Der hoch renommierte Investor nimmt im Gespräch mit finews.ch kein Blatt vor den Mund, wenn er die derzeitige Situation analysiert.
Herr Grantham, Sie verwalten heute mit Ihrem Unternehmen GMO mehr als 100 Milliarden Dollar an Kundengeldern. Ihren Erfolg schreiben Sie der Lektüre von von Geschichtsbüchern zu. Richtig?
Ich versuche, über das Tagesgeschehen hinaus zu denken. Wer bei uns arbeitet, sollte sich tatsächlich für Geschichte interessieren und die daraus gewonnenen Erkenntnisse in die Anlagestrategie einfliessen lassen können.
Viel Zeit widmen Sie dem Studium von Blasen an den Finanzmärkten. Ihre Haupterkenntnis dabei?
Blasen sind kein isoliertes Phänomen. Im Gegenteil, in den letzten hundert Jahren gab es nach unseren Erkenntnissen weltweit nicht weniger als 34 Boom-and-Bust-Phasen. Inzwischen haben wir weitere historische Daten gesichtet sowie kleinere Märkte und Anlageklassen analysiert. Dabei sind wir auf weitere 330 Blasen gestossen.
Blasen sind überall?
Durchschnittlich schwillt eine Blase drei Jahre lang an, bevor sie ihren Höchststand erreicht und platzt. Der Abschwung dauert weniger lang. Blasen sind insofern wichtig, als sie einen enormen Einfluss auf die Konjunktur haben. Der Eigenheimboom in den USA mündete in eine globale Finanzkrise. Hätte es die Überhitzung bei den Subprime-Krediten nicht gegeben, ginge es der Welt heute wohl bedeutend besser.
«Chuck Prince wusste, dass ein Crash anstand»
Was löst einen Crash aus?
Das kann niemand genau sagen. Bis heute ist unklar, was den Crash von 1929 auslöste. Es gibt die Redewendung «The selling came in from the country», was heisst, dass die Verkaufswelle nicht an der Wall Street startete, sondern in Chicago, Cincinnati oder Los Angeles. Niemand weiss, wieso. Klar, die Kurse waren schon hoch, die Leute nervös und die Wirtschaft lief auf Volltouren.
Börsentrends bedingen allerdings auch eine Herde an Anlegern, die mitmacht.
Ein Boom ist immer dann, wenn alles besser ausschaut als es tatsächlich ist. Das schürt den Optimismus. Die Finanzindustrie baut auf dieser Erwartungshaltung auf.
Solange die Musik spielt, soll getanzt werden, um das berühmte Wort des einstigen Citigroup-Chefs Charles Prince zu zitieren.
Wobei anzufügen ist, dass «Chuck» Prince durchaus wusste, dass ein Crash anstand. So dumm war er nicht. Doch der Druck auf ihn war so enorm, dass er einfach «weitertanzen» musste.
«Diese Leute wurden nie zur Rechenschaft gezogen»
Wer übte Druck auf ihn aus?
Der Verwaltungsrat der Citigroup mit Robert Rubin an dessen Spitze. Er wollte erfolgreicher sein als sein früherer Arbeitgeber Goldman Sachs. Darum hat Rubin Charles Prince angestachelt, grosse Risiken einzugehen. Der Rest ist Geschichte. Leute wie Prince gibt es zuhauf – meist haben sie gar keine andere Wahl als das zu tun, was von ihnen verlangt wird.
Der Staat hat nachweislich gewisse ungesunde Entwicklungen gefördert, etwa den Eigenheimbesitz in den USA.
Die US-Administration fiel in den letzten zwanzig Jahren in die Hände von Personen, die glaubten, weniger Regulation sei besser: Notenbank-Chef Alan Greenspan, Robert Rubin als Wirtschaftsberater Clintons, US-Börsenchef Arthur Levitt oder Lawrence Summers, Finanzminister unter Bill Clinton. Sie sind nie zur Rechenschaft gezogen worden für ihre fatalen Fehleinschätzungen.
«Heute gilt ‹Too bigger to fail› »
Was genau lief schief?
Es wurde selbst dort dereguliert, wo die Wall Street dies gar nicht gefordert hatte – etwa bei der Eigenmittelunterlegung. So war es möglich, dass die Banken dermassen viel Leverage, also Fremdkapital, aufnehmen konnten. Es ist grotesk, dass jemand wie Henry «Hank» Paulson, der zuvor Goldman Sachs geleitet hat, in der grössten Finanzkrise die Fronten wechselt und zum Finanzminister von George W. Bush mutiert. Administration und Finanzbranche waren dadurch nicht mehr getrennt.
Ist es unter US-Präsident Barack Obama besser?
Nein. Summers hat wieder einen Job in der Regierung, und Rubin wäre ohne Citigroup wohl auch zum Handkuss gekommen. So ändert sich die Finanzbranche nie. Im Gegensatz dazu wurde das US-Finanzsystem nach der Krise von 1929 völlig umgekrempelt. Heute gilt nicht mehr «Too big to fail», sondern «Too bigger to fail».
Wo droht der nächste Crash?
In der fehlgeleiteten Politik der US- Notenbank. Die Leute von der Federal Reserve manipulieren mittels Geldpolitik die Börsenkurse. Das zwingt die Banken, Wertschriften zu kaufen. Der heutige Notenbankchef Ben Bernanke hat nie verhehlt, die Märkte zu stimulieren.
«Die Ernüchterung folgt nach den Wahlen»
Ist das falsch?
Dadurch wird die Krise nie ausgesessen. Das war schon bei der Dotcom-Krise der Fall, als die Kurse im März 2003 schlagartig wieder nach oben gingen und 2009 erneut. Anstatt einer Demokratie herrscht in den USA heute eine Corpokratie Die Finanzlobby diktiert die politischen Entscheide.
Nochmals, wann platzt die nächste Blase?
Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Aktienmarkt bis im Oktober 2012 nochmals 20 bis 30 Prozent zulegt, um dann abzustürzen.
Wie das?
Kennen Sie den Präsidentschafts-Zyklus? Anhand der Amtszeit eines US-Präsidenten lassen sich an den Märkten gewisse Entwicklungsmuster ableiten. In der Regel – seit 1932 gab es nur zwei Ausnahmen – ist das vierte Jahr einer Amtszeit nie ein Bärenmarkt. Die letzten zwölf Monate profitieren vom Aufwind, den das dritte, jeweils beste Jahr vorgelegt hat. Seit Oktober 2010 verzeichneten die Märkte ein Plus von 20 Prozent. Der Zyklus wird auch diesmal funktionieren. Die Ernüchterung folgt nach den Wahlen.
«Gold hat in letzter Zeit nicht so stark zugelegt»
Platzt die nächste Blase im Gold?
Gold hat in letzter Zeit nicht so stark zugelegt. Mit anderen Rohstoffen wie Kupfer, Silber, Mais, Reis oder Weizen konnten Investoren mehr verdienen.
Sie sind kein Gold-Fan?
Weshalb schickt man Leute 2'000 Meter unter die Erde, wo sie unter lebensgefährlichen und menschenunwürdigen Verhältnissen arbeiten, um schliesslich das gewonnene Gold in Barren zu schmelzen, die in den Tresoren der Banken schlummern? Warum zieht man keine Wissenschaftler bei, die bestätigen, dass an einer bestimmten Stelle im Boden so und so viel Gold liegt, das so und so viel Wert hat? Man könnte sich viel Mühe sparen. .
Was halten Sie von der Entwicklung in China, erkennen Sie in dieser Region allenfalls Blasen?
Mein Kollege Edward Chancellor vertrat unlängst in der «Financial Times» die Ansicht, dass China taumeln werde, was wiederum einen Dominoeffekt auf andere Länder in der asiatisch-pazifischen Region auslösen würde.
Teilen Sie diese Einschätzung?
Nicht so radikal. Edwards These gebe ich eine Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent. Ich halte sehr viel von der Kompetenz der chinesischen Führungselite.
Das müssen Sie genauer erklären.
Die Behörden Chinas sind mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Sie müssen einer enormen Nachfrage entsprechen, die Umweltverschmutzung eindämmen, den Immobilien-Boom kontrollieren, die Inflation im Griff behalten und die wirtschaftliche Effizienz steigern.
«Die Chinesen arbeit an allen Fronten»
Bis in einigen Jahren werden sie die grösste Umweltnation sein, gleichzeitig weiterhin Kohlekraftwerke bauen. Trotz dieser Ambivalenz arbeiten sie an allen Fronten gleichzeitig. Sie verstehen das Prinzip von Trial-and-Error mittlerweile besser als der Westen. Bildlich kann man sagen: Wenn den Chinesen unterwegs ein Reifen platzt, schaffen sie es, das Rad während der Fahrt zu reparieren.
Sie sind Brite, leben seit Jahren aber in den USA. Geht Ihnen die Entwicklung in Europa noch nahe?
Ja, selbst wenn ich mich dazu nicht zu Wort melde. Es wundert mich aber, dass man das Konstrukt der EU nicht früher schon kritisch hinterfragt hat. Warum haben sich die vielen Experten nie gefragt, ob der Euro existenzielle Probleme kriegen könnte? Ich habe nie begriffen, weshalb man so überoptimistisch sein kann.
Was treibt Sie noch an, jeden Morgen aufzustehen und Ihrer Arbeit nachzugehen?
Der Klimawandel macht mir Sorgen. Die Bedrohung ist grösser als man das in den USA wahrhaben will. Vor diesem Hintergrund habe ich eine Stiftung gegründet, die Öffentlichkeitsarbeit betreibt – allerdings sehr diskret. Umweltthemen werden in den USA noch ein Megatrend, nicht zuletzt weil die Rohstoffpreise steigen. Amerika verändert sich dann , wenn etwas teurer wird. Dann muss etwas geschehen.
Was reizt Sie beruflich noch?
Natürlich die Frage, wie ich für meine Kunden, für meine Stiftung und für mich selbst eine ansprechende Rendite erziele. Beim Aufspüren von unterbewerteten Firmen will ich zudem verstehen, warum das jeweils der Fall ist.
Der 72-jährige Jeremy Grantham (Bild links) studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Sheffield, 1966 machte er ein MBA an der Harvard Universität, bevor er zunächst als Ökonom für Royal Dutch Shell arbeitete. Von 1969 bis 1977 arbeitete er für Batterymarch Financial Management.
Im Jahr 1977 gründete er mit Richard Mayo und Eyk Van Otterloo in Boston die Vermögensverwaltungsfirma GMO. Sie verfolgt einen konservativen Anlagestil, bei dem in unterbewertete Firmen investiert wird. Grantham zählt zu den angesehensten Finanzgrössen der USA, seine Börsenbriefe gehören zur Pflichtlektüre unzähliger Anleger. Dank seinem Studium von Börsenzyklen hat er mehrere Krisen frühzeitig erkannt GMO verwaltet heute 108 Milliarden Dollar.