Die Schweiz hat mit Twint ihr eigenes mobiles Bezahlsystem. Doch die bisherige Resonanz ist ernüchternd. Das Problem mit der gut gemeinten App: Es gibt dafür kein Bedürfnis.
Ich werde Twint nicht mehr benutzen. Die Bezahl-App hat ihren Einstand bei mir vergeigt. Als ich kürzlich mit Twint das erste Mal überhaupt einen Einkauf im Coop bezahlen wollte, funktionierte die App nicht.
Nach mehreren vergeblichen Versuchen am Twint-Beacon, hinter mir eine unruhig mit den Füssen scharrende Kundenschlange, brach ich ab, steckte das Smartphone wieder ein, zückte eine EC-Karte, hielt sie ans Terminal und bezahlte – kontaktlos, mobil und vor allem schnell und reibungslos.
Einmal durchgefallen, nie mehr benutzt
Twint ist somit ein weiteres Opfer meiner ehernen Regel mit digitalen Dienstleistungen geworden. Funktioniert ein Service beim ersten Mal nicht, ist er bei mir als Nutzer durchgefallen. Ich scheine mit diesem Vorsatz nicht der einzige zu sein, sondern dem Muster-Twint-Nutzer zu entsprechen. Einmal probieren – und das wars.
Eine Million Nutzer lautet das Ziel von Twint bis Ende Jahr. Die bisherigen Download- und Nutzer-Zahlen sind enttäuschend – trotz erheblichem Marketingaufwand von Twint selber, aber auch von den Partnerbanken UBS, Credit Suisse, Zürcher Kantonalbank, Postfinance und Raiffeisen.
Mehrfache Probleme und Hürden
An meinem Selbstversuch haben sich gleich mehrfach die Probleme und Hürden präsentiert, die Twint nehmen müsste, um sich als Standardlösung für mobiles Zahlen in der Schweiz zu etablieren. Doch es ist zweifelhaft, ob dies je gelingen wird.
1. Problem: Es gibt keine echte Nachfrage
Der beste Beweis dafür: Twint verspricht Gratisferien im Wert von 10'000 Franken, sofern man die App herunterlädt. Bietet eine digitale Dienstleistung einen echten Mehrwert, müsste dieser nicht mit Tombola-Aktionen versüsst werden – Nutzer würden sich darum reissen.
Twint ist technologisch zwar ausgereift und modern, doch zwei Drittel der Schweizer bevorzugen vorläufig noch Barzahlungen. Online-Shopping funktioniert mit Twint via QR-Code zwar sehr speditiv. Doch ist diese Bezahlmethode nur eine weitere unter den schnellen Varianten wie Kreditkarte oder Paypal.
Für das sogenannte Peer-to-Peer-Bezahlen ist Twint tatsächlich praktisch. Doch wird dies vermutlich eine Nischenanwendung für vornehmlich junge Leute bleiben.
2. Problem: Twint bringt keinen Quantensprung an Nutzerfreundlichkeit
Das Hauptargument zur Nutzung von Twint ist: Bezahlen per Smartphone. Aus Sicht eines Users sticht dieses Argument nur bedingt: Was macht es für einen Unterschied, ob ich ein Smartphone an einen Beacon halte oder eine Kreditkarte an einen Terminal und allenfalls noch einen Pin-Code eintippen muss?
Erschwerend kommt bei Twint hinzu, dass die Bluetooth-Funktion eingeschaltet oder – falls kein Beacon vorhanden ist – ein QR-Code eingescannt werden muss. Für Händler bedeutet Twint eher noch einen Mehraufwand: Der Einrichte-Prozess ist dem Vernehmen nach sehr anspruchsvoll, und es wird neben dem Standard-EC-Terminal mit dem Beacon ein weiterer Bezahl-Terminal notwendig.
3. Problem: Die Twint-Konkurrenz hat alle Vorteile
Twint ist immerhin ein Gemeinschaftsprojekt von Schweizer Banken, der Swisscom, der Six und den grossen inländischen Händlern. Doch das kontaktlose Zahlen ist mit alltäglichen Kredit- und EC-Karten in der Schweiz längst etabliert.
Twint müsste als Substitut entscheidende Vorteile bieten können, um dies zu ändern. Ob das Argument sticht, dank Twint weniger Karten im Geldbeutel herumtragen zu müssen, ist fraglich.
Noch schwieriger wird es für Twint, die mächtige Konkurrenz von Apple Pay und Samsung Pay auszuschalten. Die beiden Smartphone-Hersteller geniessen dank ihrer NFC-Technologie einen grossen Marktvorteil. Nutzer brauchen keine App herunterzuladen oder beim Bezahlvorgang eine besondere Funktion im Smartphone zu öffnen.
Die grossen Kreditkartenherausgeber UBS und Viseca verweigern sich Apple Pay, weil sie Twint unterstützen. Doch diesen Kampf führen die Finanzdienstleister am Ende gegen die Nutzer. Diese entscheiden, welche Technologie sich durchsetzt. Bislang sieht es nicht nach Twint aus.
4. Problem: Twint funktioniert nur mit einer grossen Nutzerbasis
Wie erwähnt, bietet Twint vordergründig nur wenige Vorteile gegenüber bestehenden digitalen Bezahlsystemen. Den Anbietern ist das bewusst. Sie wollen in die App darum weitere Services einbauen wie Loyalty-Angebote sowie Kunden- und Treuekarten, um einen Mehrwert zu bieten.
Twint will damit auf zwei in der digitalen Ökonomie entscheidende Faktoren setzen: Den Netzwerk-Effekt sowie den Lock-in-Effekt. Ersterer besagt, dass eine digitale Anwendung umso mehr ihre Stärken ausspielt, je grösser die Nutzerbasis wird. In Bezug auf Twint: Je mehr Händler sich dem System anschliessen, desto eher kann Twint den Mehrwert als Einkaufs- und Bezahl-App ausspielen. Parallel dazu erfordert dies eine massive Erhöhung der Nutzerzahlen der App – ansonsten die Loyalty-Programme gar nie ihre Wirkung entfalten können.
Sollte der Netzwerk-Effekt dereinst spielen, kommt der Lock-in-Effekt zum Zug: Nutzer, welche die App als ihre Standardbezahllösung gewählt haben, werden kaum mehr wechseln. Um auf die notwendigen Nutzerzahlen zu kommen, wird sich Twint auf einen langen und kostenintensiven Verdrängungswettkampf einstellen müssen.
5. Problem: Twint ist eine Insel
Die Idee ist löblich und gut gemeint: Mit Twint wollen die Schweizer Finanzdienstleister eine eigene schweizerische mobile Bezahllösung anbieten, um so wichtige Kundenschnittstellen und -beziehungen nicht an übermächtige ausländische Konkurrenten wie Apple, Samsung, Google oder Microsoft zu verlieren.
Den Schweizer Anbietern ist klar, worauf sie sich dabei eingelassen haben. Ein Gesetz für digitale Anwendungen lautet: «The Winner Takes it All».
Doch haben die Schweizer ein weiteres, fast noch wichtigeres Gesetz vergessen: Die digitale Welt kennt keine Landesgrenzen. Digitale Anwendungen und Lösungen bauen auf einer Netzwerkökonomie, deren Nutzen umso höher wird, je mehr sie sich entfalten kann.
Wenn die Schweizer Banken mit Twint eine Schweizer Lösung wollen, denken sie in erster Linie an den Erhalt ihrer Marktposition im Transaktionsgeschäft. Dem Nutzer ist diese Art von Heimatschutz aber egal. Er will eine Bezahllösung, die nicht bloss in der Schweiz ein Standard ist. Sie soll universal sein und international kompatibel angewendet werden können, wie Kredit- und Debitkarten oder Apple Pay.