Auch berufliche Überflieger kommen ab und zu ins Schwanken, kippen allerdings nicht um. Ein Grund dafür ist, dass widerstandsfähige Menschen ihre Gedanken unter Kontrolle haben, sagt Führungscoach Claudia Kraaz. 


Claudia Kraaz, weshalb sind manche Menschen dafür geeigneter, Spitzenpositionen in der Wirtschaft zu erreichen als andere?

Entscheidend für den nachhaltigen Erfolg ist die sogenannte Resilienz, die psychische Widerstandskraft. Dieser Begriff kommt zwar eigentlich aus der Materialwissenschaft, lässt sich jedoch auch auf Menschen anwenden. Resiliente Materialien kehren nach äusserer Krafteinwirkung wieder in ihren Ausgangszustand zurück. Genauso funktionieren resiliente Menschen: Durch ihre mentale Stärke funktionieren sie in schwierigen Situationen wie ein Stehaufmännchen. Sie schwanken auch einmal, können sich aber aus eigener Kraft wieder ausbalancieren.

Das wäre ja jeder gern – kann ich mir diese Widerstandskraft auch antrainieren?

Ja, das kann man. Darum muss man sich allerdings kümmern, bevor man an die eigenen Grenzen stösst.

«Es geht um die Frage, wie ich die Fakten interpretiere»

Genug und guter Schlaf ist zum Beispiel eine wichtige Voraussetzung – auch für die Disziplin, die es braucht, um die eigenen Gedanken in die richtige Richtung zu lenken.

Es scheint schwierig, im Arbeitsalltag selbst zu entscheiden, was ich denke.

Es geht hier um die Frage: halbleeres oder halbvolles Glas – also wie interpretiere ich die Fakten. Wer sich als Opfer äusserer Umstände sieht – sei es der Chef oder der morgendliche Stau – wird von diesen deutlich mehr gestresst werden, als jemand, der sich auf die eigene Kraft, etwas zu ändern, konzentriert.

«Intensive Phasen sind normal und auch kein Problem»

Zudem macht regelmässige Dankbarkeit – der Fokus auf das, was im Leben positiv ist – tatsächlich glücklicher und ausgeglichener.

Angenommen, ich tue all das – wenn ich vorankommen will, muss ich nun einmal investieren und das heisst, ich verbringe viel Zeit im Büro.

Intensive Phasen sind normal und auch kein Problem. Sie dürfen einfach nicht zum Dauerzustand werden. Wichtig ist, dass man auch Nein sagen kann. Auch das will gelernt sein, hilft aber, die eigenen Reserven nicht auf Dinge zu verwenden, die, gemessen an den eigenen Werten und Prioritäten, nicht wichtig sind. Das gilt übrigens nicht nur im Beruf – auch im Privatleben haben viele Mühe damit, Grenzen zu ziehen. Man will überall dabei sein und nichts verpassen.

Wozu sollte man immer ja sagen?

Zu genügend Zeit mit Familie und echten Freunden. Neben dem Schlaf ist Sport ausserdem sehr wichtig und fällt oft als erstes weg, wenn wir unter Zeitdruck stehen.

«Sofort kommt das Smartphone aus der Tasche»

Dabei ist Bewegung der perfekte Stresskiller. Und im Unterschied zur «Entspannung» vor Fernseher oder Computer sinkt dabei tatsächlich der Pegel des Stresshormons Cortisol.

Das hört sich eigentlich alles recht einfach an. Weshalb scheinen trotzdem so viele Leute gestresst?

Heutzutage stehen wir unter enormem Druck, produktiv zu sein. Das erschwert es vielen Menschen, abzuschalten. Viele sind nicht mehr in der Lage, sich eine Viertelstunde lang genüsslich zu langweilen – sofort kommt das Smartphone aus der Tasche. Dabei können wir von der Fähigkeit zum Müssiggang enorm profitieren. Wir müssen uns immer wieder erholen, um längerfristig leistungsfähig zu bleiben.


Mit ihrem Unternehmen «Stress and Balance» ist Claudia Kraaz seit fünf Jahren als Führungs- und Stress-Coach selbständig. Sie gibt zudem Vorträge und Workshops zu den Themen Resilienz, Stress und Burnout. Zuvor war sie während 13 Jahren in leitenden Funktionen in der Unternehmenskommunikation tätig, unter anderem bei der Zurich Insurance Group, der Zürcher Privatbank Vontobel und der Credit Suisse, wo sie als weltweite Medienchefin für die Beratung des damaligen Konzernchefs Oswald Grübel und anderer Spitzenleute verantwortlich war und selber 50 Mitarbeitende geführt hat.