Es gilt als ausgemacht, dass die Schweizerische Nationalbank die Negativzinspolitik nur im Windschatten der EZB ändern wird. Doch es gibt Anzeichen, dass die SNB diese Woche alle überraschen könnte.
Wenn am Donnerstag Thomas Jordan, der Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB) die letzte geldpolitische Lagebeurteilung des Jahres vornimmt, sind Überraschungen eigentlich ausgeschlossen. Ein Abrücken von den Negativzinsen steht gemäss der Lesart ausser Frage: Jordan wird die Schweizerische Geldpolitik erst dann in Richtung Normalisierung ändern, nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) den ersten Schritt macht. Und der wird erst in einem Jahr erwartet.
Dass die Negativzinsen inzwischen zu erheblichen Marktverzerrungen geführt haben, steht ausser Frage. Die Schweizer Immobilienlandschaft ist nur ein Beispiel dafür. Sie haben auch die Schweizer Banken geschwächt, deren Gewinnkraft wegen der dünneren Zinsmarge leidet.
Milliarden an Strafzinsen
Die Banken mussten auch zur unpopulären Massnahme greifen, die Negativzinsen auf ihre Kunden zu überwälzen. In den vergangenen vier Jahren haben die Schweizer Geschäftsbanken annähernd 5 Milliarden Franken Strafzins an die SNB abgeliefert.
Vier Jahre Negativzins und kein Ende in Sicht? Doch, es gibt tatsächlich Anzeichen, dass SNB-Chef Jordan am kommenden Donnerstag die Märkte überraschen könnte. Genau so, wie er dies am 15. Januar 2015 getan hatte, als er aus heiterem Himmel die Mindestuntergrenze für den Euro gegen den Franken aufhob.
Keine «forward guidance»
Man erinnert sich: Jordan hatte noch kurze Zeit vor diesem Schritt ganz anders kommuniziert und die Mindestgrenze verteidigt. Im Markt war ihm dies teilweise übel ausgelegt worden, schliesslich sackte der Schweizer Aktienmarkt um über 15 Prozent ab. Die Schweizer Exportwirtschaft war vor den Kopf gestossen.
Jordan hatte mit seinem Entscheid absolute Unabhängigkeit bewiesen. Nichts in seiner Kommunikation hatte zuvor auf die Handlung vom 15. Januar hingewiesen. Andere Notenbanken-Chefs wie Mario Draghi, Ben Bernanke und nach ihm auch Janet Yellen kommunizierten ihre geldpolitischen Entscheide hingegen anders. Sie gaben den Märkten jeweils eine Art «forward guidance», eben auch, um Turbulenzen zu verhindern.
Kommunikativ das Terrain geebnet
Und doch: Es gab vor der Aufhebung des Euro-Mindestkurses Signale, dass dies geschehen könnte. Einige Marktteilnehmer hatten dies auch so interpretiert. Vier Tage vor dem unerwarteten Entscheid der SNB hatte nämlich ein Schweizer Doyen der Geldpolitik und früherer Berater der Schweizer Notenbank, Ernst Baltensperger, die Aufhebung des Mindestkurses in einem Interview mit der «NZZamSonntag» (Artikel bezahlpflichtig) gefordert.
Nun lässt sich nicht behaupten, Jordan sei durch dieses Interview in seinem Entscheid beeinflusst worden. Doch rein kommunikativ war durch die fundierten Aussagen Baltenspergers das Terrain für die Aufhebung des Mindestkurses etwas geebnet.
Ein weiterer Doyen schreibt gegen die Negativzinsen
In Bezug auf einen möglichen Entscheid der SNB am kommenden Donnerstag gibt es nun ähnliche Vorzeichen. So schrieb der frühere Chefökonom der SNB, Kurt Schiltknecht, vor wenigen Wochen in der «Neuen Zürcher Zeitung» (Artikel bezahlpflichtig) einen Gastkommentar mit der Überschrift: «Nationalbank: Wenn nicht jetzt, wann dann?».
Schiltknecht ging auf verschiedene Aspekte der post-Finanzkrise Geldpolitik ein, wie die zunehmende Politisierung oder die aufgeblähten Bilanzen durch Käufe von Aktien und Staatsanleihen. Mit diesen «ungeregelten Aktivitäten» seien die Notenbanken «auf dem besten Weg, die Finanzmärkte auszuhebeln und die Wirtschaft zu destabilisieren.»
Klares Fazit
Schiltknecht, dessen Kommentar keineswegs polemisch daherkommt, sieht in der derzeitigen Geldpolitik auch eine Ursache für die Schwächung des Bankensystems. Der Rückgang der Zinsmarge habe die Gewinnkraft und damit die Risikofähigkeit bei der Kreditvergabe geschmälert. Sein Fazit: «Die Kosten eines Zuwartens sind mittelfristig schlimmer als die Gefahr vorzeitigen Handelns».
Nicht nur der geldpolitisch versierte Banker und Ökonom Schiltknecht glaubt inzwischen nicht mehr, dass die SNB auf den Negativzinsen beharren muss. Auch der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse steht einer Aufhebung der Negativzinsen inzwischen eher positiv gegenüber.
Jordans Argumente fallen nicht mehr auf fruchtbaren Boden
Die Schweizer Konjunktur könne einen Zinsschritt verkraften. Die SNB könne schon vor der EZB an der Zinsschraube drehen, sagte Chefökonom Rudolf Minsch vergangene Woche.
Waren die Negativzinsen ohnehin eine unpopuläre Massnahme der SNB, so scheinen die Argumente von Jordan für ein Beibehalten inzwischen nicht mehr auf fruchtbaren Boden zu fallen. Ob diese berufenen und kritischen Äusserungen nun eine Art kommunikative Vorbereitung für eine Änderung der Geldpolitik der SNB sind, wird man am Donnerstag sehen.