Luc Mathys, Leiter Fixed Income bei Credit Suisse Asset Management, zur Entwicklung der Fundamentaldaten und potenziellen Chancen in der Welt der festverzinslichen Anlagen im Zuge der Covid-19-Krise.


Herr Mathys, wie hat sich Covid-19 auf die Fixed-Income-Märkte ausgewirkt?

Nach der dramatischen Ausweitung der Risikoprämien für Unternehmensanleihen, dem sprunghaften Anstieg der Volatilität und der Dysfunktion der Märkte im März kam es anschliessend zu einer starken Gegenbewegung, die durch die beispiellose Intervention der Zentralbanken und Regierungen ausgelöst wurde.

Die Märkte tendierten daraufhin seitwärts und zuletzt sogar mit rückläufigen, aber immer noch höheren Spreads. Obwohl sich die Liquidität im Allgemeinen verbessert hat, haben Anleger weiterhin Mühe, attraktive Geld- und Briefkurse zu finden.

Zugleich haben die Neuemissionen, die im März vorübergehend zum Stillstand kamen, mittlerweile ein Rekordniveau erreicht, das von den Marktteilnehmern bislang relativ gut aufgenommen wird. Da die Geldmarktsätze weiterhin negativ oder nahe bei Null notieren, hat die Nachfrage nach festverzinslichen Anlagen in den letzten Wochen wieder zugenommen und wird weiterhin hoch bleiben.

Haben Sie Turbulenzen dieser Grössenordnung schon einmal erlebt?

Die Bewegungen an den Zinsmärkten waren zuletzt dramatisch. Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen schwankten um mehr als 100 Basispunkte innerhalb eines Tages, und die gesamte Zinskurve deutscher Bundesanleihen geriet in den negativen Bereich.

Auch der undifferenzierte Verkauf in allen Sektoren der Unternehmensanleihemärkte hat zu ausgeprägten Schwankungen geführt. Die Korrektur verlief wesentlich schneller als während der globalen Finanzkrise, aber das Ausmass der Bewegung war geringer, weil den Zentralbanken bereits diverse Instrumente zur Verfügung standen, um den Markt zu stützen.

In Hinblick auf die Liquidität erinnerte die Situation sehr an die Finanzkrise, da es insbesondere aufgrund der strengeren Regulierung im Finanzsektor heute weitaus schwieriger ist, Gegenparteien und Liquiditätsanbieter mit einer grossen Bilanzkapazität zu finden.

Welche Marktsegmente wurden am stärksten in Mitleidenschaft gezogen?

Bei derartigen Korrekturen gilt in der Regel: je geringer die Bonität, desto grösser die Spread-Veränderungen und desto grösser die Marktwertverluste. Darüber hinaus haben Sektoren wie Energie, Gaming oder Tourismus am meisten unter den direkten negativen Auswirkungen des Coronavirus beziehungsweise der Ölpreise gelitten.

Die Schwellenländer sind normalerweise auch überproportional betroffen, da die Investoren bei Marktkorrekturen in sichere Anlagehäfen flüchten. Mit der nachlassenden Liquidität kam es jedoch zu einem wahllosen Ausverkauf in allen Marktsegmenten, auch bei nichtzyklischen Emittenten mit hoher Bonität, sodass sich vorübergehend sehr vielversprechende Einstiegsniveaus ergaben, um für die kommenden Jahre attraktive Renditen zu fixieren.

Können Sie den Effekt auf den Primärmarkt beschreiben?

Nachdem Covid-19 Anfang März den globalen Markt für Neuemissionen lahmgelegt hatte, reagierten die Zentralbanken in der zweiten Märzhälfte rasch mit weitreichenden Hilfsmassnahmen, um eine zügige Wiedereröffnung des Primärmarktes zu forcieren.

Diese Massnahmen, insbesondere seitens der US-Notenbank am 23. März 2020, führten bei Unternehmensanleihen zu einer weltweiten Welle von Neuemissionen. Im Jahresverlauf bis Mai wurden auf Dollar lautende IG-Anleihen von über 1 Billionen Dollar vergeben, fast doppelt so viel wie der Fünfjahres-Durchschnitt für diesen Zeitraum.

Auch die Emission von US-Hochzinstiteln (HY) ist im Mai weiter angewachsen und hat ein Niveau von 47,3 Milliarden Dollar erreicht. Das Volumen der auf Euro lautenden IG-Emissionen ist in diesem Jahr ebenfalls rekordverdächtig, während die Emission von Hochzinspapieren in Euro ungefähr dem Niveau der letzten drei Jahre entspricht. Das Emissionsvolumen in den Schwellenländern war von der Covid-19-Krise am wenigsten betroffen.

Obwohl die Emittenten der Schwellenländer nicht direkt von den neu aufgelegten Kaufprogrammen der Zentralbanken profitieren, ist ihre Emission von Hartwährungsanleihen mit früheren Boomjahren vergleichbar. Die Primärmärkte gehören daher eindeutig zu den grössten Nutzniessern der drastischen geldpolitischen Massnahmen, die im Zuge der Covid-19-Krise in den wichtigsten Industrieländern ergriffen wurden.

Wie schnell kann man mit einem Rückgang der Marktvolatilität rechnen?

Die Volatilität hat sich in den letzten Wochen generell abgeschwächt, da die Zentralbanken die Märkte mit Liquidität geflutet haben. Aufgrund der geringen Prognosesicherheit der Wirtschafts- und Finanzdaten erwarten wir jedoch, dass die Volatilität von Zeit zu Zeit wieder aufflammen wird, da derartige Krisen in mehreren Etappen und nicht gleichmässig verlaufen.

Die politischen Massnahmen führen temporär zu deutlichen Erholungsphasen mit starken Gegenbewegungen von überverkauften Nievaus. Letztendlich wird sich die Situation wieder verbessern, und in mancherlei Hinsicht geht es schon in die richtige Richtung. Zunächst müssen aber bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, damit die Volatilität zum Stand vor der Krise zurückkehrt.

Welche Impulse würden wahrscheinlich eine Markterholung auslösen?

Entscheidend sind die Visibilität und eine Verbesserung der Covid-19-Situation, um eine grössere Prognosesicherheit für den wirtschaftlichen und finanziellen Ausblick zu ermöglichen. Das Wichtigste ist jedoch die Fortsetzung der starken politischen Unterstützung durch die Zentralbanken und Regierungen.

Die Zentralbanken haben schnell und entschlossen reagiert, aber sie können die kleinen Unternehmen und Konsumenten nicht direkt stützen. Insofern sind staatliche Massnahmen wie etwa die Ausweitung direkter Kreditfazilitäten ein gutes Zeichen.

Auf mittlere Sicht erwarten wir, dass die aktuellen politischen Massnahmen auch wieder neue Risiken mit sich bringen werden, unter anderem durch die steigende Verschuldung der Regierungen, aber auch der Unternehmen und Verbraucher.

Können Sie Ihren Ansatz der Portfoliopositionierung beschreiben?

In der Anfangsphase der Coronavirus-Krise konzentrierten wir uns darauf, die Liquidität der Portfolios zu gewährleisten und einige Änderungen im Hinblick auf Sektoren und Emittenten vorzunehmen, bei denen wir unmittelbar negative Auswirkungen der aktuellen Krise erwarteten.

Als sich im Zuge der Bewertungskorrektur ein attraktiveres Spread-Niveau bot, wurde das Engagement in verschiedenen Anlagethemen erhöht, um Portfolios für eine Markterholung zu positionieren. Ausschlaggebend war insbesondere die Tatsache, dass sich gewisse Bedingungen wie die Bewertungen, die Unterstützung der Zentralbanken und Regierungen, die bessere Visibilität der virusbezogenen Aspekte und die Normalisierung der Mittelflüsse in die richtige Richtung entwickelt haben.

Trotzdem sind einige Faktoren wie die bevorstehenden Zahlungsausfälle, zusätzliche staatliche Hilfsmassnahmen sowie das Verhalten des Virus und dessen Auswirkungen auf die Wirtschaft weiterhin schwer zu beurteilen, sodass wir selektive Anlagechancen wahrnehmen.

Im Allgemeinen betrachten wir die Unternehmensanleihemärkte als eine äusserst attraktive Anlageklasse, weil wir davon überzeugt sind, dass sich das Konjunktur- und Finanzmarktumfeld in den kommenden Monaten und Quartalen normalisieren wird. Die derzeitigen Spreads globaler Unternehmensanleihen im Verhältnis zu Staatsanleihen sind wahrscheinlich so hoch wie noch nie.

Auch wenn die Erholung nicht einheitlich verlaufen wird und eine erneute Volatilität wahrscheinlich ist, bietet der Pull-to-par-Effekt einen enormen Vorteil gegenüber anderen Anlageklassen, was man auch während der grossen Finanzkrise gesehen hat. Bei nichtzyklischen kurzfristigen Unternehmensanleihen mit Investment Grade, wo die Zentralbanken am aktivsten sind, hat die Erholung bereits stattgefunden.

Wir sehen Gelegenheiten bei längerfristigen Unternehmensanleihen, teilweise abgesichert gegenüber Zinsveränderungen, und bei «Fallen Angels», Unternehmensanleihen der Schwellenländer mit höherer Bonität sowie einigen Wandelanleihen, die nahe am Bond-Floor notieren.

Wir sind weiterhin eher konservativ aufgestellt, wenn es um sehr bonitätsschwache hochverzinsliche Anleihen- und einige zyklische Sektoren geht, da wir mit höheren Zahlungsausfällen rechnen.

Und was ist mit der Diversifikation?

Die Asset-Management-Branche neigt dazu, die Diversifikation positiv hervorzuheben. Aber gerade in einem Umfeld, das von einem starken Anstieg der Zahlungsausfälle geprägt sein könnte, ist sie von besonderer Bedeutung. Investmentfonds halten in der Regel 60 bis 200 Positionen, so dass die Anleger gut gegen den Ausfall eines einzelnen Emittenten geschützt sind.

Das macht sie strukturell sicherer als Einzelbestände im Kundendepot. Wir halten es für ratsam, mit einem diversifizierten Ansatz und über einen längeren Zeitraum in das Fixed-Income-Segment einzusteigen. Niemand kann das Markttief perfekt vorhersagen, aber viele der bereits erwähnten Dynamiken bewegen sich in die richtige Richtung. Unterdessen bieten die aktuellen Einstiegspunkte attraktive Niveaus, um sich in den kommenden Jahren bei rekordniedrigen Zinsen Renditen zu sichern.

Darüber hinaus ist ein aktives Management in diesem Umfeld entscheidend, um die Liquidität zu steuern und Anleihen mit sich verschlechternden Fundamentaldaten zu meiden.