgebundener Kurzläufer könnte das noch länger gelten.
Für Anleger, die in der Lage sind, Volatilität zu überstehen, könnten sich Linker mit langer Laufzeit für ein «Kaufen und Halten» empfehlen.
- Mehr Informationen über Inflationsthemen von Axa Investment Managers finden Sie hier.
1Quelle: The Economist, 20. August 2022
2Quellen: AXA IM, Bloomberg, Stand 5. September 2022
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