Exodus der Elite: Wohin wandern Amerikas Reiche aus?

Plan B: Krisenvorsorge

Hendersons Erkenntnisse bestätigen, dass Investitionsmigration nicht nur bedeutet, ins Ausland zu ziehen – es geht darum, sich in einer zunehmend unberechenbaren Welt Flexibilität zu sichern. «Die meisten Kunden geben ihre US-Staatsbürgerschaft nicht sofort auf, aber sie bauen sich eine Absicherung auf – ein alternatives Standbein, falls sich die Lage in den USA weiter verschlechtert.»

Eine weitere Perspektive bringt Enzo Caputo, ein Schweizer Anwalt mit Spezialisierung auf den Zugang zu Schweizer Bankkonten für US-Bürger und früherer Direktor des Verbands Schweizer Vermögensverwalter.

Schweizer Bankkonto

Mit seiner Kanzlei Swiss Banking Lawyers erlebt er einen Ansturm von Anfragen. «Noch nie habe ich etwas Ähnliches erlebt», sagt er gegenüber finews.ch: Sogar über das vergangene Wochenende hatte ich diverse Anfragen von amerikanischen Interessenten. In einem ersten Schritt gehe es diesen darum, ihr Vermögen in Sicherheit zu bringen. «Darin schwingt aber häufig bereits die Idee mit, die USA ganz zu verlassen».

Erstmals in seiner über 20-jährigen Praxis in dem Gebiet seien es nicht ausschliesslich sehr vermögende Kunden, die sich für ein Schweizer Bankkonto interessieren. «Jetzt habe ich auch Anfragen für Beträge zwischen 200'000 und 300'000 Dollar.» Auffällig viele der Interessenten hätten einen naturwissenschaftlichen Hintergrund.

Kulturelle Herausforderungen

Eine weitere interessante Perspektive bietet Jen Barnett, Mitbegründerin von ExPatsi, einem Unternehmen, das Amerikanern beim Auswandern hilft. Barnett, die persönlich Relocation-Touren durchführt, hat festgestellt, dass viele Amerikaner den kulturellen Anpassungsprozess unterschätzen.

«Es gibt Finanzinstrumente, mit denen Menschen schon für unter 250’000 Dollar eine Aufenthaltsgenehmigung durch Investition erhalten können – was für den durchschnittlichen Amerikaner sehr attraktiv ist», erklärte Barnett. Aber: «Die Amerikaner sind historisch gesehen nicht besonders mobil. Der grösste Fehler, den sie derzeit machen, ist, dass sie nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Sie entscheiden sich oft für ein Land, das ihnen gefällt, und versuchen dann, dorthin zu ziehen. Wir beraten sie zuerst zu möglichen Wegen – Investition, Ruhestand oder Fachkräfteprogramme – und erst dann zu den Ländern, die diese Optionen bieten.»

Neue Herausforderungen

Geduld sei ebenfalls entscheidend: «Viele Menschen in Europa sprechen Englisch, aber es ist trotzdem wichtig, sich zu integrieren, um eine Gemeinschaft aufzubauen und ein verantwortungsbewusster Einwanderer zu sein. Es ist einfacher, wenn man als digitaler Nomade oder Rentner umzieht und die Sprache nicht für den Beruf braucht.»

Gleichzeitig zeigte Barnett, dass viele Amerikaner, die sich vom politischen Klima in den USA abwenden, feststellen, dass neue Herausforderungen die alten ersetzen. «Es gibt kulturelle Unterschiede, und wir erinnern die Menschen daran, dass sie nicht ins Ausland ziehen würden, wenn es dort genauso wäre wie in den USA», bemerkte sie.

Phänomen Donald Trump

Eine der am häufigsten diskutierten Fragen in der Investitionsmigrationsbranche ist, ob die Präsidentschaft von Donald Trump ein entscheidender Faktor für die wachsende Zahl auswanderungswilliger Amerikaner ist. Die Antwort ist vielschichtig.

Andrew Henderson, der mit Hunderten von wohlhabenden Amerikanern zusammengearbeitet hat, erklärt: «Wir haben viele linksliberale Kunden, die Trump nicht mögen und deshalb gehen wollen. Aber ich glaube, dass auch diejenigen, die Trump mögen, irgendwann erkennen werden, dass das Land nicht zu retten ist.» Er weist darauf hin, dass zwar die Angst vor einer erneuten Trump-Präsidentschaft einige Kunden motiviere, Migration in Betracht zu ziehen, das eigentliche Problem aber die zunehmende politische Unzufriedenheit insgesamt sei.

«Absicherung gegen politische Risiken»

Jen Barnett, die Tausende potenzieller Expats befragt hat, betont, dass politische Enttäuschung der mit Abstand grösste Treiber hinter dem Auswanderungswunsch in den USA sei.

Auch Basil Mohr Elzeki von Henley & Partners bestätigt, dass politische Veränderungen zwar eine Rolle spielen, Erwägungen betreffend Finanzen udn Lebensgestaltung aber ebenso entscheidend sind: «Die meisten Anfragen sind derzeit politisch motiviert – unabhängig davon, auf welcher Seite des politischen Spektrums die Kunden stehen. Ihr Ziel ist es, Risiken zu minimieren und einen Plan B zu haben, falls eine Umsiedlung notwendig wird.»

Amerikanische «Golden Visa»

Ironischerweise kündigt die US-Regierung just in dem Moment, in dem wohlhabende Amerikaner das Land verlassen, ein eigenes «Golden Visa»-Programm an, um ausländische Investoren anzulocken.

Laut Mohr Elzeki habe ein solcher Schritt «durchaus das Potenzial, erfolgreich zu sein, da die Vereinigten Staaten weiterhin ein äusserst attraktives Ziel für private Vermögenswerte sind – mit erstklassigen Bildungs- und Gesundheitsangeboten sowie wirtschaftlichen Möglichkeiten in der grössten Volkswirtschaft der Welt». Allerdings «wird der Erfolg des Programms davon abhängen, welche Aufenthaltsbestimmungen, steuerlichen Rahmenbedingungen und Antragsprozesse angeboten werden».

Während Amerikaner also zunehmend ins Ausland blicken, um neue Wohnsitzmöglichkeiten zu finden, bleibt die USA selbst eines der begehrtesten Ziele für Investitionsmigration aus anderen Teilen der Welt. Historisch gesehen war das Land ein Magnet für vermögende Privatpersonen aus Asien, dem Nahen Osten und Lateinamerika – viele von ihnen betrachten die USA nach wie vor als gelobtes Land für Wohlstandsaufbau und wirtschaftliche Chancen.

Eine neue, dynamische Ära

Ob getrieben durch politische Unsicherheit, den Wunsch nach finanzieller Diversifikation oder eine bessere Lebensqualität – der Anstieg der Investitionsmigration aus den USA ist unbestreitbar. Doch es handelt sich nicht um eine Einbahnstrasse. Während Amerikaner alternative Wohnsitze im Ausland suchen, bereitet sich die USA gleichzeitig darauf vor, im globalen Wettbewerb um Kapital und Talente mit einem eigenen Investitionsvisum mitzuhalten.

Ob Amerikaner auswandern oder internationale Investoren in die USA strömen – eines ist sicher: Die Welt der Investitionsmigration tritt in eine neue, dynamische Ära ein.