Wie positioniert sich Asien im Vergleich zu Europa angesichts des rasanten Wachstums nachhaltiger Investments und was sind die wichtigsten Treiber und Motivationen asiatischer Anleger? En Lee, Head of Sustainable and Impact Investments bei LGT Asia, im Interview.


Herr Lee, wir müssen gestehen: Wir sind verwirrt. Während alle über nachhaltige Anlagen sprechen und Akronyme wie ESG, SDG und PRI verwenden, kann ich immer noch nicht definieren, was nachhaltige Anlagen eigentlich sind...

En Lee (lacht): Es stimmt, nachhaltiges Investieren hat weltweit erheblich an Dynamik gewonnen – deshalb die Rekordzuflüsse in den letzten zwei Jahren, aber auch die Buchstabensuppe. Das kann verwirrend und schwer zu durchschauen sein. Aber im Grunde haben alle nachhaltigen Anlagen eine Kernfrage gemeinsam: Wie investiere ich heute mit Blick auf morgen? Bei der Definition nachhaltiger Anlagen finde ich persönlich die ABC-Regel am einfachsten.

Die ABC-Regel? Noch ein Akronym?

Ja, leider, aber ein einfaches. Nachhaltiges Investieren umfasst eine breite Palette von Anlagestrategien, die sich je nach Anleger – ob privat oder institutionell – und Anlageklasse – ob private oder öffentliche Märkte – unterscheiden...

Das klingt bisher nicht einfach.

...aber sie lassen sich vereinfacht in die ABCs der Ansätze einteilen, die auf den Absichten der Anleger basieren: «A» steht für «Avoid harm», also «Schaden vermeiden» – das wird erreicht, indem Investitionen geprüft und solche mit negativen Auswirkungen ausgeschlossen werden, zum Beispiel bestimmte «Sünden-Industrien» wie Waffen, Tabak oder Glücksspiele.

«Wir haben im Laufe der Jahre beobachtet, dass sich die Motivation der Anleger, nachhaltig zu investieren, verändert hat»

«B» steht für «Stakeholder begünstigen» – das wird erreicht, indem nicht nur die Aktionäre, sondern alle Stakeholder in der Wertschöpfungskette berücksichtigt werden, einschliesslich der Mitarbeitenden, Lieferanten und Kunden. Die Integration von Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (ESG) ist von zentraler Bedeutung für diesen Ansatz.

Und schliesslich geht es um das, was mir am meisten am Herzen liegt: «C» steht für «Contributing to solutions», was Impact Investing mit dem doppelten Ziel umfasst, neben finanziellen Erträgen auch positive soziale und ökologische Ergebnisse zu erzielen.

Verfolgen nachhaltige Investoren ethische Ziele oder eine hohe Rendite – wollen sie eine Übereinstimmung zwischen Investments und Werten oder einfach eine Risikominderung?

Wir haben im Laufe der Jahre beobachtet, dass sich die Motivation der Anleger, nachhaltig zu investieren, verändert hat: Zuerst ging es um die ethische Ausrichtung, dann um Risikominderung und jetzt um langfristige Wertschöpfung. Trotz der Pandemie und der Klimakrise haben sich nachhaltige Anlagen als widerstandsfähig erwiesen und eine bessere Performance als traditionelle Anlagen gezeigt.

Die Anleger erhöhen ihre Allokation in nachhaltige Anlagen, um sicherzustellen, dass ihre Portfolios diversifiziert und zukunftsorientiert sind und langfristige und dauerhafte Erträge erwirtschaften.

Da Sie für eine in Asien ansässige Banken- und Vermögensverwaltungsgruppe mit Hauptsitz in Europa arbeiten, haben Sie sicher mit vielen verschiedenen Investoren zu tun. Gibt es regionale oder kulturelle Unterschiede?

In Europa gibt es viele Mehrgenerationen-Familien, die ihr Vermögen über Jahrhunderte aufgebaut haben – so wie die Fürstenfamilie von Liechtenstein, die Eigentümerin der LGT. Sie schaut auf ein einzigartiges Erbe von 900 Jahren und 30 Generationen zurück. Diese Mehrgenerationen-Familien haben oft eine lange Tradition des philanthropischen Engagements, und ihre nachhaltigen Anlagen sind oft ein Ausdruck ihrer Werte.

«Dies mag einer der Gründe sein, warum der europäische Markt für nachhaltige Anlagen im Vergleich zu Asien etablierter ist»

Im Gegensatz dazu ist Asien in Bezug auf die Vermögensbildung viel jünger: Vermögende Familien befinden sich in der Regel erst in der zweiten oder dritten Generation und haben gerade erst begonnen, über ihre Familienidentität und ihre Werte nachzudenken – und auch darüber, wie sie diese mit ihren Anlagen in Einklang bringen.

Dies mag einer der Gründe sein, warum der europäische Markt für nachhaltige Anlagen im Vergleich zu Asien etablierter ist. Aber Asien holt auf. Die Führungskräfte der nächsten Generation treiben diesen Wandel voran; sowohl in der Denkweise als auch der Kapitalallokation.

Haben diese jungen und dynamischen Investoren in Asien einen anderen Ansatz bei nachhaltigen Anlagen als die reiferen und traditionelleren Europäer?

Natürlich ist es schwierig, zu verallgemeinern, aber ich würde sagen, dass asiatische Investoren dazu neigen, innovative und technologiegestützte Investments zu bevorzugen, die auf lokalen Märkten skaliert werden können. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die grössten Herausforderungen auch in Asien liegen, wo sie die Auswirkungen ihrer nachhaltigen Anlagen sehen und spüren.

Was ist Ihre Prognose: Werden Europa und die USA ihre Führungsrolle bei nachhaltigen Investitionen behalten?

Ich bin zuversichtlich, dass der asiatische Markt für nachhaltige Anlagen weiter wachsen und schliesslich weltweit führend sein wird – in Bezug auf Chancen, investiertes Kapital und Performance.

Warum?

Asien ist aufgrund seiner attraktiven Demographie – junge Bevölkerung, hohes BIP-Wachstum, rasche Urbanisierung, hohe Mobilfunkverbreitung – für nachhaltige Investitionen gut positioniert. Als Katalysatoren wirken auch der mangelnde Zugang der Region zu lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen und ihre Anfälligkeit für Umwelt- und Sozialkatastrophen.

Asien ist nicht nur den grössten Herausforderungen ausgesetzt – hier bieten sich auch die attraktivsten Chancen für nachhaltige Investments in den Bereichen Gesundheitswesen, erneuerbare Energien, finanzielle Integration und Dekarbonisierung, um nur einige zu nennen.

«In der Branche mangelt es noch an standardisierten Definitionen und klaren, konsistenten und vergleichbaren ESG-Daten»

Ein weiterer Schlüsselfaktor ist die starke regulatorische Dynamik in Asien, die die Einführung nachhaltiger Finanzen und ESG fördert. Singapur hat eine nationale Agenda für Nachhaltigkeit, und die Monetary Authority of Singapore (MAS) hat einen ehrgeizigen Aktionsplan für Green Finance ins Leben gerufen, um Singapur zu einem führenden Zentrum für nachhaltige Finanzen zu machen. Auch die Hongkonger Währungsbehörde fördert aktiv grünes und nachhaltiges Banking.

Gibt es Herausforderungen, die das Wachstum nachhaltiger Anlagen weltweit behindern könnten?

In der Branche mangelt es noch an standardisierten Definitionen und klaren, konsistenten und vergleichbaren ESG-Daten. Bei der LGT schliessen wir diese Lücke, indem wir ESG-Rohdaten von verschiedenen etablierten Anbietern zusammentragen und ein hauseigenes ESG-Rating-Tool anwenden, um die nachhaltige Qualität von Anlagen wie Aktien, Anleihen, Fonds und ETFs zu bewerten. Bei Unternehmen werden auch die Gesamtauswirkungen der Produkte und Dienstleistungen berücksichtigt.

«Durch nachhaltiges Investieren können Anleger sicherstellen, dass ihre Portfolios zukunftssicher sind»

So können wir mit Anlegern fundierte Gespräche über die ganzheitliche Wirkung ihrer Portfolios führen.

Was ist mit Greenwashing?

Das ist die andere grosse Herausforderung, welche die steigende Nachfrage nach nachhaltigen Anlagen mit sich bringt. Beim Greenwashing machen Organisationen falsche oder unbegründete Behauptungen, um ökologische und soziale Auswirkungen und Aktivitäten besser darzustellen, als sie in Wahrheit sind. Wenn wir ein nachhaltiges Investment beurteilen, bewerten wir auch Intention und Authentizität und stellen sicher, dass es robuste Messverfahren für ESG-Daten und ihren Impact gibt, um Ergebnisse zu messen und nachzuverfolgen.

Eine letzte Einschätzung zur Zukunft?

In einer Welt, in der eine Pandemie, die Klimakrise, die zunehmende Ungleichheit und die Umweltzerstörung reale und dringende Herausforderungen sind, ist nachhaltiges Investieren nicht länger eine Option, sondern ein Muss. Durch nachhaltiges Investieren können Anleger sicherstellen, dass ihre Portfolios zukunftssicher sind und einen langfristigen Wert schaffen.

Ich rechne mit einer Zukunft, in der nachhaltiges Investieren die Norm ist und wir gemeinsam die Verantwortung für ein inklusives und nachhaltiges Wachstum für Menschen, Planeten und Wohlfahrt übernehmen.


En Lee ist Managing Director und Head of Sustainable and Impact Investments in Asien bei der LGT, der weltweit grössten Privatbank- und Vermögensverwaltungsgruppe in Familienbesitz. Er leitet und verwaltet das regionale Impact-Investment-Portfolio in Südostasien und China und ist Mitglied des Verwaltungsrats mehrerer Portfolio-Organisationen.