Wie sieht ein systematischer Ansatz mit direkt und einfach umsetzbaren Massnahmen für die Marktbearbeitung aus? Alexander Schultz-Wirth, Partner und Leader Customer Centric Transformation bei PwC Schweiz, im Interview.
Herr Schultz-Wirth, was braucht es, um in einem Unternehmen wahre Transformation zu bewirken?
Damit die Transformation nachhaltig gelingt, braucht es eine klare Vision, wie sich die Kunden in den nächsten fünf Jahren verändern werden.
Es braucht schnelle und agile technologische Lösungen, die anhand von Prototypen implementiert und dann laufend weiterentwickelt werden – sowie Mitarbeitende, die über die notwendigen Fähigkeiten verfügen.
Was sind typische Transformationsprojekte von Finanzinstitutionen?
Es ist schwierig, sich in den Kunden hineinzuversetzen. Oft denken Banken und Versicherer entweder an Spar- oder Vorsorgeprodukte, aber nicht an die Kunden, die sämtliche Produkte und Dienstleistungen integriert haben möchten.
Sie müssen nun die Kunden in den Mittelpunkt all ihrer Geschäftstätigkeiten stellen und ihnen entlang aller Berührungspunkte personalisierte Dienstleistungen anbieten, die zu einem herausragenden Kundenerlebnis führen.
«Die wachsenden Compliance- und Datenschutz-Bestimmungen stellen eine grosse Herausforderung dar»
Dazu muss der Finanzdienstleister alle vorhandenen Daten über den Kunden nutzen, was bedingt, dass Marketing, Vertrieb, Servicecenter und Produktmanagement optimal zusammenarbeiten. Technologie kann dabei helfen, das Wissen über den Kunden zu verbessern und die Effizienz der personalisierten Kundenberatung zu steigern.
Welches sind dabei die grössten Herausforderungen für Banken und Versicherer?
Das sind einerseits oft die Komplexität und Diversität eines Unternehmens; viele Funktionen arbeiten häufig in Silos und somit unabhängig voneinander, ohne gegenseitige Transparenz und ohne Informationsaustausch. Andererseits sind im Finanzdienstleistungsbereich IT-Systeme in verschiedenen Abteilungen oft historisch gewachsen, und es herrscht eine heterogene Plattformlandschaft mit unzähligen Schnittstellen.
Neben dieser «Legacy» stellen auch die zunehmenden Compliance- und Datenschutzbestimmungen eine grosse Herausforderung für Banken und Versicherungen dar.
Können Sie ein spezifisches Kundenprojekt nennen?
Ja. Einer unserer Kunden, ein global aktives Versicherungsunternehmen mit komplexer Organisationsstruktur, wollte seine Marketingfunktion transformieren und stärken. Seine Marketingaktivitäten waren bislang eher beliebig und unkoordiniert über Kundensegmente und Regionen verteilt.
Das Unternehmen wollte einen sauberen und systematischen Ansatz für die Marktbearbeitung entwickeln und umsetzen – mit dem Ziel, ein individuelles, nahtloses Kundenerlebnis an allen Touchpoints sowie klare Richtlinien für personalisierte Marketingtaktiken im gesamten Verkaufstrichter zu ermöglichen.
«Wir konnten die Technologielösung auf die Kunden und Mitarbeitenden abstimmen»
Die Herausforderung war, die verschiedenen Bedürfnisse der einzelnen Anspruchsgruppen im Einzelnen zu verstehen, die Mitarbeitenden in die Transformation einzubinden und sie von ihren Vorteilen zu überzeugen.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Wir haben Gespräche und Interviews über ein breites Spektrum hinweg geführt, Informationen gesammelt und die eruierten Bedürfnisse im Kontext der lokal unterschiedlichen Dienstleistungsportfolios erfasst.
Dann haben wir zusammen mit dem Kunden Themen priorisiert und Wachstumschancen ermittelt. Gemeinsam mit dem Kunden haben wir schliesslich ein systematisches Marketing-Playbook mit klaren Richtlinien und konkreten, direkt umsetzbaren Marketingmassnahmen entwickelt, die Upselling und Cross-Selling ermöglichen.
Wegen der Komplexität des Projekts haben wir für die Umsetzung verschiedene flexible BXT- und Accelerator-Methoden angewandt. Mit unserem BXT-Ansatz (Business, Experience, Technology) haben wir die Probleme des Kunden und die verschiedenen Aufgabenstellungen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Wir konnten fragmentierte Standpunkte vereinen und die Technologielösung auf die Kunden und Mitarbeitenden abstimmen.
Aber ein Playbook ist doch eher ein Werkzeug für den oberen Teil des Verkaufstrichters respektive ein konzeptionelles Rahmenwerk.
Nicht zwingend. Die Lösung, die wir mit dem erwähnten Kunden schnell und agil entwickelt und implementiert haben, hebt sich von konventionellen Playbooks insofern ab, als dass es direkt umsetzbare Lösungen bietet.
«Ein Playbook muss wie ein Einkaufsladen funktionieren, Mitarbeitende müssen schnell und unkompliziert das Richtige finden»
Das heisst, alle Aktivitäten können vom Kunden unmittelbar angewendet werden. Es ist nicht nur ein konzeptionelles Rahmenwerk, sondern eine benutzerfreundliche, interaktive Plattform, die wie ein Einkaufsladen funktioniert.
Was heisst das konkret?
Das Playbook beruht auf einer Cloud-basierten Plattform. Wie in einem Supermarkt können die Marketingexperten des Kunden Regale mit Marketingmassnahmen durchsuchen, passende Lösungen auswählen und sie direkt an ihre Kunden weiterleiten. Sie können also mit einem Klick eine sofortige Wirkung am Markt erzielen. Aber nicht nur das.
Eine neue Mitarbeiterin Marketing, zum Beispiel, findet anhand von Anwendungsbeispielen schnell und einfach die Informationen, die sie braucht. Oder ein Mitarbeiter, der schon länger beim Unternehmen arbeitet, jedoch neue Kunden betreut, sieht sofort, welche Massnahmen und Kampagnen bei den neuen Kunden laufen und welche weiteren Lösungen im nächsten Kundenmeeting angesprochen werden sollen.
«Nur eine veränderte Denkweise führt letztlich zu nachhaltigen Resultaten»
Muss der Account-Verantwortliche ein Kundengespräch vorbereiten, findet er auf der Plattform die relevanten Diskussionspunkte und die Gesprächshistorie. Sämtliches Informationsmaterial ist immer auf dem neusten Stand und schnell und einfach durch die Mitarbeitenden abrufbar.
Wie können die Resultate der neuen Marketingstrategie gemessen werden?
Anhand der zusätzlich verkauften Produkte und erzeugten Erträge sowie mithilfe spezifischer Leistungskennzahlen. Diese Kennzahlen betreffen konkrete KPI, die Umsetzung der Marketingmassnahmen und ihre Wirksamkeit.
Wie können Finanzdienstleister ihre Mitarbeitenden besser in die kundenorientierte Transformation einbinden?
Es ist wichtig, dass die Mitarbeitenden die Transformation von Anfang an mitgestalten können. Viele Banken und Versicherungen kennen ihre Kunden nicht genügend. Die Mitarbeitenden im Front Office sollten einbezogen werden, um die richtigen und relevanten Fragen zu eruieren und neue Ansätze mit echten Kunden zu testen und zu verbessern.
Das Unternehmen muss auch ein Change-Management bereitstellen und Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bieten. Technologie ist ein notwendiges Mittel für die digitale Transformation, aber der Mensch treibt die Veränderung. Nur eine veränderte Denkweise führt zu nachhaltigen Resultaten.
Alexander Schultz-Wirth ist Partner im Kunden- und Technologieberatungsteam von PwC Schweiz und Leiter Customer Centric Transformation. Er verfügt über 20 Jahre Erfahrung im Change Management und verbindet seine Leidenschaft für die Lösung wichtiger geschäftlicher Herausforderungen mit dem Einsatz modernster technologischer Lösungen.