Politische Wahlen schaffen zwar Unsicherheit im Kunstmarkt, ihr direkter Einfluss ist jedoch geringer im Vergleich zu anderen wirtschaftlichen Ereignissen, erklärt Drew Watson von der Bank of America im Interview mit finews.art.
Der neuste Kunstmarktbericht der Bank of America (BofA) zeigt, dass niedrigere Auktionsschätzungen, Rabatte in Galerien und die jüngsten Zinssenkungen zu einer stärkeren Beteiligung von Sammlerinnen und Sammler vor grossen Events wie den Herbstauktionen in New York und der Art Basel Miami führen.
Die erwarteten günstigen Kaufbedingungen folgen auf niedrigere als erwartete Kunstverkäufe auf dem Sekundärmarkt in der ersten Jahreshälfte.
Herr Watson, beeinflussen die US-Präsidentschaftswahlen historisch gesehen den Kunstmarkt?
In den vergangenen beiden Jahren mit Präsidentschaftswahlen (2020 und 2024) sind die Herbstauktionen deutlich zurückgegangen. Allerdings scheint die schwache Performance des Kunstmarkts in Wahljahren eher mit breiteren makroökonomischen Faktoren zusammenzuhängen.
Was genau meinen Sie damit?
Betrachtet man dies in einem weiteren Kontext, so ist der «Artprice Global Art Market Index» in vier der letzten sechs Wahljahre gestiegen, wobei der US-spezifische Index in fünf der sechs Jahre besser abschnitt als der globale Index.
«Dies könnte jedoch auch Chancen für Käuferinnen und Käufer schaffen»
Dies deutet darauf hin, dass Wahlen zwar Unsicherheit schaffen, ihr direkter Einfluss auf den Kunstmarkt jedoch weniger ausgeprägt sein könnte im Vergleich zu anderen wirtschaftlichen Faktoren.
Welche Faktoren trugen 2024 zur Verwundbarkeit des Kunstmarkts bei?
Es waren mehrere Faktoren, darunter die globalen geopolitischen Unruhen, höhere Inflation und die Zinssätze sowie eine allgemeine Zurückhaltung der Käuferinnen und Käufer, die durch die wirtschaftlichen Unsicherheiten wie mögliche Änderungen in der Fiskalpolitik beeinflusst wurde. Dies könnte jedoch auch Chancen für Käuferinnen und Käufer schaffen.
Warum?
Da der Wettbewerb bei Auktionen nachgelassen hat, könnten Käufer Werke zu erschwinglicheren Preisen erwerben als in den vergangenen Jahren.
Welche externen Faktoren haben zu den Rückgängen des Kunstmarkts in den Jahren 2008, 2016 und 2020 beigetragen?
In Krisenzeiten neigen risikoscheue Sammlerinnen und Sammler dazu, sich aus dem Kunstmarkt zurückzuziehen, was zu geringeren Ausgaben führt und sich weltweit auf die Wirtschaft auswirkt. Dieses Verhalten war während der globalen Finanzkrise 2008/2009 zu beobachten.
«Sammlerinnen und Sammler setzen ihre «finanzielle Gesundheit» an erste Stelle»
Im Jahr 2016 trugen Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Austritt Grossbritanniens (Brexit) aus der EU und die damit verbundenen Freihandelsbedenken zu diesem Rückgang bei, und 2020 wurde dies durch die weitreichenden wirtschaftlichen Störungen der Covid-19-Pandemie noch verstärkt.
Wie haben sich die hohe Inflation und die Zinssätze 2023 und 2024 auf Sammlerinnen und Sammler ausgewirkt?
Angesichts der hohen Inflation und Zinssätze in den Jahren 2023 und 2024 waren Sammlerinnen und Sammler bei ihren Ausgaben vorsichtiger, da sie sich Sorgen über die Kosten der Kreditaufnahme und die Renditen ihrer Investitionen machten.
Welche finanziellen Bedenken könnten das Verhalten der Sammlerinnen und Sammler stärker beeinflussen als die US-Präsidentschaftswahlen?
Finanzielle Bedenken wie die Kosten der Kreditaufnahme, die Renditen von Investitionen und die allgemeine wirtschaftliche Stabilität haben zumeist einen grösseren Einfluss auf das Verhalten der Sammlergemeinde als die US-Präsidentschaftswahlen.
Sammlerinnen und Sammler setzen ihre «finanzielle Gesundheit» an erste Stelle, was zu einem zurückhaltenderen Ansatz beim Kunstkauf führen kann.
Drew Watson ist Head of Art Services bei der Bank of America Private Bank und arbeitet von New York aus. Er verfügt über eine 20-jährige Erfahrung im Kunstgeschäft mit Auktionshäusern, Finanzierungsinstituten und Kunstinstitutionen. In seiner aktuellen Rolle leitet er ein Team, das private Sammler, Familien, Stiftungen und Institutionen in allen Kunstfragen berät. Zuvor war er als Business Manager bei Christie’s in New York tätig.