Die wilde Wall Street ist gezähmt. Der Beweis? Die Weihnachtsfeiern der Banken sind heute Veranstaltungen zum Wohle der Gesundheit geworden.
Der Kater am Morgen nach der Weihnachtsfeier der Wall-Street-Boutique BTIG ist definitiv ein anderer: Muskelkater anstatt Hangover. BTIG habe Alkohol an der diesjährigen Weihnachtsfeier von der Liste gestrichen, schreibt die Nachrichtenagentur «Reuters».
Stattdessen gab es für die Angestellten Smoothies, Säfte und Wasser mit Fruchtaromen, und anstatt hernach zu tanzen, rollten die einen ihre Yogamatten aus, während die anderen Tischtennis spielten.
Kein Alkohol, keine Abstürze
«Ich habe heute keine Kopfschmerzen, dafür Muskelkater», zitiert «Reuters» eine BTIG-Mitarbeiterin am Morgen danach. An der «Feier» sei sie in ihrem Lululemon-Fitness-Dress erschienen.
BTIG ist nicht mit der Wall Street gleichzusetzen. Doch gerade in der Wellness-Branche beobachtet man, dass immer mehr Unternehmen ihre Firmenanlässe zunehmend so ausrichten, dass Alkoholkonsum und damit auch die obligaten Abstürze einzelner Mitarbeiter ausbleiben.
Geringere #MeToo-Risiken
Der Wellness-Boom hat in den USA Ausmasse erreicht, dass auch die jungen «hard ball» spielenden Wall-Street-Banker ihre Energien eher aus Yoga und veganer Ernährung ziehen, denn aus Kokain oder anderen, in früheren Jahren weit verbreiteten, Stimulanzien.
Den Banken und anderen Finanzinstituten kann das nur recht sein: Das Risiko #MeToo-Skandal im Anschluss an eine aus den Fugen geratene Weihnachtsparty will man tunlichst senken. «So wie es bei uns ablief, kann gar nichts schief gehen», sagte die BTIG-Angestellte.
Mit den Kunden ins Fitness
Den Trend erkannt hat beispielsweise das am Central Park gelegene Luxushotel «The Pierre». Über ein halbes Dutzend Weihnachtsfeiern für Finanzfirmen richtete der Caterer in diesem Jahr aus und die Spezialität des Hauses waren Mocktails, also Cocktails ohne Alkohol.
Auch Barry's Bootcamp, ein beliebter Fitness Club an der Wall Street, wurde von mehreren Finanzunternehmen für Feierlichkeiten gebucht: Sowohl Mitarbeiter als auch Kunden wurde mit Extra-Trainings bedacht.
Den Trend setzt das Silicon Valley
Wie es in den letzten Jahren bei solchen Trends immer der Fall war ist die Wall Street dabei nur «Follower». Die Gesundheits- und Unternehmenskulturtrends setzt seit geraumer Zeit das Silicon Valley, das ja mit der Wall Street auch im Wettstreit um Talente steht.
Seedlip, ein Hersteller von alkoholfreien Schnäpsen, richtete kürzlich für 1'200 Google-Mitarbeiter eine Party bei Los Angeles aus. Über 700 alkoholfreie Cocktails seien ausgeschenkt worden. Netflix buchte daraufhin für die eigene Mitarbeiter-Party ebenfalls Seedlip.
Limbo gibt's noch
Die alteingesessenen Wall-Street-Firmen halten an den alten Traditionen allerdings fest. «Reuters» berichtet von überfüllten Bars rund um die Wall Street, nachdem Blackrock, J.P. Morgan oder auch Credit Suisse ihre Weihnachts-«Soirées» in entsprechenden Etablissements ausgerichtet hätten.
An den Parties sei kein Yoga praktiziert worden, sondern die immer noch beliebten Limbo-Tanz-Wettbewerbe.