Britische Immobilienbesitzer kämpfen seit Jahren mit der Zurich wegen ungenügender Versicherungsdeckung. Der Vorwurf: Die Zurich habe bei der Bauabnahme gepfuscht. Der Skandal könnte den Versicherer eine Milliardensumme kosten.
In Grossbritannien wird er schlicht «The Building Safety Scandal» genannt – landesweit schwere Mängel bei der Bausicherheit und -qualität von Einfamilienhäusern und Wohnungen.
Und mitten im Skandal steckt auch der Schweizer Versicherungsriese Zurich. In Gerichtsunterlagen im Zusammenhang mit den Schadenersatzklagen muss sich der Versicherer schwere Vorwürfe gefallen lassen.
Die Zurich habe in ganz Grossbritannien in betrügerischer Manier bei Inspektionen von Neubauten geschlampt und Gebäudeversicherungen gezeichnet, die zutage getretene Mängel an den Bauten nicht decken.
Schadenersatz für 1 Milliarde Pfund
Die britische «Sunday Times» hat über Ostern eine umfassende Recherche veröffentlicht und schrieb, der Zurich könnten Schadenersatzzahlungen von bis zu 1 Milliarde Pfund (rund 1,3 Milliarden Franken) drohen.
Der Skandal nahm beim Brand des Grenfell Tower in London seinen Anfang. Im Wohnhochhaus in North Kensington brach am 14. Juni 2017 ein Feuer aus, in dem 72 Bewohner den Tod fanden. Untersuchungen ergaben, dass das Gebäude schwere Mängel beim Brandschutz aufwies.
Bauinspektionen für Versicherungspolicen
Weitere Untersuchungen ergaben: In ganz Grossbritannien leben rund 700'000 Menschen in Wohnungen mit mangelndem Brandschutz. Gebäudeversicherer wie die Zurich stehen nun im Rampenlicht: Denn sie waren es, welche die Bauinspektionen durchgeführt haben, um anschliessend Versicherungspolicen zu verkaufen.
Im Artikel der «Sunday Times» ist auch von anderen Baumängeln die Rede. Die Journalisten sprachen im ganzen Land mit Haus- und Wohnungsbesitzern, die von rinnenden Dächern, kaputten Fenstern und Sturzgefahr bei Balkons erzählen. Teilweise stecken diese Leute bereits in einer jahrelangen Auseinandersetzung mit Versicherern wie die Zurich wegen der Versicherungsdeckung für die baulichen Mängeln.
Inspektoren kurz gehalten
Der Vorwurf an die Zurich: Der Versicherer habe seine Prüfer extrem kurz gehalten, so dass diese ihre Inspektionen nur unsauber, unvollständig oder gar nicht durchführen konnten. Doch sind diese Abnahmen jeweils die Voraussetzung für einen Verkauf einer Versicherungspolice, die meist die Laufdauer von zehn Jahren hat.
Gemäss «Sunday Times» war die Zurich vor der Finanzkrise einer der grössten Versicherer von neu erstellten Wohnbauten in Grossbritannien, der während des Immobilien-Booms rund 400'000 solcher Policen ausgestellt hat. Als die Finanzkrise im Jahr 2008 zuschlug, schloss die Zurich dieses Geschäft und entliess die meisten ihrer Inspektoren.
Ein Viertel aller Hochbauten betroffen
Die Gerichtsunterlagen zeigen, dass zu Beginn des Jahres 2009 die Zurich immer noch rund 25'000 Neubauten hätte inspizieren müssen. Die Zeitung rechnet vor, wenn ein Viertel dieser Gebäude den Vorschriften nicht genügen würde, könnte die Zurich Schadenersatz-Zahlungen von bis zu 1 Milliarde Pfund entgegen sehen. Ein Viertel sei der Durchschnittswert aller Hochbauten in Grossbritannien, bei denen Bau- und Brandschutzvorschriften nicht eingehalten worden seien.
Die Zurich überschrieb im Jahr 2018 rund 94'000 solcher Gebäude-Garantien an einen Versicherer mit einer Offshore-Adresse namens East West. Dieser ging vergangenen Herbst Pleite. East West habe bereits im Jahr 1997 aufgehört, neue Versicherungspolicen zu schreiben und gehörte zu Armour Group Holdings Limited, einem auf den Bermudas domizilierten Rückversicherer, schreibt die «Sunday Times».
Versuch, den Haftungspflichten zu entgehen?
Wegen der East-West-Pleite liegt die Haftungspflicht nun bei einer von Versicherern und Banken aufgesetzten Behörde, der Financial Services Compensation Scheme (FSCS). Diese hat in bislang 30 Klagefällen rund 400'000 Pfund ausbezahlt.
In zwei neuen Rechtsfällen wird nun die Frage behandelt, ob die Zurich den East-West-Deal vollzogen hat, um der Haftung zu entgehen. Die «Times» schreibt weiter, dass die Zurich in einem Fall bei einem Häuserblock in Manchester bereits Entschädigungen bezahlt habe.
Ein Anwalt habe aber drei Jahre lang vor Gericht dafür kämpfen müssen, damit die Zurich den Berechtigten den gesamten Kaufpreis erstattete; insgesamt waren es in diesem Fall 10,8 Millionen Pfund.
Zurich weist Vorwürfe zurück
Nun hat die «Sunday Times» offenbar 700 weitere Apartments mit schweren Schäden gefunden, für welche die Zurich die Inspektion durchgeführt hat. Auch hier kämpfen Besitzer und Mieter bereits jahrelang um Versicherungszahlungen.
Die Zurich gab der Zeitung ein langes Statement ab, in welchem sich das Unternehmen bei den Versicherten und für die Schäden entschuldigte. Doch die Versicherungspolicen seien intakt und Zahlungen würden getätigt, hiess es weiter.
Die Vorwürfe wegen falscher und schlampiger Inspektionen seien schlicht falsch. Diese seien nicht mit statutorischen Inspektionen und Bauabnahmen gleichzusetzen, sondern dienten einzig der Beurteilung, ob die jeweiligen Gebäude versicherbar seien oder nicht.