Alkohol habe immer zum Job gehört, sagen noch heute viele Banker und Börsenhändler. Diese Angewohnheit hat Lee Rolleston von der Deutschen Bank beinahe ruiniert. Hier ist seine Geschichte.
Lee Rolleston hat rund 20 Jahre als Händler in der Londoner Finanzindustrie gearbeitet – und die meiste Zeit war er betrunken. Rollestons Alkoholsucht brachte ihn an den Abgrund.
Erst nach einer Entziehungskur wurde ihm klar, dass er die Finanzbranche und die City würde verlassen müssen, um abstinent bleiben zu können. Auf der britischen Nachrichtenseite «Financial News» (Artikel bezahlpflichtig) erzählt er seine Geschichte.
Der heute 53-jährige Rolleston begann in den späten 1980er-Jahren in der Londoner City als Händler zu arbeiten. Damals sei es vollkommen akzeptiert gewesen, zum Mittagessen Alkohol zu trinken und mit Kollegen oder Kunden abends einen drauf zu machen. «80 Prozent aller Quittungen, die ich einreichte, waren für Alkohol.» Sie seien nie in Frage gestellt worden.
Spesen höher als der Monatslohn
Rolleston arbeitete für eine Schweizer Bank, als sein Alkoholkonsum anstieg, weil er mehr mit Kunden zu tun hatte. Die Spesenrechnungen seien deutlich höher als sein Monatslohn gewesen. «Aber solange die Kommissionen reinkamen, kümmerte das niemanden», so Rolleston.
Als er zur Deutschen Bank wechselte, war er im Prinzip bereits Alkoholiker. «Ich war ein funktionierender Alkoholiker. Ich war immer stolz darauf, trotz allem jeweils um 6.30 Uhr bei der Arbeit zu erscheinen.» Rolleston heiratete, wurde Vater, der Druck am Arbeitsplatz stieg – auch dies habe dazu geführt, dass er noch mehr getrunken habe.
Fünf grosse Vodkas am Vormittag
Rolleston bemerkte das erste Mal, dass seine Trinkgewohnheiten ausser Kontrolle geraten waren, als er eines Vormittags kurz in ein Pub ging. Als er zurück am Arbeitsplatz war, wusste er nicht mehr, was er tat. «Man sagte mir, ich hätte fünf grosse Vodka getrunken. Meine Kollegen schickten mich nach Hause.»
Die Deutsche Bank offerierte ihm eine Stressberatung. Der Arzt gab ihm Anti-Depressiva, Alkohol und Rollestons Trinkgewohnheiten waren kein grosses Thema.
«Die City kommt heute ohne dich aus»
Im Jahr 2005 wechselte Rolleston wieder zur Schweizer Bank (der Name wird nicht genannt) «mit ihrer bekannten Trinkkultur», wie er schreibt. Da habe er schon kein Bier mehr getrunken, «das hat mich nicht schnell genug betrunken gemacht.» Die Alkoholsucht begann ihren Tribut zu fordern. Rollestons Ehe brach auseinander, «ich fühlte mich jeden Morgen krank».
Die Wende kam nach einem US-Feiertag, an dem die Märkte geschlossen blieben. Rolleston und seine Kollegen hatten den ganzen Tag und am Abend getrunken. Am nächsten Morgen zitterte und schwitzte er, er konnte sich kaum anziehen. «Ich dachte: Lee, die City kommt heute auch ohne dich aus.»
Ein Moment der Klarheit
Er fuhr – noch immer betrunken – zu einem Freund, blieb aber aus Scham im Auto sitzen. Er dachte daran, alles zu beenden und schlief ein. Dann, in einem Moment der Klarheit, rief Rolleston die Anonymen Alkoholiker an, schüttete der Frau am anderen Ende der Leitung sein Herz aus und ging am Abend zum ersten Treffen. «Als ich für mich akzeptiert hatte, ein Alkoholiker zu sein, war ich erleichtert», so Rolleston.
Zurück am Handelsdesk in der City, sagten seine Kollegen: «Wir werden dich schon wieder zum Trinken bringen.» Er musste von ihnen Abstand nehmen.
Freund stirbt an Alkoholsucht
Als einer seiner Trinkkumpane bei der Deutschen Bank starb, kam ein weiterer Wendepunkt. «Ich habe ihn besucht, als es mit ihm dem Ende entgegen ging. Er war zu Hause und trank Baccardi aus seiner Pet-Flasche. Ich war schon drei Jahre nüchtern, als er starb.»
Rolleston beschliesst die City und die Finanzindustrie zu verlassen. «Selbstzweifel zu zeigen, ist in der City nicht erlaubt. Es wird als Schwäche angesehen – und ausgenützt.»
Heute fühlt er sich als Mensch mit zwei Biografien. Er ist 53 Jahre alt und seit zwölf Jahren trocken. «Der alte Lee war von 25 bis 41 Jahren süchtig und abhängig – auch wenn ich das damals nicht eingestanden habe.»
Heute ist er Suchtberater
Rolleston nutzt heute seine persönlichen Erfahrungen, die er in der Finanzindustrie gemacht hat, um zu helfen. Er ist heute ein qualifizierter Suchtberater und arbeitet in einem Rehabilitationszentrum in London. «Natürlich vermisse ich das Geld, das ich in der City verdient habe. Aber ich vermisse nicht den Nachtzug nach Hause.»
Er werde immer Alkoholiker bleiben, er sei nicht geheilt. «Ich bin bloss ein Alkoholiker, der sich für heute entschieden hat, nicht zu trinken.»