Die Finanzkrise ist passé, die globale Wirtschaftserholung im Gang. Doch der Prozess verlaufe chaotisch und unausgewogen, findet Stephanie Flanders von J.P. Morgan Asset Management.
Europa führe den Aufschwung an, sagt Stephanie Flanders (Bild oben), Global Market Strategist UK und Europa bei J.P. Morgan Asset Management. Und sie gibt sich positiv für die europäischen Aktienmärkte, der vielen wirtschaftlichen Problemstellen in Europa zum Trotz.
J.P. Morgan Asset Management erwartet eine Fortsetzung der Erholung in Kerneuropa und der Peripherie des Kontinents, sieht aber keine enge Korrelation zwischen dem Wirtschaftswachstum und der Aktienmarktentwicklung der einzelnen Länder. In der historischen Betrachtung sind die europäischen Aktien in der Meinung von J.P. Morgan Asset Mananagement attraktiv bewertet.
Ärger über endlose Debatte
Der globale Vermögensverwalter für Instititutionelle verweist in diesem Zusammenhang auf die statistische Tatsache, dass der Zustrom an Geldern in die europäischen Aktien wächst: Bis Mitte Juni zogen die europäischen Märkte 175 Prozent der Volumen der Vorjahre an – in Dollar betrachtet.
Flanders ärgert sich über «die endlose Debatte» zum Thema Aktienüberbewertung und Crashgefahr. Es besteht in ihren Augen kein Grund zur Bange wegen der hohen Kurs/Gewinnverhältnisse. Wie der Blick zurück beweise, löse nicht die hohe Bewertung eine Baisse aus, sondern andere Faktoren. Die derzeitige Bewertung sei deshalb kein Grund, den Aktien den Rücken zu kehren.
Vertrauen in die Banken kehrt zurück
Eine wesentliche Stütze für die europäischen Aktien sieht ihr Kollege Patrick Vermeulen (Bild unten), Head of Research Driven Process, European Equities, in den starken Anreizen der Europäischen Zentralbank (EZB) für die europäische Bankbranche, ihre Kreditvergabe zu aktivieren.
Er glaubt, dass die regulatorischen Massnahmen und die schärfere Aufsicht über die Budgetdisziplin in den Problemländern das Vertrauen in den Bankensektor wieder herstellen werden.
Schwacher Euro tut Erträgen gut
«Die Korrektur der Ungleichgewichte in Europa wird auch die Konsumausgaben positiv beeinflussen, und somit auch die Investitionslust der Unternehmen fördern. Auch die Anleger werden dadurch stimuliert. Sie werden bereit sein, mehr Risiko einzugehen», sagte Vermeulen gegenüber finews.ch.
Als weiteren Pluspunkt für die europäischen Aktien, wertet Vermeulen die im Zuge der expansiven Politik der EZB schwächere Tendenz des Euro. «Das tut den Erträgen gut». Gesamtwirtschaftlich geht er aber immer noch von einem Wachstum in Europa aus, das unter dem langfristigen Trend liegen wird.
In Boomzeiten gedeihen alle
In einem Umfeld mit niedrigem Wachstum würden viele Unternehmen Mühe bekunden, andere aber profitieren, während in Boomzeiten alle gedeihen. Daraus leitet Vermeulen das Diktat des Stockpickung ab. «Die Auswahl der Aktien wird einer der entscheidenden Faktoren für die Performance sein».
Der Portfoliomanager, seit 1999 für J.P. Morgan tätig, sieht «immer noch grosse Risiken in Bankaktien.» Die Konsequenz daraus: «Wir ziehen es vor, in anderen Sektoren Risiko zu fahren», erklärt Vermeulen, dem notabene der Schweizer Markt gut gefällt. Über Sika äussert er sich geradezu begeistert und Roche, seit Jahren im Portefeuille der im Konkurrenzvergleich gut abschneidenden europäischen Aktienfonds von J.P.Morgan Asset Management vertreten, findet er immer noch sehr attraktiv.
Attraktive Bankaktien aus Problemländern
Auch wenn Vermeulen die Gesundung im europäischen Bankensektor als Plus für die europäischen Aktienmärkte wertet, von den Bankaktien ist er wenig begeistert. Immerhin: «Wir halten in unseren Fonds Bankaktien aus den problembehafteten Ländern wie Spanien etwa, wo die Bankbranche im Erholungsmodus ist – und aus den nordischen Staaten, dort die eher defensiven Bankwerte.»
Für die Versicherungsvaloren lässt sich Vermeulen nicht auf eine generelle Aussage zur Bewertung hinaus. Jeder Titel müsse für sich genau analysiert werden. In den USA zählt J.P. Morgan Asset Management die Versicherungstitel nach dem IT-Hardware-Bereich und der Halbleiterbranche zu den günstigsten Aktien. Die Bank- und die Brokeraktien sieht der Vermögensverwalter indes im Mittelfeld der teuren Werte.