Eines der drängendsten Probleme im Kampf gegen den Klimawandel besteht darin, Lösungen zur Reduzierung der Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre zu finden. Neben etablierten Methoden zur Abscheidung von CO2 stehen auch neue Ansätze auf dem Prüfstand.

Von Rick Stathers, Darryl Murphy und Stanley Kwong von Aviva Investors

Auf dem Dach der Müllverbrennungsanlage im Schweizer Ort Hinwil thront ein enormes Konstrukt aus riesigen Ventilatoren, mit denen Kohlendioxid (CO2) direkt aus der Luft gefiltert wird. Die überdimensionalen Ventilatoren saugen die Luft an und leiten sie durch Röhren, in denen das CO2 mit Hilfe eines Filtermaterials gebunden wird.

Anschliessend werden die Filterboxen erhitzt und das gelöste Kohlendioxid wird über eine Rohrleitung zu einem Gewächshaus transportiert, wo es das Pflanzenwachstum beschleunigen soll.1

Konzepte mit vielen Fragen

Der Atmosphäre entzogenes CO2 kann aber auch verwendet werden, um Erfrischungsgetränke zum Sprudeln zu bringen. Eine andere Methode wird in Island praktiziert: Hier wird das CO2 in tiefe Gesteinsschichten gepumpt und dort eingelagert.

Diese Konzepte werfen viele Fragen auf: Bergen kommerzielle Methoden zur Gewinnung von Kohlendioxid aus der Umgebungsluft und Speicherung des Gases (Direct Air Carbon Capture and Storage – DACCS) oder andere Abscheidungs- und Speicherungsansätze die Chance, den CO2- Gehalt in der Atmosphäre spürbar zu senken?

Oder schaffen sie nur neue Probleme, liefern sie doch die Legitimation, Änderungen an unserem Konsumverhalten weiter hinauszuzögern, die schwer durchzusetzen sind, im Endeffekt aber deutlich mehr bewirken könnten?

Die Masse macht‘s

Wie gross das Problem wirklich ist, zeigt ein Blick auf den Kohlenstofffluss. Jedes Jahr gelangen netto rund 17 Gigatonnen CO2 von der Erde in die Atmosphäre (siehe folgende Abbildung).2

Kohlenstofffluss: Netto-CO2-Fluss

Abbildung 1 Aviva 500x

(Angaben in Gigatonnen CO2 (Gt CO2). Basierend auf den Durchschnittswerten zum jährlichen CO2-Fluss im Zeitraum 2008-2017. Quelle: Cameron Hepburn et al.: «The technological and economic prospects for CO2 utilization and removal», Nature 575, 6. November 2019)

Das sind ganze 17 Milliarden Tonnen! Mit der grössten Anlage von Climeworks lassen sich pro Jahr nicht einmal eine Million Tonnen CO2 aus der Luft filtern. Die Kosten des Verfahrens belaufen sich auf rund 600 Dollar pro Tonne, können nach Angaben des Unternehmens aber um 80 Prozent sinken, wenn die Technologie in grossem Stil genutzt wird.3

In den Kinderschuhen

Ein weiterer Akteur in diesem Segment ist das kanadische Unternehmen Carbon Engineering, das Möglichkeiten erforscht, wie das der Luft entzogene CO2 zur Herstellung synthetischer Treibstoffe eingesetzt werden kann.

Bemerkenswerterweise steht sowohl bei Climeworks als auch bei Carbon Engineering die Frage der Weiterverwendung des Gases im Vordergrund. Doch die verschiedenen DACCS-Technologien stecken allesamt noch in den Kinderschuhen und haben nicht die nötige Grössenordnung, um die CO2-Belastung spürbar zu senken.

Zeichnet sich eine neue industrielle Revolution ab?

Und wie steht es mit der Abscheidung und Speicherung von CO2 (Carbon Capture and Storage – CCS) in grossen Industrieanlagen, also Punktquellen wie Stahlwerken, Zementwerken und dergleichen?

In solchen kommerziell genutzten Grossanlagen sind der Reduzierung des CO2-Ausstosses Grenzen gesetzt, fällt hier doch Kohlendioxid als Nebenprodukt der chemischen Herstellungsverfahren an.

Werfen wir einen Blick auf das von Emirates Steel Industries betriebene Werk in Abu Dhabi: Das bei der Stahlproduktion freigesetzte CO2 wird abgetrennt, komprimiert und in Erdgasfelder vor der Küste abgeleitet.4 Neben einer verbesserten Treibstoffgewinnung ermöglicht das Verfahren die Speicherung von CO2 in tiefen Aquiferen.

Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen

In unserem Beispiel beträgt das Verhältnis von injiziertem CO2 zu freigesetztem Erdgas 1 zu 1,5. Es werden also gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, wobei allerdings die gewonnene Treibstoffmenge höher ist als die gespeicherte CO2-Menge.

Dass sich die VAE dem Ausbau erneuerbarer Energien verschrieben haben, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass durch das ursprünglich in der US-amerikanischen Öl- und Gasindustrie entwickelte Abscheidungsverfahren ein auf fossilen Brennstoffen basierendes Energiemodell zementiert wird.

Die Abscheidung und Kompression von CO2 ist äusserst energieintensiv und treibt somit den Gesamtenergiebedarf deutlich in die Höhe. Im Ergebnis bedeutet dies, dass eine solche Anlage mehr Energie verbraucht als ein Werk ohne CO2-Abscheidung – ein Phänomen, das als «Energy Penalty» bezeichnet wird.



Literaturangaben:

1. «Direct air capture: A technology to reverse climate change», Climeworks.

2. Cameron Hepburn et al.: «The technological and economic prospects for CO2 utilization and removal» Nature, 6. November 2019. 

3. «The Swiss company hoping to capture 1% of global CO2 emissions by 2025», Carbon Brief, 22. Juni 2017.

4. Anthony McAuley: „Abu Dhabi starts up the world’s first commercial steel carbon capture project“, The National, 5. November 2016.