Nächstes Jahr wachsen die Schwellenländer am stärksten, ist Willem Verhagen von ING Investment Management überzeugt. Zudem könnte Europa positiv überraschen.
Willem Verhagen ist Senior Economist bei ING Investment Management
Erste Anzeichen einer wirtschaftlichen Stabilisierung im nächsten Jahr dürften das globale Wachstum beschleunigen. Ausserdem sollte die Nachfrage generell durch eine lockere Geldpolitiker der Notenbanken und einer sinkenden Inflation in den Industrieländern steigen – vorausgesetzt die Rohstoffpreisen stabilisieren sich.
Das Ausmass dieser Kräfte in Bezug auf das Wirtschaftswachstum wird natürlich von Region zu Region varrieren. Am meisten werden wohl die Emerging Markets (Schwellenländer) profitieren, da die privaten sowie die öffentlichen Bilanzen relativ stabil sind.
Bei den Industrienationen wird die USA den grössten Nutzen haben, weil der private Schuldenabbau schon weiter fortgeschritten ist und die Bilanzen der Banken besser sind als diejenigen in Europa. Zusätzlich werden die amerikanischen Haushaltsbilanzen von steigenden Immobilienpreisen profitieren.
Firmeninvestitionen nötig
Die US-Fiskalpolitik birgt jedoch das grösste Risiko in diesem Szenario. Im 3. Quartal 2012 stieg das Bruttoinlandprodukt (BIP) der USA annualisiert um 2 Prozent. Hauptursache dafür war der Konsum, während die Unternehmensinvestitionen unverändert blieben. Die Abweichung zwischen dem Konsum und den Unternehmensinvestitionen wird bestehen bleiben. Und falls die Firmen wirklich sparen, dürfte die wirtschaftliche Erholung nicht lange andauern.
Aus meiner Sicht liegt die Erklärung für die niedrigen Firmeninvestitionen bei den immer noch niedrigeren Kosten für Arbeit im Vergleich zum Kapital. Der Grenzertrag für eine neue Arbeitskraft ist höher als derjenige von Investitionen.
Neuste Technologie nötig
Obwohl die Kapitalkosten relativ tief sind, ist es nach wie vor nicht attraktiv, zu investieren. Da das reale Lohnwachstum eher bescheiden ist, wird die steigende Nachfrage mit neuen Arbeitskräften befriedigt. Zusätzlich ist die Entscheidung, Investitionsgüter zu kaufen, nicht einfach rückgängig zu machen.
Mittelfristig jedoch wird die marginale Kapitalproduktivität dank dem positiven Ausblick auf Unternehmensebene attraktiver. Zudem verlangen die Unternehmen Investitionsgüter mit neuster Technologie.
Deutschland holt wieder Schwung
Europa blieb bisher hinter den Erwartungen zurück. Dies ist hauptsächlich auf die abgeschwächten deutschen Exporte zurückzuführen. Falls sich das Wachstum in den Emerging Markets erholt – und davon gehe ich aus – werden die deutschen Exporte und Investitionen auch wieder steigen, da die Ausfuhren sehr stark nach Osten orientiert sind.
Die Inlandnachfrage sollte sich dank niedriger Arbeitslosigkeit, steigenden Immobilienpreisen und niedrigen Privathaushaltschulden zusätzlich rehabilitieren.
In Frankreich, wo der Konsum nach wie vor der Haupttreiber für das Wachstum ist, fürchten die Konsumenten die restriktive Fiskalpolitik. Zudem hat die Wettbewerbsfähigkeit über die letzten Jahre konstant nachgelassen, was sich negativ auf die Auslandnachfrage auswirkt.
Schwellenländer kämpfen mit Kapitalabflüssen
Nichtsdestotrotz glaube ich, dass sich Europa nächstes Jahr aus der Rezession befreien kann. Wir erwarten nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern, wie Spanien, eine Erholung, getrieben von steigenden Exporten, und eine daraus resultierende steigende Inlandsnachfrage.
Anlagen in den Schwellenländern haben bei Anlegern nach wie vor ein grosses Gewicht, obschon der Kapitalzufluss eher bescheiden ist. So floss netto über die letzten fünf Quartale kein Kapital in die Schwellenländern.
Zum Vergleich: Seit dem Jahr 2000 flossen durchschnittlich pro Quartal 50 Milliarden Dollar an investiertem Kapital in die Märkte. Einzig zwischen dem vierten Quartal 2008 und dem dritten Quartal 2009 waren die Kapitalflüsse gleich oder negativ.
Zu früh für eine Erholung in China
Ein Hauptgrund für das zurückhaltende Verhalten der Anleger war die Angst vor einer sich abschwächenden Wirtschaft Chinas. Obwohl die asiatischen Konjunkturdaten für eine steigende Nachfrage in China sprechen, ist es noch zu früh, eine Erholung in China vorweg zu nehmen.
In Indien hat die Nationalbank entschieden, die Zinsen unverändert zu lassen. Das Hindernis ist die Inflation. Diese sollte ab Januar 2013 jedoch zurückgehen. Da Indien eines der nur noch wenigen Emerging-Markets-Länder mit hohen Zinsen ist, besteht somit ein gewisser Spielraum für monetäre Lockerungen.
Kürzlich getätigte Reformen und glaubwürdige Anpassungen im Fiskalbereich sollten eine Zinssenkung in den nächsten Jahren fördern.