Im Jahr 2007 kam ans Licht, dass Subprime-Papiere die Finanzwelt bedrohen. Fünf Jahre danach gibt es mehr Derivate denn je. Das gibt zu denken, findet Walter Wittmann.
Walter Wittmann ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg. Unter anderem veröffentlichte er 2007 «Der nächste Crash kommt bestimmt», in dem er die späteren Ereignisse vorwegnahm. Im Frühjahr 2010 erschien das prophetische «Staatsbankrott», und letzten Februar veröffentlichte er«Superkrise», ein Sachbuch über die Schwere der laufenden Krise.
Derivate haben längst zu einem atemberaubenden Höhenflug angesetzt. Zur bekannten Vervielfältigung von Wertpapieren und Rohstoffen kam ab den 1980er Jahren die Verbriefung von Krediten aller Art, und in den späten 1990er Jahren wurden die Derivate von vielen gesetzlichen Fesseln befreit. 1999 liberalisierte der damalige US-Finanzminister Lawrence Summers die Futures, was eine Spekulation ohne viele Grenzen ermöglichte.
Zwar gab es während der Baisse von 2000 bis Frühjahr 2003 und im Crashjahr 2008 einen Dämpfer – die Entwicklung wies aber jeweils rasch wieder nach oben.
Seither wurde es nicht besser, sondern schlimmer
Die Finanzkrise der letzten Jahre wurde durch Derivate ausgelöst, denen amerikanische Hypotheken minderer Qualität unterlegt waren. Ab Frühjahr 2007 wollte niemand mehr solche Papiere kaufen, im Juni brach der Markt dann vollends zusammen. Nun sassen vor allem Investmentbanken auf gigantischen Beständen, was entsprechenden Abschreibungsbedarf auslöste; der Kollaps von Lehman Brothers war eine Folge davon.
Die Derivate waren dabei mit guten Ratings versehen gewesen, sie konnten dementsprechend weltweit verkauft werden. Private und institutionelle Anleger fielen aus allen Wolken, als sie zur Kenntnis nehmen mussten, dass ihre Papiere so gut wie nichts mehr wert waren.
Seit damals ist es nicht besser, sondern schlimmer geworden – viel schlimmer. Laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) haben die Derivate inzwischen ein Volumen von 700'000 Millarden Dollar erreicht. Das ist mehr als das Zehnfache des weltweiten Brutto-Inlandprodukts. Es gibt Schätzungen, die sogar noch weitergehen: Hera Research rechnet mit 1'000 Billionen und Phoenix Capital Research sogar mit 1'400 Billionen Dollar.
Zehn Banken halten den grössten Teil der Kontrakte
Hinter diesen Summen stecken aber lediglich 60 Milliarden an echten Vermögen – alles andere ist lediglich «heisse Luft». Und es sind rund zehn Grossbanken, welche diese tickende Bombe zum grössten Teil zu verantworten haben.
In den USA sind es die fünf Grossen J.P.Morgan, Bank of America, Citigroup, Wells Fargo und Goldman Sachs. Hier wuchs der Berg an Derivaten in den letzten zwanzig Jahren (bis Ende 2011) von fünf auf über 230 Billionen Dollar. In Europa kamen die Deutsche Bank, die Commerzbank, die UBS sowie Credit Suisse Ende letzten Jahres auf insgesamt 189 Billionen Dollar an ausstehenden Derivate-Kontrakten. Zum Vergleich: Das Eigenkapital dieser vier Banken betrug zusammen knapp 197 Milliarden Dollar – gut ein Promille der Derivatesumme.
Dünner kann die Kapitaldecke kaum noch sein. Hinzu kommt, dass man es bei Futures, Swaps, Optionen und Kreditderivaten oft mit nicht regulierten respektive kaum überwachten Märkten zu tun hat.
Mein Fazit: Wir befinden uns bei den Derivaten auf dem Weg in ein Desaster, von hier droht ein Kollaps des globalen Finanzsystems mit verheerenden Auswirkungen. Die Schweiz ist dabei insofern ein Sonderfall, als sie als Kleinstaat gleich mit zwei Grossbanken involviert ist. Statt zu handeln und das Investmentbanking abzutrennen sowie den entsprechenden Sitz ins Ausland zu verlagern, zieht man es vor, den Schlaf der Gerechten fortzusetzen.