Es gibt fünf Arten, um Staatsschulden-Krisen zu meistern. Aber die Methoden nützen beim europäischen Problem kaum. Es bleibt nur eine Notlösung. Von Walter Wittmann
Walter Wittmann ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg. Unter anderem veröffentlichte er 2007 «Der nächste Crash kommt bestimmt», in dem er die späteren Ereignisse vorwegnahm. Im Frühjahr 2010 erschien sein Buch «Staatsbankrott». Demnächst veröffentlicht er «Superblase», ein Sachbuch über die Schwere der laufenden Krise und ihre gesellschaftlichen Folgen.
Die historische Erfahrung zeigt, dass die Staatsschulden – respektive die Schuldenquote – auf fünf Arten reduziert wurden. Erstens durch wirtschaftliches Wachstum, zweitens durch fiskalische Anpassungen und dabei vor allem durch tiefere Ausgaben. Drittens über Insolvenzen und/oder die Restrukturierung von Schulden. Viertens über direkte oder indirekte Obergrenzen für Zinssätze – dies vor allem bei den öffentlichen Schulden. Und fünftens erfolgte ein Schuldenabbau über eine plötzlich einsetzende (und anhaltende) Inflation.
Allerdings zeigt der Blick in die Geschichte auch, dass die Inflation gar nicht plötzlich auftreten und sehr hoch sein muss, um Schulden nennenswert zu «vernichten».
Diese fünf Alternativen wurden jeweils kombiniert, um einen grösseren Effekt zu erzielen. Heute nun stellt sich die Frage, ob und mit welchen Massnahmen es überhaupt möglich ist, die aktuelle Schuldenkrise in den Griff zu kriegen.
1. Niedrige Realzinsen? Sie waren früher wirksam, um Schuldenquoten nachhaltig zu senken. Aber hier gibt es seit der Finanzkrise 2007 kaum noch Spielraum. Die tiefen Zinsen, die wir seither haben, genügten keineswegs, um die rasche Expansion der Schuldenquoten spürbar zu bremsen. Inzwischen drohen sogar wieder steigende Zinsen.
Von der Zinsfront ist also kein substantieller Beitrag zur Überwindung der Schuldenkrise zu erwarten.
2. Wirtschaftliches Wachstum? Anhaltendes und rasches Wachstum bot stets ein hervorragendes Hilfsmittel, um Schuldenquoten sozusagen automatisch zu senken. Das klassische Beispiel war der langfristige Aufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1974. Darauf können wir künftig nicht setzen, denn: Krisen wie die laufende dauern erfahrungsgemäss rund zehn Jahre.
Die wirtschaftliche Dynamik bietet also auf Jahre hinaus keinen Rückenwind für die Bewältigung der Schuldenkrise. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Die rezessiven Tendenzen dürften sich verschärfen.
3. Hohe Inflation? Tatsächlich mildert Inflation die Schuldenlast. Zu einer Hyperinflation kam es allerdings fast ausschliesslich in Kriegszeiten, in denen ein akuter Mangel an Gütern herrschte. In der aktuellen Schuldenkrise haben wir es nicht mit einem kriegsbedingten Sonderfall zu tun, sondern mit einem Normalfall.
Daher kann sich die aufgeblähte Geldmenge nicht in anhaltend steigenden Preisen entladen. Zwar besteht ein Inflationspotential, aber es vermag nicht den Durchbruch zu schaffen.
4. Sanierung der Staatsfinanzen? Dies wäre der wünschenswerte Normfall: Die Staaten bauen ihre jährlichen Defizite rasch ab, um zu einem ausgeglichenen Haushalt zu gelangen. Danach sind nachhaltige Budgetüberschüsse erforderlich, um die Schuldenquoten zu senken. Dazu sind drakonische Massnahmen erforderlich: Zum einen eine massive Senkung laufender Ausgaben, wobei alle betroffen sind, auch die unteren Einkommensschichten. Nur so ist ein relevanter «Mengeneffekt» zu erzielen. Zum anderen Erhöhungen bei den allgemeinen Steuern wie der Mehrwertsteuer und der Einkommenssteuer natürlicher Personen.
Vor solchen Massnahmen drückt sich die Politik, denn Politiker fürchten nicht nur Aufstände, sondern auch Wahlniederlagen.
5. Ein Insolvenzverfahren? In der aktuellen Lage bleibt nur noch eine Lösung, um einen unkontrollierten Staatsbankrott abzuwenden: das Insolvenzverfahren. Selbstverständlich müsste sofort und radikal gehandelt werden, beispielsweise in Griechenland. Erstens müsste eine Umschuldung erfolgen, mit oder ohne Verhandlungen mit den Gläubigern. Die Laufzeiten von Anleihen oder anderen Schulden werden von kurzfristig zu mittel- und langfristig erstreckt. Konkret geht es dabei um 20 bis 30 Jahre. Zweitens werden die Zinsen massiv gesenkt und eingefroren. Drittens kann ein Schuldenerlass nicht ausbleiben.
Die entsprechenden Abschreiber sind mit einschneidenden Konsequenzen für Gläubiger, Besitzer von Anleihen und andere Kreditgeber verbunden. Das gilt insbesondere für Banken und Versicherungen, die solche Ausfälle via CDS versichert haben.
Um Liquiditätsengpässe zu überbrücken und die Zahlungsfähigkeit zu sichern, sind quasi-bankrotte Länder auf Liquiditätsspritzen angewiesen. Diese kommen traditionell vom IWF, können aber jetzt auch vom Euro-Rettungsschirm stammen.
Reicht dies nicht aus, um insolvente Länder wieder auf die Beine zu bringen, so ist absehbar, dass die Zentralbanken genötigt werden, die Notenpresse anlaufen zu lassen. Auf Dauer hat dies immer wieder zu einer Währungsreform geführt.