Die neue Generation von Glukosesensoren und Insulinpumpen leitet einen Qualitätssprung für die Behandlung von Diabetespatienten ein.

Von Marcel Fritsch, Portfolio Manager des Bellevue Medtech & Services Fonds und des Bellevue Digital Health Fonds

Die Zahlen sprechen für sich. 530 Millionen Menschen und damit jede zehnte erwachsene Person waren 2021 nach Erhebungen der International Diabetes Federation (IDF) weltweit an Diabetes erkrankt.

Gegenüber dem Jahr 2000 haben sich die Patientenzahlen damit verdreifacht. Bis 2045 soll sich dieser Wert auf mehr als 780 Millionen Diabetespatienten erhöhen, was gegenüber der Jahrtausendwende einer Verfünffachung entsprechen würde.

Zu wenig Insulin

Bei 10 Prozent aller Fälle handelt es sich um Diabetes Typ 1, also einen meist im Kindes- und Jugendalter diagnostizierten Insulinmangel. Dieser entsteht, wenn die Betazellen zur Regulierung des Blutzuckers in der Bauchspeicheldrüse vom eigenen Immunsystem zerstört werden.

Der meist im höheren Alter diagnostizierte Diabetes Typ 2 wird durch Übergewicht, ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel ausgelöst. Dabei produziert die Bauchspeicheldrüse zwar Insulin, jedoch nicht genügend, oder der Körper kann es nicht wirksam verwenden (Insulinwirkverlust).

Behandlungskosten laufen aus dem Ruder

Für die Gesundheitssysteme wird Diabetes zu einer finanziellen Belastung, die kaum zu bewältigen ist. Der IDF zufolge verursachte die Stoffwechselerkrankung zuletzt jährliche Gesundheitsausgaben in Höhe von rund 970 Milliarden Dollar, davon 420 Milliarden Dollar in Nordamerika. Dass sich die Behandlungskosten in den vergangenen 15 Jahren mehr als vervierfacht haben, liegt wohl zu einem grossen Teil an den Folgeerkrankungen von Diabetes wie Hirnschlag, Herzinfarkt, Erblindung oder Nierenversagen.

Um Diabetes und seine Auswirkungen besser zu managen, müssen sich die Glukosewerte der Patienten so lange wie möglich in einem Zielkorridor zwischen 70 bis 180 Milligramm Zucker pro Deziliter Blut bewegen. Der Blutzuckerwert eines gesunden Menschen befindet sich während etwa 90 Prozent der Zeit in diesem Zielkorridor.

Mit dem Smartphone

Dank neuer digitaler Technologien kann sich dieser Wert je nach Diabetespatient auf 70-80% verbessern. Möglich macht es das Zusammenspiel von «Realtime»-CGM-Systemen und AID-Insulinpumpen-Systemen. Bei den CGM-Systemen wird der Glukosegewebespiegel regelmässig, also in Intervallen von Minuten, im Unterhautgewebe gemessen. Diese Glukose-Messwerte werden gleichzeitig per Bluetooth an die AID-Insulinpumpe und das Smartphone des Diabetespatienten gesendet.

Algorithmen der AID-Insulinpumpe analysieren den Glukoseverlauf und entscheiden automatisch, ob und wie viel Insulin verabreicht werden soll. Das Smartphone visualisiert die Glukosewerte und warnt den Patienten vor zu hohen oder zu tiefen Zuckerwerten. Mit dem Smartphone kann vor den Mahlzeiten ein Insulinbolus ausgelöst werden.

Sämtliche Patientendaten werden in die Cloud hochgeladen, auf die das medizinische Fachpersonal Zugriff hat, um die Wirksamkeit der Insulintherapie zu analysieren und gegebenenfalls anzupassen. Neben dem Patienten selbst können auch Drittpersonen wie Familienangehörige per App die Daten einsehen.

Unternehmen im Spotlight

Die aus Patienten- und Investorensicht führenden CGM-Systeme sind der FreeStyle Libre 3 von Abbott und der Dexcom G6 von Dexcom. Das Abbott-Produkt hat die zurzeit grösste Patientenbasis von mehr als vier Millionen und die Preisführerschaft. Der grösste Nachteil des FreeStyle Libre 3 ist, dass er in den USA noch nicht für die Interaktion mit AID-Insulinpumpen zugelassen ist.

Im Gegensatz dazu hat der Dexcom G6 durch die Interaktion mit AID-Systemen die Qualitätsführerschaft und dazu mit dem Dexcom G7 ein technologisch weiterentwickeltes Nachfolgeprodukt, das bereits in Europa zugelassen ist. Bezüglich der Messgenauigkeit (8,2 Prozent) und der Kürze der Aufwärmphase des Glukosesensors (30 Minuten) ist der Dexcom G7 technologisch am weitesten fortgeschritten. Weniger weit entwickelt sind der bislang in Europa zugelassene Guardian 4 von Medtronic sowie der Eversense E3 von Senseonics.

Zulassung entscheidend

Bei den Systemen für automatische Insulindosierung (AID) sind zwei Produkte marktführend und zeichnen sich durch einzelne Qualitätsmerkmale aus. Die Insulinpumpe t:slim X2 mit Control-IQ-Technologie von Tandem Diabetes und der Omnipod 5 von Insulet sind beide in den USA zugelassen, interagieren mit dem Dexcom G6 und können neben Basalinsulin auch eine Bolusabgabe vor den Mahlzeiten per Smartphone auslösen.

Die MiniMed 780G von Medtronic ist erst in Europe zugelassen und interagiert mit dem technologisch wenig weit entwickelten Glukosesensor Guardian 4. Wie die t:slim X2 gehört die MiniMed 780G zu den Schlauchpumpen, die drei oder vier Jahre lang verwendet werden können.

Der schlauchlose, direkt am Körper tragbare und wasserdichte Omnipod 5 ist eine Patchpumpe, die sehr kleinformatig, für Patienten ab zwei Jahren zugelassen ist und nach drei Tagen ausgewechselt wird. Der im Abonnement in den Apotheken beziehbare Omnipod 5 gilt als ideales Einstiegsprodukt.

Enormes Potenzial für Innovationsleader und Investoren

Wir gehen davon aus, dass sich der globale Erlös für CGM-Systeme im Zeitraum 2019 bis 2025 auf rund 12 Milliarden Dollar verdreifachen wird. Im selben Zeitraum werden sich die Umsätze mit AID-Insulinpumpen auf 5 Milliarden Dollar nahezu verdoppeln. Hier wird sich das Wachstum in den nächsten Jahren beschleunigen, wenn der FreeStyle Libre 3 für die Interaktion mit AID-Insulinpumpen zugelassen wird.

Darüber hinaus wird bei Tandem Diabetes für 2024 die Zulassung der Mobi:Tubeless erwartet. Hierbei handelt es sich um eine wiederverwendbare Patchpumpe, bei der das Infusionsset durch eine aufklebbare Halterungsplatte mit Nadel ersetzt wird.

Unterschiedliche Risikoprofile

Innerhalb der Medizintechnik zählt das digitale Diabetesmanagement auf Sicht der nächsten Jahre zu den disruptiven Technologien mit dem grössten Wachstumspotenzial. In unseren beiden Fondsprodukten, dem Bellevue Medtech & Services und dem Bellevue Digital Health, sind aktuell je 17 Prozent des Portfolios in Unternehmen investiert, die teilweise oder ausschliesslich im Bereich Diabetes tätig sind.

Die beiden Fonds haben ein unterschiedliches Risikoprofil. Während das Portfolio des Bellevue Medtech & Services zu 92 Prozent aus Large Caps und zu 35 Prozent aus Firmen mit dem Fokus digitale Gesundheit besteht, sind im Bellevue Digital Health die Small und Mid Caps mit 57 Prozent deutlich höher gewichtet.

Darunter befinden sich mit Dexcom, Insulet und Tandem Diabetes Unternehmen, deren Wachstumstempo sich durch die jüngsten Produktneuheiten in Zukunft beschleunigen wird.


Marcel Fritsch stiess 2008 zu Bellevue Asset Management. Zuvor war er mehr als drei Jahre als Unternehmensberater bei Deloitte tätig. Zu seinem Aufgabengebiet gehörte die Erarbeitung von Unternehmensstrategien, die Überprüfung von Organisationsstrukturen sowie die Bewertung von Unternehmen im Vorfeld von Transaktionen. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Gallen (HSG).