Die Zentralbanken hätten den Kapitalmarkt regelrecht verstaatlicht, sagt der Schweizer Wirtschaftsprofessor Thomas Straubhaar im Interview mit finews.ch.
Herr Straubhaar, seit dem Brexit hat das Pfund deutlich an Wert verloren. Bleibt es so schwach respektive welche Faktoren werden den Kurs beeinflussen?
Sicher ist das Pfund durch den Brexit geschwächt worden und ein Abwertungsdruck gegenüber dem Franken dürfte die nächsten Jahre Bestand haben. Denn einerseits wird die britische Wirtschaft durch den Brexit ökonomisch leiden.
Die Mahnungen des englischen Wirtschaftsmagazins «Economist» reichen von einer zu erwartenden schweren Rezession, einem zweiten schottischen Unabhängigkeits-Referendum bis hin zur Sorge um britische Investitionen und Arbeitskräfte in der EU.
«Ganz eindeutig: Die Briten werden auf Zeit spielen, so lange sie können»
Andererseits verunsichert der Brexit die Wirtschaftsakteure auch, weil noch unklar ist, wann was wo genau verhandelt werden wird. Das stärkt Fluchtwährungen wie den Franken.
Beide Entwicklungen zusammen dürften zu einer Aufwertung des Franken gegenüber dem Pfund führen. Allerdings könnte ein Teil dieser Erwartung bereits durch die Abwertung des Pfunds in den letzten Wochen aufgefangen worden sein.
Die Umsetzung des Brexit ist komplexer als das Votum. Welches Szenario scheint Ihnen das wahrscheinlichste?
Ganz eindeutig: Die Briten werden auf Zeit spielen, so lange sie können! Denn der Brexit erfolgt in zwei Schritten. Erstens muss Grossbritannien seinen EU-Austritt formal dem Europäischen Rat mitteilen.
Zweitens kommt es spätestens genau zwei Jahre später zum Brexit und zwar unabhängig davon, ob man in den zweijährigen Verhandlungen über die Trennungsmodalitäten einen beidseits genehmen Scheidungsvertrag vereinbart oder nicht – «es sei denn, der Europäische Rat beschliesst im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat einstimmig, diese Frist zu verlängern».
Das ist ziemlich komplex.
Ja, aus dieser Ausgangslage lässt sich nun wunderbar erkennen, mit welcher Strategie die Briten die EU am Nasenring durch die politische Arena führen werden: Solange der EU-Austritt nicht beantragt wird, sind sie am langen Hebel und diktieren die Politik. Nichts und niemand kann sie rechtlich zwingen, aufs Tempo zu drücken.
Also wird sich die Premierministerin Theresa May reichlich Zeit lassen. Warum sollte sie sich auch beeilen? Alles läuft vorerst nach «business as usual». Nichts ändert sich. Das Vereinigte Königreich ist und bleibt vollwertiges EU-Mitglied. Es kann alle Vorteile nutzen.
«Grossbritannien kann notwendige Veränderungen verschleppen und Anpassungen verzögern»
Vor allem aber kann es weiterhin mit allen Rechten den Gang und die Weiterentwicklung der EU mitbestimmen. Es kann notwendige Veränderungen verschleppen, Anpassungen verzögern und da, wo Einstimmigkeit erforderlich ist, Entscheidungen verhindern.
So, wie in einer zerrütteten Ehe, wenn der eine Partner das gemeinsame Bankkonto plündert.
Welches sind die wichtigsten Auswirkungen des Brexit auf die Schweiz?
Rein ökonomisch werden die Effekte wohl gering bleiben, weil am Ende doch zu vermuten ist, dass sich die EU und Grossbritannien ohne Rosenkrieg scheiden werden. So wird vieles unverändert bleiben.
Die Aufwertung des Franken macht zwar die Schweizer relativ reicher und verbilligt die Importe. Das ist positiv. Aber es verteuert auch die Exporte und verringert damit die preisliche Wettbewerbsfähigkeit von Schweizer Gütern und Dienstleistungen auf den Weltmärkten.
«Wer das richtig prognostiziert, wird eine Menge Geld verdienen»
Ich vermute, dass ein Teil der Finanzmarkt-Geschäfte London verlassen und auf den Kontinent wechseln werden. Davon könnten unter Umständen auch Zürich und der Finanzplatz Schweiz profitieren.
Längerfristig ist aber eine Zersplitterung Europas auch für die Schweiz eher von Nachteil. Denn viele grosse Zukunftsprobleme – wie Migration, Klimawandel, Umweltschutz, Friede und Sicherheit – lassen sich nicht in nationalen Alleingängen bewältigen. Und da ist und wäre eine enge Abstimmung mit Grossbritannien von Vorteil.
Bleibt vor diesem Hintergrund der Aufwertungsdruck auf den Franken bestehen?
Ja, der Franken stand vergleichsweise schon immer unter Aufwertungsdruck. Und der Brexit wird diesen Trend eher verstärken als abschwächen
Halten Sie es für möglich, dass die grossen Währungen Dollar, Pfund, Euro mittelfristig zur Parität übergehen – und auch der Franken?
Wer das richtig prognostiziert, wird eine Menge Geld verdienen. Aber Wechselkurs-Prognosen sind enorm spekulativ. Denn es geht ja nicht nur um realwirtschaftliche Aspekte, deren zukünftige Entwicklung schon schwer genug voraussagbar sind.
«Die Zentralbanken haben mittlerweile den Kapitalmarkt verstaatlicht»
Es spielen auch die Zentralbanken eine (viel zu) wichtige Rolle. Und all das beeinflusst in unterschiedlichster Weise die Erwartungsbildung all jener, die Anlageentscheidungen treffen. Deshalb ist viel mehr Volatilität zu erwarten, als wir uns heute vorstellen können.
Die Massnahmen der Zentralbanken zeigen immer weniger Wirkung. Inwiefern ist dies gefährlich?
Die Zentralbanken haben mittlerweile den Kapitalmarkt verstaatlicht. Nicht genug, dass sie die kurzfristigen Zinsen manipuliert und auf die Null-Linie oder sogar darunter gedrückt haben. Jetzt hat die japanische Zentralbank, die Bank of Japan, auch die langfristigen Zinsen festgeschrieben.
Damit verliert der Zins komplett seine Funktion, Kapitalangebot und Kapitalnachfrage und damit Überschuss und Defizit in ein Gleichgewicht zu bringen, und entsprechende Signale an Sparer und Investoren auszusenden.
Vor diesem Hintergrund verlieren die Negativzinsen umso mehr ihre Wirkung.
Ja, weil die fehlende Kreditnachfrage schon lange nicht mehr ein Problem zu hoher Kosten, sondern zu geringen Vertrauens und zu starker Verunsicherung ist.
«Die (zu) hohen Staatsschulden von heute sind die verschärften Probleme von morgen»
So gesehen verstärkt statt vermindert die Flutung des Geldmarktes durch die Zentralbanken ihre Wirkung. Sie trägt zur allgemeinen Verunsicherung bei und damit zu Fehlallokationen auf dem Kapitalmarkt.
Was sind die langfristigen Folgen der fortschreitenden Verschuldung der westlichen Staaten?
Die (zu) hohen Staatsschulden von heute sind in einem gewissen Sinne die verschärften Probleme von morgen, da die Staaten in Zukunft weniger Handlungsspielräume als heute haben, obwohl sie als Folge des demografischen Wandels mehr und nicht weniger staatliche Mittel erforderlich wären – Stichworte sind: Alterung und Schrumpfung der Bevölkerungsdaten und als Folge der Digitalisierung: Ausbau der Breitbandnetze und der Digital-Infrastruktur.
«Ein Exit ist mehr als schwierig»
Damit wird die wirtschaftliche Produktivität nicht so rasch wachsen, wie andernorts, was es für die Schweizer Wirtschaft in Zukunft nicht einfacher machen wird, wettbewerbsfähig zu bleiben.
Was müsste geschehen, um das Ruder (der Überschuldung) herumzureissen?
Die Antwort auf diese schwierige Frage ist alles andere als trivial. Denn gerade scheinbar einfache Lösungen auf komplexe Herausforderungen können sich sehr rasch als reiner Populismus entlarven.
Sicher ist, dass lieber früher als später die Zentralbanken ihren Einfluss zurückschrauben, die expansive Geldpolitik drosseln und die Kapitalmärkte wieder befreien. Aber das ist viel schneller gesagt als getan.
Ein Exit ist mehr als schwierig. Das hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) Anfang 2015 mit der Aufgabe des Mindestkurses gegenüber dem Euro erfahren müssen. Und auch das Zaudern und Trödeln der amerikanischen Notenbank, eine lange, bereits angekündigte Zinserhöhung zu realisieren, zeigt, um was es geht. Ein zu rascher Zinsanstieg in USA kann die Weltwirtschaft sehr schnell an den Abgrund oder auch darüber hinaus führen.
Thomas Straubhaar ist seit 1999 Professor der Universität Hamburg für Volkswirtschaftslehre, insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen. Gleichzeitig ist er Direktor des Europa-Kollegs Hamburg. Seit September 2013 ist er non-resident Fellow der Transatlantic Academy in Washington D.C.
Er studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Bern, wo er 1983 zum Dr. rer. Pol. promovierte und 1987 nach einem Forschungsaufenthalt an der University of California in Berkeley habilitiert wurde. Von September 1999 bis August 2014 war er zunächst Präsident des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA) und danach Leiter des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI).
Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören internationale Wirtschaftsbeziehungen, insbesondere die transatlantischen Beziehungen, sowie die Bevölkerungsökonomie mit dem Schwerpunkt Migration.
Das Interview mit Thomas Straubhaar führte finews.ch im Hinblick auf die Jahrestagung des Uhlenbruch Verlags «Professionelle Kapitalanlage» am 15./16. November 2016 in Zürich. finews.ch ist Medienpartner an dieser Veranstaltung, und Straubhaar tritt als Referent auf.