Einige Schwellenländer haben sich seit der Finanzkrise ernsthaft bemüht, strukturelle Reformen umzusetzen. Das eröffnet Einstiegschancen, findet Colm McDonagh von Insight (BNY Mellon).
Colm McDonagh, Leiter des Emerging Markets-Anleihenteams bei Insight, BNY Mellon
Herr McDonagh, die Schwellenländer erlebten 2015 einen rechten Ausverkauf. Was waren die Treiber?
Zu den Einflussfaktoren zählen das Ende des Rohstoff-Superzyklus', die Folgen des stagnierenden Wirtschaftswachstums in China sowie die Sorgen um die Wirksamkeit der quantitativen Lockerungspolitik (QE). Gleichzeitig nahm auch die politische Unsicherheit zu.
So fürchtet man sich nun in Europa vor einem Brexit sowie vor einem Ende der Freizügigkeit innerhalb Europas, die im Schengen-Abkommen geregelt ist. Auch die Spannungen im Zusammenhang mit Russland sowie dem Anspruch, den China auf Territorien im südchinesischen Meer erhebt, tragen zu den recht unsicheren Zukunftsaussichten bei. Die Schwellenländermärkte wurden durch diese Verunsicherung besonders in Mitleidenschaft gezogen.
Wie reagieren die Emerging Markets darauf?
Einige Schwellenländer gehören zu den wenigen Volkswirtschaften weltweit, die seit der globalen Finanzkrise wirklich ernsthafte Bemühungen unternommen haben, um strukturelle Reformen umzusetzen – wohingegen Industriestaaten wie Japan, Grossbritannien, die USA und die Eurozone auf eine quantitative Lockerung und andere konjunkturelle Massnahmen gesetzt haben.
«Erstmals seit langer Zeit wird man für das Eingehen des Risikos also wieder entschädigt»
Derartige Initiativen lassen sich in unterschiedlicher Ausprägung in Mexiko, Kolumbien, China und Indien beobachten. Unserer Meinung nach sind Strukturreformen aber eine zwingende Voraussetzung für reales Wachstum. Sie deuten fast immer auf sich bietende Anlagechancen hin.
Ist nun also eine Wende Sicht?
Obwohl Schwellenländer-Anleihen nach wie vor überhaupt nicht angesagt sind, haben die erwähnten Reformbestrebungen in Verbindung mit der jüngsten Verkaufswelle zur Folge, dass sie mittlerweile einen Wendepunkt erreicht haben könnten.
Zwar haben viele Anleger mit Investments in Schwellenländer-Währungen zuletzt Geld verloren, aber durch den Ausverkauf haben sich auch günstige Anlagechancen aufgetan. So liegen die Renditen mittlerweile wieder auf demselben Niveau, auf dem sie bereits 2005 oder 2009 notiert hatten. Erstmals seit langer Zeit wird man für das Eingehen des Risikos also wieder entschädigt.
Bei welchen Regionen sollte man Vorsicht walten lassen?
Es gibt gute Länder, und es gibt schlechte Länder. Bei Schwellenländer-Investments geht es im Wesentlichen um die Frage: Werde ich für Engagements angemessen entschädigt?
Und?
Brasilien und Russland sind zwei zwei Länder, die zwar mit Risiken behaftet sind, in denen kluge Investitionen jedoch angesichts des aktuellen Bewertungsniveaus durchaus gerechtfertigt sein könnten. Schaut man sich beispielsweise Brasilien an, so war die Verkaufswelle, die diesen Markt 2015 erfasst hat, in etwa genauso heftig wie der Abwärtstrend, der Russland 2014 in Mitleidenschaft gezogen hatte
Beide Länder haben auch momentan noch immer mit immensen Problemen zu kämpfen. Ihre Bonitätsqualität ist herabgestuft, und durch den Preisverfall beim Öl gerieten ihre Handelsbilanzen unter Druck, zudem haben beide Staaten politische oder geopolitische Turbulenzen durchlebt.
«Jetzt heisst es: Ganz genau hinsehen»
Als Investoren besteht unsere Aufgabe aber darin, diese «Rendite-Wracks» genau zu analysieren und uns die Frage zu stellen, ob wir nicht doch genug Geld als Ausgleich dafür bekommen, diese Risiken zu tragen. Jetzt heisst es: Ganz genau hinsehen!
Die USA ist für Schwellenländer ausschlaggebend, viele Emerging-Markets-Währungen sind an den Dollar gekoppelt. Was für eine weitere Entwicklung erwarten Sie hier?
Unserer Meinung nach liegen die Zeiten, in denen die USA die globalen Finanzmärkte beherrscht haben, hinter uns. Stattdessen steuern wir auf ein eher multilaterales System mit bedeutenden Zentren in den USA, Europa und China zu. So rechnen wir damit, dass ausserhalb der USA künftig mehr Schwellenländer-Anleihen emittiert werden.
«Es kommt zu einer Verschiebung des wirtschaftlichen Gleichgewichts »
Diese Verschiebungen des wirtschaftlichen Gleichgewichts sollten ausserdem dazu führen, dass einige Volkswirtschaften auf geldmarktpolitische Massnahmen ihrer entsprechenden Notenbanken wesentlich schneller reagieren, anstatt sich hauptsächlich auf die US-Notenbank zu konzentrieren, wie dies oft noch der Fall ist.
Colm McDonagh stiess im November 2008 als Leiter des Emerging Markets-Anleiheteams, zuständig für alle Ermerging Anleihestrategien, zu Insight Investment (BNY Mellon).
Zuvor war er Trader bei der Bank of America, Partner bei Hydra Capital Management (eine auf Schwellenländeranleihen fokussierte Investmentboutique) und Head of Global Emerging Market Debt bei Aberdeen Asset Management.