Noch redet alles von Zypern – dabei ändert sich jetzt gerade der Fokus der Krise: Jetzt kommen Konjunkturprobleme hinzu, warnt der Ökonom Martin Hüfner.
Martin Hüfner ist Chefökonom der Vermögensverwaltungs-Gruppe Assenagon. Er war lange Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank und der Deutschen Bank. Zudem leitete er den Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. In der Schweiz bekannt wurde er als Chefökonom der Aquila-Gruppe bis 2010.
Jeder redet in diesen Tagen von Zypern. Mit Recht. Dahinter vollzieht sich im Euro aber noch eine andere Bewegung. Die Krise tritt in eine neue Phase. Bisher ging es vor allem um die hohe Verschuldung einzelner Länder sowie um mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und Strukturreformen auf den Arbeits- und Gütermärkten. Bei der Bewältigung dieser Probleme wurden erhebliche Fortschritte erzielt. An sich wäre es an der Zeit, sich über das Erreichte zu freuen.
Das ist aber leider nicht möglich. Denn jetzt ändert sich der Fokus der Krise und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum Einen kommen Konjunkturprobleme hinzu. Die reale Wirtschaftsleistung geht zurück. Die Arbeitslosigkeit steigt dramatisch an.
Ein Kandidat: die Niederlande
Das macht die Anpassung noch schwerer. Zudem werden jetzt auch Länder in den Strudel gezogen, die bisher noch relativ verschont geblieben waren. Ein Kandidat ist Frankreich. Es war schon im letzten Jahr in der Rezession, 2013 wird es kaum besser werden.
Ein zweiter sind die Niederlande. Hier ist die reale Wirtschaftsleistung 2012 um fast 1 Prozent zurückgegangen. Der Immobilienmarkt ist zusammengebrochen.
Die schlechte Konjunktur beruht zum Teil auf der schwächeren Weltwirtschaft. Dafür kann der Euro nichts. Teilweise ist sie aber auch hausgemacht. Die Regierungen entziehen der Privatwirtschaft Kaufkraft, indem sie selbst weniger ausgeben beziehungsweise die Abgaben erhöhen.
Durch die Verwerfungen an den Kapitalmärkten kommen die niedrigen Zinsen der Europäischen Zentralbank nicht bei den Unternehmen und den Verbrauchern in den Krisenländern an. Sie zahlen für Kredite immer noch 8 Prozent und mehr, wenn sie überhaupt Geld bekommen.
Es zeigt sich, dass die Sparmassnahmen, anders als manche erwartet hatten, das Investitionsklima in den Schuldnerländern nicht verbessert haben. Der Ökonom würde sagen: Die Ricardianische Äquivalenz hat nicht funktioniert. Sie wurde von den keynesianischen Nachfragewirkungen überlagert.
Die zweite Änderung der Eurokrise hängt eng mit den Rezessionswirkungen zusammen: Es gibt zunehmend gesellschaftliche Akzeptanzprobleme. Je länger die Krise dauert, umso mehr. Die Unzufriedenheit der Menschen wächst. Die Proteste auf den Strassen eskalieren. Regierungen drohen, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Bei den Wahlen gibt es keine klaren Mehrheiten. Nicht Oppositionsparteien werden stärker, sondern Protestbewegungen. Italien steht vor einer schwierigen Situation. In Deutschland entsteht eine neue Protestpartei. Das muss man in einer Demokratie ernst nehmen.
Die zweite Hälfte der Anpassung ist oft schwerer
Jeder wusste, dass die Anpassungsmassnahmen in der Eurokrise Zeit brauchen und dass das die gesellschaftliche Stabilität strapaziert. Es war aber nicht klar, dass es so lange dauern würde. Bisher waren es ganze drei Jahre, allein um die erste Hälfte des Weges zu schaffen.
In Griechenland etwa müssen die Lohnstückkosten insgesamt um 30 Prozent sinken. Bisher sind sie um 15 Prozent zurückgegangen. Das ist schon eine Leistung. Weitere 15 Prozent müssen aber noch folgen. Hoffentlich braucht das Land dafür nicht noch einmal drei Jahre.
Hinzu kommt, dass die zweite Hälfte der Anpassung oft schwerer ist als die erste. Man sagt, dass der Marathonlauf ab Kilometer 20 besonders schmerzhaft und mit dem Risiko des Scheiterns verbunden ist. Niemand weiss, wie lange demokratische Gesellschaften das aushalten.
Auch die politische Antwort muss anders werden
Wenn sich der Charakter der Krise ändert, muss auch die politische Antwort anders werden. Keine Lösung ist, dass die betroffenen Länder – wie an Stammtischen immer wieder gefordert – aus der Währungsunion austreten. Erstens wird dadurch für sie gar nichts besser. Die dann folgende Abwertung wäre eine neue, vielleicht noch härtere Rosskur. Zweitens muss man sich immer vor Augen halten, dass selbst die deutsche Gesellschaft nicht die Kraft aufbringen würde, so grosse Verwerfungen durchzustehen.
Keine Lösung ist auch, die Sache auszusitzen und auf eine Verbesserung der Konjunktur zu hoffen. Sie wird nicht so schnell kommen.
Auch eine Aufweichung der Reform- und Konsolidierungsmaßnahmen darf es nicht geben. Sie sind unabdingbar. Ohne sie würde das ganze System zusammenbrechen. Allenfalls kann man an eine gewisse zeitliche Streckung denken (wobei dies den Heilungsprozess aber noch länger macht).
Benötigt: Unkonventionelle Eingriffe
Den Arbeitslosen muss aber geholfen werden. Und zwar schnell. Woran man aber denken kann sind unkonventionelle Eingriffe wie etwa gezielte Investitionszuschüsse an Unternehmen. Vielleicht könnte man auch Lohnkostenzuschüsse an Firmen geben, die neue Arbeitnehmer einstellen. Das kostet natürlich auch Geld. Man könnte dies aufbringen durch die Europäische Investitionsbank oder die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (die bisher noch gar nicht eingeschaltet worden ist). Das wären keine Euro-Bonds, sondern Finanzierungen ähnlich dem Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg.
• Der Text erschien zuerst als «Hüfners Wochenkommetar» bei Assenagon.