Künstliche Intelligenz ist als Thema omnipräsent. Die «New York Times» hat das Thema in ihrer Online-Ausgabe mit einer eigenen Dauerrubrik geadelt.

Von Simon Gomez, Head Data and Innovation LGT Group 

Dabei beschäftigt das Thema die Wissenschaft schon lange, wie Abraham Bernstein, Professor am Institut für Informatik an der Universität Zürich in seinem Vortrag zur Künstlichen Intelligenz (KI) im Rahmen der gemeinsamen Stiftungskonferenz der LGT Bank Schweiz und der «UZH Foundation - Die Stiftung der Universität Zürich» zeigte.

Und: KI bietet immense Chancen, wirft aber auch wichtige Fragen auf, die die Gesellschaft beantworten muss. Professor Bernstein fordert uns daher auf, kritische Denker zu werden und die KI zu hinterfragen, während wir uns in dieser neuen Landschaft zurechtfinden.

Kurzer Blick zurück

Die Reise der KI begann lange vor dem digitalen Zeitalter. Frühe Ideen lassen sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen, als Denker wie Magnus glaubten, Intelligenz könne durch mechanische Systeme nachgebildet werden. Die moderne Ära der KI wurde massgeblich durch die Arbeit von Alan Turing während des Zweiten Weltkriegs geprägt.

«Die Möglichkeiten von KI sind heute scheinbar grenzenlos»

Turings Entwicklung des Turing-Tests, der die Fähigkeit einer Maschine bewertet, intelligentes Verhalten zu zeigen, das von dem eines Menschen nicht zu unterscheiden ist, legte einen wichtigen Grundstein für die heutige KI-Forschung, die Entwicklung hoch leistungsfähiger Computer beschleunigte die breite Anwendung von KI.

Fülle an Möglichkeiten…

Die Möglichkeiten von KI sind heute scheinbar grenzenlos. Von der Krebserkennung über die Betrugsaufdeckung bis hin zu personalisierten Lernprogrammen - überall verspricht die Künstliche Intelligenz gewaltige Effizienzsteigerungen und Fortschritte.

In der medizinischen Bildgebung können KI-Systeme beispielsweise Anomalien in Röntgen- oder MRT-Bildern erkennen und so zur Früherkennung von Krankheiten beitragen. Im Finanzwesen setzen Banken auf KI, um verdächtige Transaktionen zu identifizieren und Finanzbetrug zu bekämpfen.

Und im Bildungsbereich ermöglichen adaptive Lernsysteme auf Basis von KI individuelle Lernpfade für jeden Schüler. Doch der wahre Wert von KI liegt nicht im Ersetzen, sondern im Ergänzen menschlicher Fähigkeiten. Indem sie die Menschen von Routineaufgaben entlastet, eröffnet KI neue Räume für Kreativität und strategisches Denken.

…die Ansätze dahinter…

Wie aber lernt KI eigentlich? Im Kern basiert künstliche Intelligenz auf drei Prinzipien: Dem induktiven Ableiten von Mustern aus Daten, dem deduktiven Schliessen aus Wissensdatenbanken und dem Erkennen von Analogien zu bekannten Lösungen.

Beim induktiven Lernen werden Modelle wie Entscheidungsbäume oder neuronale Netze mit grossen Datenmengen trainiert. Anhand dieser Beispiele lernen sie, Muster und Gesetzmässigkeiten zu erkennen und auf neue Fälle anzuwenden.

«Doch bei allen faszinierenden Möglichkeiten drängen sich kritische Fragen auf»

Deduktives Schliessen wiederum bedeutet, dass KI-Systeme aus einer Wissensbasis, die Fakten und Regeln enthält, logische Schlussfolgerungen ziehen. Und beim analogen Schliessen erkennt KI Ähnlichkeiten zwischen Problemen und überträgt Lösungsstrategien von bekannten auf unbekannte Fälle.

Eindrucksvoll zeigt sich dies etwa bei der Bilderkennung, wo neuronale Netze aus Millionen Bildern regelbasiert lernen, Objekte zuverlässig zu klassifizieren.

… und die kritischen Fragen dazu

Doch bei allen faszinierenden Möglichkeiten drängen sich kritische Fragen auf: Wie stellen wir die Transparenz und Verantwortlichkeit von KI-Systemen sicher? Wie begegnen wir Verzerrungen und Diskriminierung in den Trainingsdaten? Und wie meistern wir die arbeitsmarktlichen und wirtschaftlichen Umwälzungen durch diese Automatisierung?

Schliesslich treffen KI-Systeme zunehmend Entscheidungen, die sich massiv auf das Leben von Menschen auswirken, etwa bei der Kreditvergabe oder der Personalauswahl. Hier müssen wir sicherstellen, dass die Entscheidungskriterien fair, ethisch vertretbar und nachvollziehbar sind.

Auch Datenschutz und Privatsphäre sind kritische Themen, denn KI-Systeme benötigen riesige Datenmengen, oft auch sensible persönliche Daten. Hier gilt es, die Rechte des Einzelnen zu schützen, ohne die Entwicklung von KI zu sehr einzuschränken.

«Wir müssen genau hinter die Kulissen der Systeme blicken»

Und schliesslich birgt die Automatisierung durch KI die Gefahr, dass ganze Berufsgruppen wegfallen. Unbequeme, aber unvermeidliche Themen, die uns alle angehen. Professor Bernstein betont daher mehrfach die Notwendigkeit des kritischen Denkens im KI-Zeitalter.

Wir müssen genau hinter die Kulissen der Systeme blicken, ihre Entscheidungswege verstehen und hinterfragen. Nur wer KI begreift, kann sie sinnvoll nutzen und ihre immensen Chancen voll ausschöpfen.

Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit und Vielfalt

Ein weiterer wesentlicher Punkt Bernsteins war die Bedeutung der Zusammenarbeit von Experten über verschiedene Disziplinen hinweg. Im Zeitalter der KI müssen kollektive Bemühungen interdisziplinär sein, um die komplexen Herausforderungen der KI zu bewältigen.

Es ist unerlässlich, die Bereitschaft mitzubringen, eigene Ansätze und Überzeugungen in Frage zu stellen und klar zu kommunizieren, um eine effektive Zusammenarbeit zu gewährleisten. Vielfältige Teams, die unterschiedliche Perspektiven einbringen, sind von entscheidender Bedeutung, da sie Kreativität und Innovation fördern.

Besonders wichtig ist auch eine ausgewogene gesellschaftliche Debatte, die weder in Angst noch Euphorie verfällt. Denn nur wenn wir Chancen und Risiken nüchtern abwägen, können wir KI zum Wohle aller einsetzen. Ein zentraler Schlüssel liegt in Bildung und Training: Arbeitskräfte müssen laufend qualifiziert werden für die neuen, kreativen Tätigkeiten, die KI nicht übernehmen kann.

«So meistern wir den Wandel, ohne Arbeitnehmer zurückzulassen»

Schulen und Universitäten sind gefordert, digitale Kompetenzen und kritisches Denken in den Lehrplänen zu verankern. Lebenslanges Lernen muss zum Standard werden, unterstützt durch adaptive Lernsysteme auf KI-Basis. So können wir sicherstellen, dass alle von den Vorzügen der Technologie profitieren.

Darüber hinaus müssen Menschen und Maschinen in kollaborativen Umgebungen zusammenwirken. KI übernimmt Routine, Menschen konzentrieren sich aufs Innovative. Flankierend braucht es wirtschaftspolitische Massnahmen wie Übergangsassistenzen und Neuausrichtungsanreize für Unternehmen.

So meistern wir den Wandel, ohne Arbeitnehmer zurückzulassen. Gleichzeitig müssen wir die Rahmenbedingungen für eine menschenzentrierte KI schaffen, die unsere Werte und Grundrechte respektiert. Regierungen sind gefordert, klare Leitplanken zu definieren, innerhalb derer sich die KI-Entwicklung entfalten kann.

Auch internationale Gremien wie die EU oder die OECD haben hier eine Schlüsselrolle, um globale Standards für vertrauenswürdige KI zu etablieren.

Neues AI-Narrativ: Neugier, Offenheit und Verantwortungsbewusstsein

Die KI ist eine faszinierende Reise in neue Sphären - allerdings eine, die mit offenem Visier und kritischem Geist bestritten werden muss. Bernsteins Botschaft ist klar: Lassen wir uns von der Technologie bereichern, aber treiben wir sie nicht blind voran.

Begegnen wir KI mit Verstand und nehmen wir aktiv Einfluss auf ihre Entwicklung. So können wir ihre Chancen bestmöglich nutzen und ihre Risiken minimieren. Zukunftsweisende Innovation braucht den prüfenden Blick - gerade deshalb sollten wir uns der KI als kritische Denker stellen.

Wenn wir die richtigen Weichen stellen, hat die KI das Potenzial, unser aller Leben zu verbessern und viele der grossen Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. Packen wir es an – mit Neugier, Offenheit und Verantwortungsbewusstsein.

Mit dem Ziel Stiftungsrätinnen und -räten und Geschäftsführenden von Stiftungen Expertenmeinungen zu aktuellen oder relevanten Themen zu präsentieren, veranstalteten die LGT Bank Schweiz und die «UZH Foundation - die Stiftung der Universität Zürich» Anfang Mai ihre erste gemeinsame Stiftungskonferenz. Mehr als 40 Teilnehmende hörten neben dem Rektor der Universität Zürich, Prof. Dr. Michael Schaepman, auch einen Vortrag von S.D. Prinz Max von und zu Liechtenstein, Chairman LGT, zu unterschiedlichen Ansätzen und Aufgaben von Stiftungen. Über rechtliche Aspekte referierte anschliessend Professor Dr. iur. Dominique Jakob bevor Abraham Bernstein, Professor am Institut für Informatik einen spannenden Einblick zu aktuellen Fragestellungen rund um Künstliche Intelligenz gab. «Meet the Expert»-Gespräche boten den Teilnehmenden die Möglichkeit, Themen wie nachhaltiges Investieren, Philanthropie oder aber auch Anlagebeispiele im Detail zu besprechen.

Abraham Bernstein ist Professor am Institut für Informatik der Universität Zürich (UZH), wo er die Gruppe für dynamische und verteilte Informationssysteme leitet. Er ist ausserdem Gründungsdirektor der UZH Digital Society Initiative, die sich auf die Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Digitalisierung konzentriert und über 180 Fakultätsmitglieder in verschiedene Forschungsprojekte einbezieht.